Mitten im Leben und doch voll daneben

  • Hallo, bin neu hier und möchte mich vorstellen. Ich bin Marius, beruflich recht erfolgreich, sportlich, in zweiter Ehe glücklich verheiratet, reise gern und viel, Kinder sind groß und aus dem Haus. Ich bin gesund, aktiv, habe Freunde, also alles in Ordnung. Könnte man meinen. Wenn da nicht dieses schlechte Gewissen wäre, das ich nun seit bestimmt bald 20 Jahren mit mir herumtrage. Ich trinke eigentlich seit ich 18 bin täglich Alkohol. Natürlich fängt man klein an, bei einem Radler oder so. Mit 30 war ich dann bei 3 bis 4 Bier oder einen halben Flasche Rotwein. Ich habe mir Lebensträume erfüllt, bin beruflich ausgestiegen und ein Jahr durch die Welt gereist, habe Häuser gekauft und gebaut und im Job immer meinen Mann gestanden. Meine erste Ehe verlief mit den Jahren nicht mehr gut. Wegen des Kindes ist man letztendlich fast 20 Jahre zusammen geblieben. Aber ob das der Grund ist, weshalb der Alkohol eine immer größere Rolle gespielt hat, kann ich nicht sagen. Ich habe irgendwann angefangen, mir Sorgen zu machen, habe alle möglichen Bücher und Internetseiten zum Thema Alkohol gelesen. Heute weiß ich um die Mechanismen. Die Dosissteigerung habe ich am eigenen Leib erfahren. Seit etwa einem Jahr bin ich bei ca. 1 Liter Wein pro Tag angelangt, oft kommen noch vorher ein paar Bier dazu, gegen den Durst. Leider spielt sich die Sache hauptsächlich zu Hause vor dem Fernseher ab, wenn meine Liebste um 9 ins Bett gegangen ist. Meine Frau trinkt auch, allerdings täglich nur etwa 1-2 Gläser Wein. Sie kann einfach nicht nachvollziehen, wieso es mir nicht gelingt, meinen täglichen Konsum zu begrenzen. Ein so toller Typ wie ich hat doch keinen Kontrollverlust nach einem Glas. Doch, den habe ich. Wenn ich trinke, dann so lange, bis ich mein Wohlfühlgefühl erreicht habe und das beginnt halt erst bei einem Liter. Ich bin seit Jahren hin und her gerissen, denn eigentlich trinke ich gerne. Mit einem halben Liter im Kopf bin ich witzig, spontan, reiße andere mit, fühle mich frei und stark. Später dann, bei einem Liter werde ich ruhig, müde, benebelt und falle oft wie ein Stein ins Bett. Allerdings brauche ich mindestens 9 Stunden Schlaf, um am nächsten Morgen meinen stressigen Job halbwegs machen zu können. Und eigentlich sind meine Vormittage nicht mehr angenehm. Ich kann mich schlecht konzentrieren, bin im Denken zerfahren, nicht wirklich belastbar und gerate schnell in Stress. Am Nachmittag geht's dann so langsam wieder besser. Noch vor einigen Jahren gab es den ersten Drink nicht vor 20.00 Uhr. Das hat sich geändert. Heute passiert es oft, dass ich gegen 18.00 Uhr nach Hause komme und mir am Kühlschrank erstmal ein großes Glas Weißwein genehmige. Das zweite dann um 19.00 Uhr und so weiter und so weiter. Der Suchtkreislauf eben. Seit etwa 3 Jahren habe ich immer wieder "Alkoholfasten" gemacht und jeweils ein paar Wochen nicht getrunken. Das ging in den ersten Tagen nur mit medikamentöser Unterstützung, weil ich sonst einfach nicht schlafen konnte. Dann habe ich mich also abstinent durch 4 bis 6 Wochen gequält und war am Ende froh, endlich wieder trinken zu können, ich kann ja schließlich aufhören, wenn ich will. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass sich mit jeder Abstinenzphase die tägliche Dosis letztendlich gesteigert hat. Und heute nun bin ich jetzt nach vielen Jahren und allen möglichen Irrungen und Wirrungen endlich an einem Punkt angelangt, an dem ich sagen kann: Ich muss aufhören muss die Notbremse ziehen, alles andere funktioniert nicht. Versteht mich richtig, ich würde sooo gern weiter trinken, ich kanns mir dauerhaft auch ohne gar nicht vorstellen, aber ich muss, es führt kein Weg dran vorbei. Ich gehe sonst vor die Hunde. Wahrscheinlich trinke ich in drei Jahren 1,5 Liter und in 5 Jahren 2 Liter am Tag, wenns denn überhaupt noch so lange dauert. Ich will das nicht! Ich will die Kontrolle zurück. Was ich um Gottes Willen nicht will, ist, mich überall als Alkoholiker zu outen. Ich habe mich meiner Frau erklärt, sämtliche Alkoholvorräte aus dem Haus verbannt, zusammen mit ihr Notfallpläne geschmiedet, für 2017 tolle Urlaube geplant und bin bereit, den „Kampf“ aufzunehmen. Am Sonntag ist es nun genau 5 Wochen her, dass ich meinen letzten Wein getrunken habe. Durch die reine Entgiftung bin ich also gut durchgekommen. Ich merke allerdings, dass ich mich unbedingt längerfristig mit dem Thema auseinandersetzen muss. Deshalb habe ich mich in diesem Forum angemeldet.
    In den letzten Wochen haben meine Frau und ich die Abende oft zu Hause verbracht. Bei einigen Abendessen mit Freunden und Bekannten ist es mir nicht weiter schwer gefallen, abstinent zu bleiben. Es stört mich auch nicht sonderlich, wenn meine Frau außer Haus mal einen Wein trinkt, solange es nicht zu Hause ist. Hier gibt’s nichts mehr.
    Aus meiner Vorgeschichte weiß ich allerdings, wie schnell man seine Abstinenzmotivation verlieren kann. Was mich manchmal verrückt macht, sind solche Bilder im Kopf vom Urlaub unter Palmen, mit einem Glas kalten Weißweines in der Hand, oder den Cocktail (bei mir meistens der mörderische Gintonic) abends an der Strandbar, das Bier in der Mittagspause bei einer schönen Radtour, usw..
    Stimmungsmäßig hänge ich momentan ziemlich durch. Ich fühle mich irgendwie unfroh, ein wenig antriebs- und lustlos. Manchmal reagiere ich aufbrausend, was eigentlich gar nicht mein Naturell ist.
    Die Kunst wird es wohl sein, sich seines Leidensdruckes bewusst zu bleiben und die notwendige Motivation dauerhaft aufrecht zu erhalten.
    Vielleicht mal so viel für den Einstieg.
    Was ich mir vom Forum wünschen würde, ist der längerfristige Austausch mit Menschen, die sich Gedanken zum Umgang mit Alkohol machen und die mich vielleicht an ihren Erfahrungen teilhaben lassen.
    Herzliche Grüße

