Hallo liebes Forum,
in der letzten Zeit habe ich mich hier hin und wieder ein wenig umgeschaut, und mir gefällt der Austausch sehr gut.
Ich bräuchte Euren Rat, da ich vor einiger Zeit einen Alkoholiker kennen gelernt habe, den ich sehr mag und mit dem sich im Laufe von mehreren Monaten ein enger Kontakt entwickelt hat. Leider weiß ich manchmal nicht recht, wie ich mich verhalten soll, wo ich Rücksicht nehmen, wo ich etwas fordern und wo ich mich klar abgrenzen soll/darf.
Wenn Ihr erlaubt, schildere ich kurz die Situation:
Wir haben uns im Internet, eigentlich über Gemeinsamkeiten im Musikgeschmack kennen gelernt. Etwa drei, vier Monate war es ein eher sporadischer Kontakt, dann wurde es langsam intensiver und immer vertrauter, und seit etwa 1,5 Monaten chatten oder telefonieren wir beinahe täglich. Vor zwei Wochen haben wir uns das erste und bisher einzige Mal getroffen.
Ich wusste schon immer, dass er schwerer Alkoholiker ist. Eine Beziehung kam für mich vor dem Hintergrund nicht in Frage (das sah er genauso), aber dass er mir nah gekommen war, konnte ich eben nicht mehr ändern. Deshalb wollte ich ihn auch gerne einmal persönlich sehen. Als wir uns trafen, war ich ziemlich schockiert von seiner Erscheinung. Es war naiv, mir darüber keine Gedanken gemacht zu haben, denn immerhin hatte er über viele, viele Jahre hinweg eine Flasche Wodka jeden Abend getrunken. In den etwa zwei Wochen vor unserem Treffen glücklicherweise meistens nur ziemlich viel Wein, weil die Blackouts mit dem Schnaps bei unseren Gesprächen zu unschön waren.
Zwar kenne ich einige Leute, die zuviel Alkohol trinken, aber solche äußeren Auswirkungen gibt es da nicht. So etwas kannte ich bis dahin nur von den Obdachlosen auf der Straße. Es war für mich sehr schwer, das mit anzusehen. Er sah so krank aus und tat mir sehr leid. In dem Moment spielte der Gedanke an eine Beziehung erst recht keine Rolle mehr, weil er zu krank und schwach wirkte. Aber ich mag ihn und habe nach unserem Treffen auf ihn eingeredet, dass er sich Hilfe suchen solle. Ehrlich gesagt, war es mir egal, ob ich ihm auf die Nerven falle, denn nichts sagen hätte ja denselben Effekt gehabt. Meiner laienhaften Einschätzung nach würde er keine fünf Jahre mehr leben, wenn er so weitermacht.
Bei meinem Reden dachte ich eher an eine geplante Entgiftung und Entwöhnung, wie man das eben so in den Medien liest, vorbereitet sowohl mental wie auch logistisch. Außerdem fand ich auch wichtig, dass er zunächst einen richtigen eigenen Willen entwickelt. Umso überraschter war ich, als er zwei Tage später einfach mit dem Trinken aufhörte. Ich machte mir wieder Sorgen, weil ich aus den Medien weiß, dass das sehr gefährlich werden kann. Aber stationär oder andere therapeutische Begleitung kommen für ihn momentan nicht in Frage. Da hat er mir eine sehr deutliche Abfuhr erteilt. Inzwischen trinkt er seit fast zwei Wochen nicht mehr.
Dadurch sind wir uns noch viel näher gekommen. Vielleicht hatten wir uns vorher schon ein bisschen ineinander verliebt, aber jetzt erst können wir es uns eingestehen.
Mir machen aber ein paar Dinge Sorgen:
Er sagt, dass er zuerst nur für mich aufgehört habe zu trinken, es für sich nie getan hätte. Inzwischen tue er es für uns, weil er mit mir zusammen sein möchte. Ich sage in gewissen Abständen immer wieder, dass das zuviel Verantwortung für mich sei und er noch mindestens zwei Sicherheitsnetze spannen solle, vielleicht therapeutisch und etwas wie Yoga oder dergleichen. Das sieht er zwar ein, möchte es momentan aber noch nicht.
Des Weiteren kämpft er mit Stimmungsschankungen, ist oft traurig, leidet darunter, dass wir so weit auseinander wohnen und und und. Ich bin derzeit ständig darum bemüht, ihm alle Ängste, Zweifel und die Traurigkeit zu vertreiben, ihm Kraft zu geben, damit es ihm gut geht. Das klappt auch meistens. Aber so langsam mache ich mir Gedanken, ob das nicht viel zu einseitig ist. Er gibt mir auch viel, ich fühle mich wohl und nah, aber es geht immer nur um ihn. Gestern war ich beispielsweise ziemlich niedergeschlagen, da wollte er sich schnell verabschieden und mir überhaupt nicht zur Seite stehen. Ich bin nicht der Meinung, dass man immer zum selben Zeitpunkt gleich viel geben muss. Klar, braucht er mich momentan vielleicht mehr. Aber wenn sich das so einpendelt, kann es doch keine ausgeglichene Beziehung werden. Ich möchte keinesfalls so etwas wie eine Krankenschwester sein.
Ich habe schon gelernt, dass man vermeiden sollte, Druck auszuüben. Aber an welchem Punkt und wie kann ich liebevoll klar machen, dass ich Grenzen habe? Ab wann kann ich verlangen, dass er mehr Verantwortung übernimmt, für sich, für mich in gewisser Weise und für uns?
Es ist alles sehr frisch, sowohl die Trockenheit als auch die Liebe. Deshalb bin ich eigentlich auch froh über die räumliche Trennung, weil ich denke, dass er, aber ich auch aus anderen Gründen, zunächst eine eigene Entwicklung machen müssen, bevor wir für einander bereit sind. Das habe ich ihm schon gesagt, aber es macht ihn sehr traurig.
Ich hoffe, meine Schilderungen sind einigermaßen verständlich und nicht zu wirr. Ich würde mich wirklich sehr darüber freuen, wenn der eine oder andere von Euch dazu ein paar Gedanken niederschreiben würde. Dafür ganz lieben Dank im Voraus.
Susi