Ich bin ein lange (seit Anfang 2001) nüchterner Mensch.
Und ich lese hier schon länger, weil mich die Geschichten von Alkoholikern und Cos immer noch berühren.
Für Rückfragen: ich habe die Grundbausteine gelesen, und einiges davon habe ich auch umgesetzt, ich war beim Arzt, der Suchtberatung und habe Bücher gelesen. Ich war gut informiert, was passieren kann. Und auch darüber, wie man Rückfälle vermeidet.
Trotzdem habe ich es vorgezogen, meinen eigenen Weg zu gehen, weil ich irgendwie noch nie gemacht habe, was andere mir gesagt haben, und das nur zu Streit geführt hätte.
Ich bin ein paar Risiken eingegangen, vor allem in Bezug auf Sozialkontakte, Feste und so, von denen mir abgeraten wurde, aber ich traute mir das zu.
Ich habe immer in mich reingehorcht, ob ich mich gefährdet sehe (habe ich heimliche Trinkwünsche?), und das hat funktioniert.
Und jetzt, nach deutlich über 20 Jahren, bin ich für mich von meinem Weg auch ausreichend überzeugt. Es ist sinnlos, mit mir darüber diskutieren zu wollen.
Natürlich bin ich nicht mit diesem Forum trocken geworden, weil ich schon ein paar Jahre länger trocken bin, als es euch hier gibt.
Ich wollte nie aufhören. Und deswegen wollte ich auch nicht abhängig sein, denn dann hätte ich nach meinem Verständnis nach aufhören müssen.... und das galt es um jeden Preis zu vermeiden. Ein Leben ohne Alkohol erschien mir absolut sinnlos. Lange war ich überzeugt, dass ich mich umbringen würde, wenn ich nichts mehr zum Trinken bekomme.
Erst musste es mir ganz extrem schlecht gehen, - und mir ging es oft schlecht, ohne dass ich übers Aufhören nachdachte, nur über noch stärkere Kontrollanstrengungen - bis ich mich auf den Gedanken einlassen konnte, dass es (dauerhaft) nüchtern vielleicht auch nicht schlimmer wäre als in meinen schlimmsten Abstürzen.
Also Trinkpausen eigelegt, damit der Körper das länger mitmacht. Ich habe mir da aber nie vorgemacht, dass ich aufhören will. Nur aufpäppeln, damit ich wieder mehr saufen kann. Das war für mich vollkommen klar.
Ich habe so lange getrunken, bis mein Leidensdruck unerträglich war, und dann habe ich eine 180-Grad-Wendung hingelegt. Ich hatte es so satt, dass ich nie wesentlich kämpfen musste. Als ich mich einmal darauf eingelassen hatte, war ich felsenfest überzeugt, dass ich niemals einen Rückfall haben will und ich habe mich lange damit beschäftigt, wie ich das auch zuverlässig vermeiden konnte.
Vielleicht kurz mal der Reihe nach ein paar Stichpunkte.
Ein trinkfreudiges Elternhaus.
Der Alkohol stand überall herum, und ich wollte schon als kleines Kind, was die Großen so genussvoll zelebriert haben. Es gab auch Alkoholtote in der Familie, aber meine Mutter brachte mir bei: wer noch arbeiten kann, ist kein Alkoholiker. Und wenn einer aufhören muss, ist er ein armes Schwein. Das war so die Hintergrundmelodie meines halben Lebens, die ich im Ohr hatte.
Mein Vater war ein Arbeitstier, der nie "Nein" sagte, wenn ihm was angeboten wurde. Ein funktionierender Alkoholiker, dem die Sauferei am Ende das Genick brach, aber der bis zu seinem Ende davon überzeugt war, dass sich aufhören nicht rentiert und der es folglich auch nie probiert hat, jedenfalls weiss ich nichts davon. Die Kontakte waren aber lange auch sehr spärlich.
Ich nutzte schon als kleines Kind einen unbeaufsichtigten Moment, ein unbewachtes Glas zu leeren, und davon wurde ich sehr lustig (deswegen fiel es auf. Mir wurde es nur erzählt, ich war noch zu klein, um mich zu erinnern.)
Dann habe ich schon immer gebettelt, ob ich Reste aus den Gläsern autrinken durfte, und irgendwann so mit 10 bekam ich offiziell den ersten Schnaps. Der Schnaps war eine Enttäuschung, und weil ich unbedingt wissen wollte, was die Erwachsenen so toll fanden, ging ich an die Hausbar, wenn meine Eltern unterwegs waren. Ich bin Einzelkind, beide arbeiteten, ich war sehr oft alleine zu Hause und habe das genutzt.