    Marius

  • Hallo Marius!
    Herzlich Willkommen hier. Schön, dass Du hergefunden hast.
    Es kommt mir vieles bekannt vor, was Du schreibst.
    Es geht nicht darum, dass Du gleich jedem erzählst, dass Du Alkoholiker bist. Mach das erst mal für Dich klar. Kennst Du unsere Grundbausteine? Mit denen wurden aus Tagen Wochen und Monate und irgendwann hab ich gestaunt, wie positiv sich vieles verändert hat.
    Komm gut hier an und frage alles, was Du wissen willst.
    Viele Grüße
    Calida

  • Hallo Marius,

    Herzliche Grüße von einem Ex-Sabrigger........

    Ich wünsche dir erstmal für dein Vorhaben ganz viel Erfolg.
    Und Mut.
    Ja, es geht in der Tat um nicht weniger als dein Leben.
    Und wie du bemerkt hast: wir können durchaus mal wochenweise pause machen, aber wir haben nicht mehr die Kontrolle, wenn wir dann wieder anfangen.

    Sich diesen Kontroll Verlust einzugestehen ist schwer.
    Wir sind doch erfolgreich, wir haben was erreicht im Leben......
    Und dann sollen wir und an dem Thema Alkohol eingestehen, dass wir unser Leben doch nicht im Griff haben?

    Es ist ein doppelter Verlust: Verlust der Kontrolle und Verlust eines 'Freundes'.

    Der Alkohol hat dich getröstet, hat dir in schwierigen, wie in schönen Situationen 'beigestanden'.
    Ohne ihn fühlen wir uns zuerst nackt und einsam.

    Es gibt eine tolle Botschaft!
    Du bist ganz und gar nicht allein mit deiner Sorge, deinen Ängsten.
    Du findest hier Unterstützung.

    Ich habe es letztlich als Erleichterung empfunden, mir einzugestehen Alkoholiker zu sein. Ich trage deshalb auch kein Schild um den Hals, aber ich bin klar und deutlich, wenn ich z. B. Zu meinem Arzt gehe.

    Wir müssen Ehrlichkeit lernen, zu uns und auch zu anderen.
    Raus aus der Heimlichkeit.
    Vermutlich denken sich eine Menge Leute schon ihren Teil.

    Wenn du dein Leben ändern willst, ist tatsächlich eine Menge mehr zu tun, als 'nicht trinken'.

