Hallo zusammen,
mein Vater ist vor ca. zwei Monaten (aus damaliger Sicht, wie man sagen würde, überraschend und völlig unerwartet) verstorben. Er lag eines Morgens einfach tot neben meiner Mutter im Ehebett.
Auf der Suche nach möglichen Ursachen bin ich auf dieses Forum gestoßen, wofür ich schon jetzt unendlich dankbar bin. Ich habe in kurzer Zeit unheimlich viel gelernt, über meinen Vater, mich und auch über meine, wie ich nun weiß, co-abhängige Mutter (deren Abhängigkeit noch über den Tod hinauswirkt).
Ich schaffe es nun mit 40 Jahren das erste Mal, auszusprechen, was seit 20 Jahren und mehr offensichtlich ist: Mein Vater war Alkoholiker und ich habe ihn vor wahrscheinlich 25 Jahren oder mehr an den Alkohol verloren.
Es begann alles, als ich 15 Jahre alt war. Mein Vater hatte damals eine eigene Firma, die in die Krise gerutscht ist. Es war ein Crash mit allem was dazugehört. Grundschulden auf der Wohnung und die Drohung der Bank, alles zu versteigern. Finanziell sind wir gut aus der Situation gekommen, aber der Alkohol hatte ihn ab dieser Zeit richtig im Griff. Das Problem muss allerdings bereits länger bestanden haben. Meine Mutter hat neulich, als ich das angesprochen habe, erwähnt, dass es mal einen Entzug gegeben habe, als meine Schwester und ich noch klein waren. Wie gesagt, erfahren haben wir hiervon erst nach seinem Tod und scheinbar war er danach gerade einmal ein Jahr lang halbwegs trocken. Weitere Entzugsbehandlungen oder Psychotherapie gab es in der Folge nicht.
Als ich das erste Mal bemerkt habe, dass etwas nicht stimmt, hat er schon Abends drei bis vier Halbe Bier und Wein getrunken. Wir haben uns damals eingeredet, dass es wegen der Firmengeschichte ist und schon wieder besser werden wird. Irgendwann hab ich dann im Keller ein Depot an leeren Dornkaat-Flaschen entdeckt und das bei meiner Mutter angesprochen, die abgewiegelt und es irgendwie ignoriert hat. Später hat man sich dann eingeredet, dass das Trinkverhalten besser geworden ist und er halt nicht so viel verträgt. Das nennt man wohl kognitive Dissonanz.
Letztlich haben sich bei meinem Vater im alkoholsiierten Zustand alle Verhaltensweisen gezeigt, die hier schon so oft beschrieben worden sind. Keine körperliche Gewalt, dafür sehr häufig aggressives Verhalten, Streitlustigkeit und unendliches Selbstmitleid („immer bin ich schuld!“ „Ihr hasst mich doch alle“). Auch die Auszüge und Übernachtungen in der Gartenlaube oder unter dem Ampfelbaum sind mir geläufig. So etwas gab es bei uns auch oft nach einer Streiterei zwischen meinen Eltern. Damals habe ich mich noch aktiv eingemischt, das habe ich dann später, als ich eine eigene Familie gegründet hatte, aufgehört.
Meinen Auszug mit 25 Jahren habe ich damals als Befreiung empfunden, wenngleich ich es nicht geschafft habe, den Kontakt abzubrechen, was wahrscheinlich die richtige Lösung gewesen wäre. Mit meiner Familie bin ich dann sogar mit Mitte 30 in die unmittelbare Nachbarschaft meiner Eltern gezogen, womit ich vieles wieder mitbekommen habe.
Nach Lektüre der vielen Beiträge weiß ich jetzt aber, dass ich an seinem Zustand keine Schuld habe und ich hätte auch nichts ändern können. Letztlich hat er seine Entscheidung schon vor langer Zeit getroffen. Ich bin auch froh, das ganze Thema nun endlich aktiv angehen zu können.
Letztlich muss man bei meinem Vater davon ausgehen, dass er sich buchstäblich zu Tode gesoffen hat. Gerade in den Wochen vor seinem Tod hatte ich das Gefühl, dass der Alkoholkonsum auch tagsüber nochmal massiv zugenommen hat. Das fällt ironischerweise mit dem Umstand zusammen, dass meine Mutter in den letzten Monaten vor seinem Tod es zumindest ein bisschen geschafft hat, sich von ihm zu lösen und ihr eigenes Leben zu leben. Zuvor hatte sie sich mehr oder weniger vollständig unterworfen und war nur noch für ihn da.
Bei mir hat sich gerade ein etwas merkwürdiger Zustand eingestellt. Den Verlust meines Vaters kann ich gar nicht so richtig betrauern. Was mich eher traurig macht sind die vielen verpassten Chancen und Gelegenheiten für einen Weg zur Umkehr und Gesundung. So war man am Schluss wechselseitig nicht mehr in der Lage, Liebe zu geben. Im Moment fällt es mir auch noch schwer, zu verzeihen, aber vielleicht kommt das ja noch. Und was mich ehrlich gesagt fertig macht, ist, dass meine Mutter ihn weiter deckt und das Problem verleugnet. Ich hoffe sehr, dass sie sich post-mortem aus dieser Abhängigkeit befreit und es auch schafft, sich aktiv auseinandersetzen. Aber das ist nicht meine Sache, wie ich hier gelernt habe.
Ich bin unendlich Dankbar für die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch.
Liebe Grüße
Seb