Mit 12 kaufte ich vor dem Nachmittagsiunterricht mit einem Schulfreund zusammen eine Flasche Chantre, 0,7 Liter, die war dann nach einer Stunde leer.
Ab dem Zeitpunkt hatte ich meinen Trinkstil gefunden. Und der hiess, rein schütten bis nichts mehr ging.
Mit 15 hatte ich am Wochenende schon regelmässige Filmrisse. Andere Drogen kamen dazu, nur Alkohol wirkte für mich irgendwann schon gar nicht mehr genug.
Ich war auf der Suche nach dem maximalen Rausch - und ich habe das nie hinterfragt, so lange ich in der Lage war, Pausen einzulegen .... und das war ich bis zum Schluss.
Ich bewegte mich dann aber auch in Kreisen,in denen es einige Alkoholiker und andere Drogenabhängige gab, und da sah ich auch Leute sterben.
Ich habe auch Bekannte aus dieser Szene in der Entwöhnung besucht. Und das heisst, die Gefahr war mir auch bewusst und ich habe dann aufgepasst, nicht körperlich abhängig zu werden. Und von psychischer Abhängigkeit war nirgends die Rede, darüber wusste ich nichts.
Also ich war auf dem Stand wie viele, Alkoholiker ist der Penner auf der Parkbank, ich bin es nicht.
Die tiefere Auseinandersetztung mit dem Thema habe ich erst angefangen, als ich dann aufgehört habe.
Ich wollte meinen regelmässigen Vollrausch, und zwischendrin habe ich mich komplett ausgenüchtert. Das habe ich einige Jahre lang so gemacht.
Zur Dosissteigerung kam es nicht, weil ich ja schon lange so viel getrunken hatte, wie ich überhaupt konnte. Gegen Ende habe ich sogar weniger vertragen.
Bier habe ich nur zum Schnaps dazu getrunken, um den Wasserhaushalt stabil zu halten, als Verdünnung. Ansonsten konnte ich mit Bier nicht betrunken genug werden für meine Bedürfnisse.
Oft finde ich mein früheres Leben in den Beschreibungen von Cos, wenn sie beschreiben, wie ihre anverbundenen Trinker so sehr darum kämpfen, nur ja nicht aufhören zu müssen.
Und lavieren und manövrieren, nur um weitertrinken zu können - ich, wie ich war.
Da bin ich näher dran als an Alkoholikern, die beschreiben, wie sie kämpfen mussten, um aufzuhören.
Ich habe nicht gekämpft, um aufzuhören, ich habe sämtliche Zweifel vorher weggesoffen.
Es gab so unschöne Situationen, wie sie hier, besonders von Cos, oft auch beschrieben werden. Ich bin kein Schläger, aber ich wurde beleidigend und Diskussionen mit mir waren sinnlos. Ich war unerreichbar, beratungsresistent, und ich lag in Kotze und Kot. Und mit der Zeit war ich absolut unzufrieden mit Allem und Jedem, ganz vorn mit meinem eigenen Leben, ich habe mich selbst gehasst, ich wollte mich zerstören. Am Liebsten wäre ich gestorben.
Dann ging mir aber auf, dass der Tod durch Alkohol nicht einfach ist, es einem erst extrem schlecht gehen kann, und ich lernte Leute kennen, die kaum tranken..und die aber trotzdem zufriedener waren als ich. Das brachte mein Weltbild, dass das Leben nur durch Trinken erträglich wird, ins Wanken (wenn ich da heute so drüber nachdenke, dann kenne ich mich fast selbst nicht mehr)
Meine Frau verliess mich. Erst war ich froh. Ja, ich war sogar tatsächlich darüber froh, dass sie auf Abstand ging und nicht mehr so unter mir litt. Ich merkte, dass sie leidet, ich wollte nicht, dass sie leidet, aber mir erschien es absolut unmöglich, ohne zu trinken, irgendwie zu überleben. Es war genau die Situation, ich wollte nicht so sehr lügen und musste zugeben, dass ich keine Möglichkeit vor mir sehe, aufzuhören. Ohne Frau erschien mir erträglicher als ohne zu Saufen. Und gleichzeitig, wunderbar, musste ich mich gar nicht mehr beherrschen und konnte ungehemmt bis über alle Maßen trinken, was ja irgendwie die beste Voraussetzung für meinen endgültigen Absturz war (ohne den ich wohl nie aufgehört hätte)
Und irgendwann, als es mich (mal wieder) total gedreht hat, ich mich bis zum Trockenkotzen übergeben musste, völlig hilflos in irgendeiner Ecke, hatte ich einen Lichtblick.