    Ich empfehle dir, dich deinem Hausarzt anzuvertrauen, lass dich mal durch untersuchen.....

    Es gibt auch viele zu lesen Über das Thema: mir hat gut gefallen:

    Simon Borowiak : Alkohol, fast ein medizinisches Sachbuch.

    Bleib dran, es lohnt sich.
    Irgendwann kannst du sagen: ich muss nicht mehr trinken.
    Es gibt keinen Leidensdruck, sondern es gibt eine grosse Freude, abstinent zu leben.

    Grüße an den St. Johanner Markt........

    Hans

  • P.S.
    Stimmungsschwankungen sind in den ersten Monaten ganz normal.
    Schließlich handelt es sich um eine chronische Vergiftung, von der wir uns erholen.
    Und sie sind gefährlich, weil sie schnell zu einem Rückfall führen können

    Deshalb ist das erste Jahr das kritische...

  • [Es gibt keinen Leidensdruck, sondern es gibt eine grosse Freude, abstinent zu leben.]
    Vielen Dank für die Aufmunterung und die Hoffnung darauf, dass es irgendwann besser wird.
    Dass ich keine Kontrolle mehr über meinen Alkoholkonsum habe, weiß ich. Dass "Trinkpausen" immer mit einem Rückfall in alte Trinkgewohnheiten verbunden sind, ebenso. Ich bin bereit mir einzugestehen, dass ich Alkoholiker bin und auch mit den Menschen, zu denen ich Vertrauen habe, darüber zu sprechen- Am 08. März habe ich einen Termin zum Checkup bei meinem Hausarzt. Ich hoffe, dass ich die Kraft haben werde, mit ihm über mein Trinken zu sprechen. Eigentlich habe ich großes Vertrauen zu ihm, denn ich gehe schon seit 25 Jahren hin und er hat mir schon aus der einen oder anderen Lebenskrise heraus geholfen. Was Du sagst, Hans, nämlich, dass sich sicher schon einige in meinem Umfeld Gedanken über meinen Alkoholkonsum machen, das ist sicher richtig. Allerdings ist mein Freundeskreis nicht mehr sonderlich groß und die Treffen nicht so häufig. Mein eigentliches Problem liegt darin, dass ich alleine saufe, abends vorm Fernseher, dass ich mich regelrecht ausknipse, um Ruhe zu finden.
    Also, mittlerweile haben wir folgendes:
    - ich weiß, dass ich Alkoholiker bin und keine Kontrolle habe
    - ich will nicht mehr trinken, nicht heute, nicht morgen, nie mehr
    - ich habe seit 35 Tagen keinen Alkohol mehr angerührt
    - ich habe mein engeres Umfeld eingeweiht
    - ich werde mit meinem Hausarzt reden und mich untersuchen lassen
    - mein Haus ist komplett frei von Alkohol und es gibt massenhaft Ersatzgetränke
    - ich habe einen Notfallplan: Wasser trinken, joggen gehen (strecke beginn direkt beim Haus), Spaziergang (dto.), mit meiner Frau darüber sprechen, im Forum schreiben
    - ich suche den Kontakt zu Gleichgesinnten, vorerst nur online hier im Forum und tausche mich aus
    - ich lese viel über meine Erkrankung
    - ich beschäftige mich mit Dingen, die mir Freude bereiten (Sport, Theater, Kino, etc.)
    - ich meide gewisse Orte, wie z.B. eine Kneipe, in der wir oft waren (sind?)
    - der St. Johanner Markt in Saarbrigge ist im Moment auch nicht der beste Platz :lol:

    Also, einiges im Aufbruch. Die Motivation ist noch 100%. Die Stimmung schwankt. Ich war vor einigen Jahren mal wegen einer heftigen Depression in Behandlung und hoffe, dass die nicht zurück kommt. Das war damals eine schlimme Zeit. Ich danke Euch ganz herzlich für Eure Anregungen und Unterstützung.

    Gruß

    Marius[/quote]

  • Hallo Marius,

    auch von mir herzlich Willkommen hier.

    In Deiner Vorstellung ist mir v.a. aufgefallen, daß Du anscheinend ganz alleine zu der Einsicht gekommen bist, daß Du jetzt was ändern mußt, um nicht noch tiefer in diese Suchtspirale reinzurutschen.

    Das find ich bemerkenswert und aus meiner Sicht ist das ein entscheidender Vorteil für Dich, denn ich bin überzeugt, daß man nur dann trocken werden und bleiben kann, wenn man selber absolut davon überzeugt ist, das Richtige zu tun.

    Du hast erkannt, daß Dir Alkoholpausen überhaupt nicht weiterhelfen - das sehe ich absolut genauso, sie dienen lediglich dazu, das eigene Gewissen zu beruhigen, reiten Dich allerdings nur noch tiefer rein.

    Deine Entscheidung, nur Deiner Frau von Deinen Alkoholproblemen zu erzählen, halte ich aus verschiedenen Gründen für problematisch, will Dir da aber auch nicht reinreden - das muß wirklich jeder selber wissen. Ich weiß, daß mit dem Stigma "Alkoholiker" ein Sack voll Vorurteilen verbunden ist. Ich würde Dir allerdings raten, zumindest Deinem Hausarzt davon zu erzählen, denn auch in Arzneimitteln ist häufig Alkohol enthalten. Dieses Risiko würde ich persönlich nicht eingehen wollen.

    Es ist auch nicht ungewöhnlich, daß man zu Beginn der Abstinenz die Tatsache, ab jetzt nie mehr Alkohol konsumieren zu können, als eine riesengroße Bürde betrachtet...das wird sich mit zunehmender Abstinenzdauer allerdings relativieren.

    Stimmungsschwankungen, das hat Hans ja schon angesprochen, sind zu Beginn durchaus normal - wie bei jedem Suchtmittel, das irgendwo auf Belohnungsbasis funktioniert.

    Jetzt komm erstmal in Ruhe an...es gibt hier jede Menge Hilfestellungen und in so manchem Thread sind wertvolle Hinweise verborgen, die Dir weiterhelfen können auf Deinem Weg.

    Soviel vorneweg - Du hast Dich definitiv richtig entschieden...auch wenn sich das momentan vielleicht noch nicht so anfühlt :)

    Schönen Gruß und schöne Zeit

    Andreas

  • Hallo Marius,

    willkommen hier, und danke für deine ausführliche und schonungslose Beschreibung! Das ist doch ein guter Anfang.

    Zitat

    Ich muss aufhören


    Das fiel mir auf, und ich wollte schon nach deinem Willen fragen. Dann schreibst du aber weiter unten, dass du nicht mehr trinken willst. Sehr gut!!!!

    Du hast gerne getrunken und es hat dir geschmeckt. Du bist zu der rationalen Einsicht gelangt, dass ein Schlussstrich bzgl. deines steigenden Konsums und deiner Toleranzentwicklung her muss.
    Das eine ist diese Einsicht. Die ist wichtig.
    Das andere ich aber das Emotionale. Solange du mit dem Trinken angenehme Gefühle verbindest, ist es schwer bis schwierig, sich komplett für alle Zeiten zu lösen. Aber unmöglich ist es nicht!

    Du hast den Vorteil, dass du noch halbwegs rechtzeitig aussteigst aus der Spirale, die immer weiter nach unten führt.
    Dieser Check-Up Termin ist doch eine gute Möglichkeit, das Thema zu erwähnen. Beim ersten Mal kostet es Überwindung, aber es passt doch perfekt in diese Art von Arzt-Patienten-Gespräch. Nach dem Motto "das Unangenehme zuerst" kannst du ja ziemlich am Anfang bereits sagen, dass du zu der Einsicht gelangt bist, dass du zu viel trinkst und bereits abhängig geworden bist und nun seit Tag X nichts mehr getrunken hast und vor hast, nie mehr zu trinken. Fertig.
    Sag doch mal Bescheid, wie dein Hausarzt reagiert hat.

    Und zum Thema "müssen": Du musst nichts. Du kannst jederzeit trinken, saufen, dich totsaufen, niemand kann oder wird es dir verbieten.
    Aber du kannst viel. Du kannst dich dazu entscheiden, verantwortlich mit deiner Suchtvergangenheit umzugehen, und du kannst deinen Willen einsetzen, um die nächsten Schritte in dein zukünftig trockenes Leben zu gehen. Ich wünsche dir viel Erfolg dabei und hier einen guten Austausch.

    LG viola

    Da, wo es piekt, da geht es lang!

  • Hallo Marius,

    auch ich möchte dich herzlich hier willkommen heißen. Ich freue mich auf den Austausch mit dir.

    Ich erinnere mich gut, dass ich mir anfangs auch nicht vorstellen konnte, irgendwann nicht mehr das Bild des Glases Wein in einem Strandlokal als Inbegriff von Urlaub zu sehen. Der Austausch hier im Forum und die Auseinandersetzung mit der Krankheit Alkoholismus hat viel verändert in mir, und alles ! zum Positiven.

    Was hast du konkret geändert in deinem Leben, seit du nicht mehr trinkst?