Ich sah mich selbst, jetzt kriege ich gleich einen Schlaganfall, Blutdruck bis am Anschlag, und dann wache ich als Wrack mit Hirnschaden im Krankenhaus auf und der Käse ist gegessen....fürchterliche Vorstellung. Und mir gings ja schlecht, das war extrem präsent. Und warum? Weil ich bis ins Tiefste Innere überzeugt davon war, dass Trinken das Leben schöner macht. Was für ein Hohn.
Wie wäre es, wenn ich das Saufen mal ganz lasse? Nicht "nur eins"? Die ganze restliche Nacht durch fiel mir beim Ausnüchtern (einige hier können sich meine psychische Verfassung vorstellen) ein Problem nach dem Anderen ein, das ich nicht hätte, wenn ich nicht saufen würde.
Nüchternwerden erschien mir, wirklich sehr plötzlich, und ohne jeden Umweg, als die erstrebenswerteste Sache der Welt.
Als ich aufgehört habe, war ich in kürzester Zeit fertig damit. Ich wollte keinen einzigen Tag wieder trinken, ich hatte nach meiner Entscheidung nie wieder Suchtdruck (den ich in meinen Trinkpausen hatte), aber ich musste es trotzdem erst noch lernen, ein nüchternes Leben zu führen. In vielen Situationen ist mir dann aufgefallen: früher hast da gesoffen, was machst Du da jetzt statt dessen? Kennt Ihr ja.
Und ich habe im Laufe der Jahre auch erlebt, dass das Leben ja normal weitergeht, mit Höhen und Tiefen. Es war und ist nicht immer alles easy, ich werde älter, das eine oder andere Zipperlein, aber es geht mir seitdem so, dass Trinken für mich nur ein zusätzliches Problem wäre. Für mich gibt es kein Problem mehr, das durch Trinken kleiner wird, und keine Freude, die ich zusätzlich begiessen möchte.
Wobei das Gedanken aus der Anfangszeit sind, heute denke ich da schon lange nicht mehr drüber nach, diese "Lösung" ist weg aus meinen Gedanken.
Was ich extrem gut gelernt habe, ist: Nein zu sagen, wenn jemand etwas von mir will und ich aber das Gefühl habe, dass es mr nicht gut täte, wenn ich mich überreden liesse. Was mit dem Ablehnen des Glases beginnt, endet da, wo mich jemand für seine Zwecke einspannen will.
Kein unwesentlicher Punkt, wenn ich mich mit sogenannten Normalen unterhalte, die sich noch nie so extrem mit ihrer eigenen Existenz aueinandersetzen mussten, wie ich das musste.
Ich kenne Manager in meinem Alter, die das jetzt lernen müssen. Oder sich beim Übergang in die Rente erstmals mit dem Sinn ihres Lebens befassen.
Da bin ich meiner Sucht sogar dankbar, dass ich das schon lange musste.
Ich hadere nicht damit. Damals wollte ich saufen, also habe ich schon damals gemacht, was ich wollte. Es war mein Leben, und ich bereue es nicht.
Und ich habe mich, genau deswegen, dann lange damit beschäftigt, was wichtig für mich ist. Erst, um meine Nüchternheit zu festigen, und dann, um ein zufriedenes Leben zu führen.
Ich glaube nicht, dass ich das getan hätte, wenn mein Leben nicht auf Messers Schneide gestanden hätte.
Noch was? Meine Frau ist wieder da, wir führen eine glückliche Ehe, ich habe ein abgeschlossenes Studium, bin finanziell unabhängig.
Ich arbeite nicht mehr, lese und reise, geniesse mein Leben...
und nichts davon hätte ich, wenn ich nicht mit dem Trinken aufgehört hätte.
Ja, ich lese die Geschichten hier oft tatsächlich gerne, weil es weniger Smalltalk ist, als ich mit Anderen oft erlebe.
Es gibt mir etwas, was ich sonst nicht bekomme. Das würde ich wohl als "Tiefe", als existenziell bezeichnen. Ich habe ein Bedürfnis danach.
Sehr viel Austausch kann ich vielleicht nicht bieten, weil sich an meiner Trockenheit schon lange nichts mehr ändert.
Manchmal denke ich, ich könnte Cos vielleicht erklären, warum ich so sehr am Saufen festgehalten habe, was ja Einige in Bezug auf ihren xy beschäftigen zu scheint.
Aber mal sehen.
Wenn ich nicht überzeugt wäre, dass Trocken sich lohnt, hätte ich längst wieder angefangen. Aufhören kann ich jedem Zweifler nur empfehlen. Aber ich bin nicht dazu da, jemanden zu überzeugen. Jeder, wie er es braucht.
So weit.