    Viele Grüße
    Thalia

  • Hallo Ihr Lieben,
    vielen Dank für die Anregungen.
    Ich werde also definitiv am 08.03. meinen Hausarzt mit ins Boot nehmen. Klar schäme ich mich; andererseits habe ich auch ein sehr großes Vertrauen zu ihm.
    Und weil ich im Jahr immer so etwa 3-4mal zu ihm gehe, habe ich mir dadurch eine zusätzliche "Kontrollinstanz" geschaffen.
    Die Entscheidung, nicht mehr trinken zu wollen, kommt alleine aus mir, es gab keinerlei sozialen Druck. Ich war am Arbeitsplatz noch nie auffällig (hat mich verdammt viel Kraft gekostet), habe meinen Führerschein noch, habe keine "krummen Dinger" gedreht und hatte auch noch nie wirklich einen echten Filmriss. Allerdings konfrontiert mich meine Liebste schon seit einiger Zeit mit ihren Sorgen. Sie hat natürlich gemerkt, dass die Dosis in den letzten Jahren immer größer geworden ist. Sie hat sich halt noch nie wirklich mit der Alkoholkrankheit befasst (warum auch?) und predigt mir immer nur, ich solle halt eben weniger trinken. "So ein halber Liter am Tag, wäre ja in Ordnung".

    In vielen Gesprächen habe ich ihr jetzt auseinander gesetzt, dass diese Möglichkeit für mich nicht mehr besteht. Wenn ich trinke, dann solange, bis mein Maß erreicht ist, und dieses Maß steigt und steigt. Also gibt es nur die Möglichkeit der Abstinenz. Ich weiß das, denn ich habe alles andere über Jahre hinweg ausprobiert. Nichts hat funktioniert: keine Karaffe, in die nur ein halber Liter hineinpasst. Kein, "wir kaufen jeden Tag nur eine Flasche und trinken die zusammen"; kein "wir trinken nur am Wochenende"; alles nicht praktikabel. Geht nicht, fertig, aus. Abstinenz ist der einzige Weg für mich, nicht weiter abzustürzen.

    Viola, vielleicht hast Du recht; vielleicht fehlen da ein paar negative Erlebnisse und Verluste, die durch zu viel Alkohol ausgelöst worden sind. Aber ich glaube, das will ich mir wirklich ersparen. Was ich selbst schon erlebt habe, das ist die Angst, am Arbeitsplatz aufzufallen; das Erlebnis morgens noch verkatert zu sein, in Meetings nicht folgen zu können, plötzliche Schweißausbrüche zu haben, mich an Absprachen nicht mehr erinnern zu können, ständig mit einem schlechten Gewissen durch die Gegend zu rennen, ..... Das brauche ich wirklich alles nicht mehr. Und die durchaus auch vorhandenen positiven Gefühle, die der Alkohol bei mir auslöst (Entspannung, Lockerheit, gute Laune, etc..) wiegen die negativen bei Weitem nicht mehr auf.
    Ich habe die "Abwärtsspirale" vor Augen, ich habe wirklich Angst, irgendwann nicht mehr raus zu kommen. Ich mache das jetzt und ich werde kämpfen.
    Mein Vater war Trinker. Handwerker eben. Der war in einem Trupp von 10 Kollegen. Die waren im Grunde genommen alle ab Mittag total blau. In der Mittagspause gings in die Kneipe, nach Feierabend wieder. Wenn er dann nach Hause gekommen ist, war er oft so voll, dass er die Haustür nicht mehr aufsperren konnte. Mann, was habe ich mich als Kind geschämt. Oft hat er sich dann bis auf die Unterhose ausgezogen und sich im Wohnzimmer auf die Couch gelegt, um seinen Rausch auszuschlafen. Und geschnarcht, wie ein Walross. Wenn dann zufällig Freunde von mir kamen... Ich will nicht mehr dran denken. Das war vor allem in den 70er und 80er Jahren. Damals konnte man sich das offensichtlich im Baugewerbe noch erlauben. Heute wäre das doch unmöglich. Der gute Mann ist lange tot. Irgendwann war er so krank, da konnte er nicht mehr saufen. Aber dieses Bild des vollgesoffenen Familienvaters, der im Grunde vor seiner kompletten Lebenssituation kapituliert hat, der keine Verantwortung mehr übernimmt und für den sich der Rest der Familie schämt, das ist bis heute für mich ein Horrorszenario.
    Für mich geht es darum, genau dies zu verhindern, es nicht so weit kommen zu lassen.
    Heute ist Tag 37 meiner Abstinenz. Tagsüber spüre ich relativ wenig Verlangen. Abends auf der Couch wird es schon schwerer. Ich habe da dann oft so ein Gefühl von Leere und Verlangen. Da es im Haus mittlerweile nichts mehr gibt, halte ich das eben aus und bin natürlich morgens total stolz.
    Meine Frau hat mich heute gefragt, was sie denn tun solle, wenn ich irgendwann sagen würde, "jetzt will ich ein Glas Wein trinken". Ich bin echt froh, dass ich meine Liebste habe und dass sie sich so mit meinem Problem auseinander setzt. Ich habe ihr gesagt, in diesem Fall solle sie nicht anfangen, mit mir zu streiten, sondern versuchen, mir den Spiegel vorzuhalten und mich mit den Folgen dieser Entscheidung zu konfrontieren, so nach dem Motto: "Du weißt selbst am besten, was das für Dich bedeutet und wie sich das entwickeln wird".
    Was meint Ihr? Verlange ich da zuviel von ihr?

    Gruß

    Marius

  • Guten Abend Marius,

    Zitat

    Verlange ich da zuviel von ihr?

    Ich denke schon.

    Wenn du wieder mit dem Saufen anfangen willst, wirst du es tun.

    Und du solltest von Anfang Niemanden in die Verantwortung dafür nehmen, außer dir selbst.

    Deine Frau kann für sich entscheiden, ob sie mit einem nassen Alkoholiker zusammen sein möchte oder nicht.

    In solchen Fällen ist es besser, du wendest dich z.B. hier an das Forum und versuchst 'Zeit zu schinden'

    Was bedeutet, den akuten Suchtdruck im Zaum zu halten, bis er weniger wird.

    Er wird weniger werden, aber diese Zeitspanne ist kritisch.

    Genau aus diesem Grund lautet die Empfehlung: kein ALK zu Hause (was du ja realisiert hast!).

    Da kannst du gar nicht so schnell gucken, wie dein 'Unterbewusstes' die Flasche entkorkt hat...


    Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die über den Rückfall entscheiden.

    Und es gibt hier ganz viele Empfehlungen, was im Notfall hilfreich sein kann: z.B. der Notfallkoffer.

    Liebe Grüße und gute 24 Stunden


    Hans

  • Guten Abend Marius,
    ich wünsche Dir viel Erfolg bei deinem Vorhaben. So wie du schreibst und deine Situation schilderst, erkenne ich mich in vielen Dingen wieder.

    Eine Frage: Du erwähntest im Eingangsbeitrag, dass deine Frau täglich 1 bis 2 Gläser Wein trinkt. Tut sie das immernoch? Ich stelle mir gerade vor, wie es ist, wenn meine Frau am Abend trinken wüde. Ich würde es - denke ich - auf Dauer nicht aushalten. Es wird immer schwache Momente geben.

    Auf das die Minuten des Suchtdrucks nicht allzu schlimm werden. Ein kleiner Trick ist: Sich einzureden, dass in 15 Minuten alles vorbei ist. So ist es auch meist.

    Viele Grüße
    Kamarasow

  • Hallo!

    Was hilft bei den aufkommenden Gedanken an Alkohol? Kräftig Wasser trinken, am besten mit viiiiiiel Kohlensäure. Hau dir 1-2 Liter davon rein, dass der Magen schön prall gefüllt ist; so 'ne Art Druckbetankung. Da vergeht die Lust auf Alk ziemlich schnell. Wenn nichts mehr reinpasst, ist auch kein Platz mehr für den Stoff.

    Halt dir stets vor Augen: "Wirst Du jetzt schwach, fängst Du wieder ganz von vorne an. Das willst Du doch gar nicht. Du hast es doch schon bis hier hin geschafft, wirf das doch nicht einfach fort". Das kann dir zugleich auch deine Frau vorhalten, auch wenn allein Du die Verantwortung trägst und sie nicht an deine Frau delegieren kannst.

    Sieh zu, dass Du überall 'ne Flasche Wasser griffbereit hast. Die kann dir auch die Frau reichen. Insoweit darfst Du sie gerne einspannen.

    Mit der Zeit gewöhnst Du dich an Trigger und merkst, sie vergehen wieder. Das sind Phasen, da musst Du einfach durch. Ich weiß, wovon ich hier schreibe. Ich wurde oft genug von Suchtdruck gepeinigt. Mit der Zeit werden die Abstände größer und der Druck selbst in seiner Intensität schwächer. In der schönen Jahreszeit, die ja ansteht, sei zudem Spazieren, Joggen und Radfahren an der frischen Luft empfohlen. Sich dort mal auszupowern, hilft ungemein und verschafft zugleich ein persönliches Gefühl, etwas geschafft zu haben.

    Dazu noch viel Austausch, hier im Forum und in einer R-SHG.

    Viel Erfolg
    wünscht Carl Friedrich

  • Und schon wieder sind ein paar Tage geschafft. Am Sonntag sind schon 6 Wochen rum und ich bin immer noch abstinent. Die letzten paar Tage waren relativ einfach, weil mich eine heftige Erkältung erwischt hatte und an Alkohol bzw. ausgehen gar nicht zu denken war. Abends steht die Flasche Wasser jederzeit griffbereit, tagsüber eher der Kaffee. Auf der Arbeit kommen mir aber ohnehin nur selten Gedanken an Alkohol. Wir haben unsere Ausgehgewohnheiten schon verändert. Den häufigen Besuch in der Stammkneipe haben wir drastisch reduziert; an Fastnacht waren wir gar nicht außer Haus. Meine Frau hat es schon ein bisschen vermisst, ist dann aber doch mir zu liebe zu Hause geblieben. Übrigens trinkt sie zu Hause auch keinen Alkohol mehr. Sie sagt, dass ihr das auch gut tut. Wenn wir dann mal essen gehen, fragt sie mich, ob es mir denn etwas ausmache, wenn sie einen Wein trinkt. Meistens macht es mir nichts aus und ich versuche diese Konfrontation mit dem Alkohol als Prüfung auf meinem Weg in die Abstinenz zu bewerten. Ich glaube, schwierig wird das alles erst richtig für mich, wenn meine Achtsamkeit ein wenig nachlässt und ich mir in einiger Zeit vielleicht zu sicher sein werde. Wie sind denn so Eure Erfahrungen mit Suchtdruck und auch mit Rückfällen? Passiert das eher nach Situationen der Konfrontation mit dem Alkohol oder eher aus heiterem Himmel, wenn man eigentlich gar nicht damit rechnet? Am Mittwoch nächster Woche ist mein Check-Up beim Arzt. Mich beschäftigt schon, wie ich das Gespräch eröffnen und mit ihm über meine Alkoholprobleme reden soll. Ich hoffe, dass nach dem Gespräch diese Last von meinen Schultern fällt. Ihr Lieben, vielen Dank, dass ich in diesem Forum dabei sein und von Euren Erfahrungen profitieren darf. Einen schönen Abend wünscht Marius

  • Hallo!

    Du wärst gut beraten, dich mal mit dem Thema Risikominimierung auseinanderzusetzen. Das besagt, dass man dem Alk selbst und Orten, an denen er konsumiert wird, tunlichst aus dem Weg gehen sollte. Das kann ich deinen Ausführungen leider nicht entnehmen.

    Stammkneipe : Das ist ein Ort, an dem ein Alkoholkranker absolut nichts verloren oder zu suchen hat. Dort ist das Verführungspotential einfach zu hoch. Da hat man schneller ein Glas an der Gurgel, als einem recht ist. Apropos: Das letzte Mal in meiner Fußballkneipe war ich, als ich noch getrunken habe. Glaub mir: Es fehlt mir nichts.

    Deine „Konfrontationstherapie“ als Akt der persönlichen Prüfung: Löst bei mir nur Kopfschütteln aus. Mein ehemaliger Therapeut sagte immer: Solche Selbstversuche gehen ein paar Male gut, dann kommt der Rückfall.

    Du wandelst auf einem sehr schmalen Grat. Lies dich mal gründlich in Fachlektüre und in die threads langjähriger Abstinenter hier ein. Daraus kannst Du viel lernen.

    Gruß Carl Friedrich

  • Hallo Marius,

    für den Artbesuch drücke ich dir die Daumen. Das kriegst du hin!


    Zitat

    Den häufigen Besuch in der Stammkneipe haben wir drastisch reduziert


    :shock:

    Stammkneipe = das Lokal, bei dessen deine Rezeptoren "juchu, Nachschub!" feuern
    wir = also inklusive deiner Wenigkeit
    reduziert = stattfinden lassen und nicht auf Null gesetzt

    Das Leben ohne Alkohol bedeutet nicht nur, nichts zu trinken.
    Es bedeutet auch, das Verhältnis zum Alkohol an sich völlig neu zu justieren und ihm keinen Raum mehr zu geben in deinem Leben. Und keinen Raum bedeutet, gar kein Raum. Ohne Ausnahme.

    Ein schönes WE ohne Alk für dich,
    LG viola

    Da, wo es piekt, da geht es lang!

  • Hallo Marius,

    willkommen hier!

    Zitat

    Meistens macht es mir nichts aus und ich versuche diese Konfrontation mit dem Alkohol als Prüfung auf meinem Weg in die Abstinenz zu bewerten. Ich glaube, schwierig wird das alles erst richtig für mich, wenn meine Achtsamkeit ein wenig nachlässt und ich mir in einiger Zeit vielleicht zu sicher sein werde.


    Meistens macht es dir nichts aus?
    Also macht es dir manchmal etwas aus. Dieses Manchmal gilt es bei der Risikominimierung zu reduzieren, denn es reicht für einen Rückfall nur ein einziges Mal.
    Du glaubst, dass es für dich schwierig wird, sobald deine Achtsamkeit nachlässt. Warum machst du es dir denn so schwierig?
    Das ist der zweite Effekt der hier so oft erwähnten Risikominimierung. Sie unterstützt in "schwachen" Momenten und schafft sichere Orte, an denen das Risiko eines Rückfalls wegen des räumlichen Abstandes zum Alkohol geringer ist, als z.B. in einer Stammkneipe.
    Ich schiebe meine bisher andauernde Abstinenz auf meine Risikominimierung. Zunächst war sie ein Mittel, um meinen Abstand zum Alkohol herzustellen, heute ist sie ganz normaler Alltag. Mir gefällt, dass meine Welt, soweit ich sie beeinflussen kann, alkoholfrei ist.
    Meine Achtsamkeit andauernd darauf zu richten, nur nicht zu trinken, empfinde ich als sehr anstrengend und bin mir sicher, dass ich das nicht lange durchhalten würde.
    Trocken werden und trocken leben darf Freude machen und muss kein Zwang sein. Es sind manchmal nur kleine, aber konsequente Veränderungen, die große Wirkung haben und den trockenen Alltag extrem erleichtern.
    Alles Gute dir!

    Viele Grüße,
    Penta

  • Hallo Leute,
    danke für Eure Direktheit. Da habt Ihr mir ja echt den Spiegel vorgehalten. Risikominimierung als Hauptbestandteil der Rückfallprophylaxe. Angekommen. Ich habe ja auch schon einige Risikofaktoren entschärft. Allerdings spielt sich mein Leben zum großen Teil in einem trinkenden Umfeld ab. Selbst beim Kindergeburtstag bestehen Opa und Oma auf ihrem Gläschen Weißwein. Ich habe mir vorgenommen, Zu Hause keinen Alkohol mehr zu kredenzen. Ich werde zukünftigen Gästen den Grund erklären.

    Stefan

  • Hallo Carl Friedrich, ich bin eigentlich seit Jahren nicht mehr DER Kneipengänger. Gibt halt bei uns so ein nettes Bistro, in das meine Frau und ich hauptsächlich im Sommer gehen, wenn man draußen sitzen kann. Da gibt es auch keine tieferen Verbundenheiten zu anderen Gästen. Ich habe mit meiner Frau gesprochen und ihnen von meinen sabbernden Synapsen berichtet. Wir werden den Ort des Geschehens jetzt erst einmal meiden. Ich glaube, das fällt uns beiden nicht so schwer. Ich kann mich jedoch nicht nur zu hause aufhalten. Da fällt mir irgendwann die Decke auf den Kopf. Und egal, ob es im Theater ist, im Kino oder im Restaurant, da wird überall Alkohol konsumiert. Wie macht Ihr denn das?

  • Hallo!

    Also im Kino gucke ich den Film. Da ist alles so dunkel, da bekomme ich Saufereien nicht mit, es sei denn mein Nachbar zieht sich was rein. Dann setzte ich mich einfach um.

    Während einer Theateraufführung habe ich noch keinen Trinker im Auditorium wahrgenommen. Und direkt an die Bar während der Pause braucht man sich auch nicht begeben. Deine Frau kann dir ja ein Wasser mitbringen und dann stellst Du dich dort hin, wo nicht gebechert wird. Übrigens: Nicht jeder Gast trinkt.

    Restaurant: Ich trinke Wasser/Saftschorle/Cola. Meine Frau trinkt da schon mal ein Glas Wein oder Bier. Allerdings mache ich mir immer klar, dass die Situation triggern kann. Vielleicht kann deine Frau ja die nächste Zeit auf Alk verzichten.

    Kneipe/Bistro: Such die eine neue Location. Ein Cafe z.B., indem Du früher nicht getrunken hast.

    Man kann dem Alk nicht immer und überall aus dem Weg gehen, allerdings sollte man nicht seine Nähe suchen.

    Mir scheint, Du hast als frisch Abstinenter einfach noch nicht den richtigen Blickwinkel. Das ist noch die typisch nasse Denk- und Sichtweise. Aber ich kann dich beruhigen. Mit der Zeit ändert sich auch die. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Abstinenz ist ein zartes Pflänzchen, das behutsam aufgezogen werden muss. Das geht nicht von jetzt auf gleich. Und je länger Du trocken bist, um so entfernter und nüchterner ist dein Blick auf den Stoff.

    Gruß Carl Friedrich

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!