Liebe Thalia,
noch nie habe ich mit einer derartigen Beständigkeit, Elan und vor allem Geduld so irrsinnig viele, nicht immer angenehme aber notwendige Dinge erledigen können und mich gleichzeitig so mies gefühlt, weil ich es nicht geschafft habe, hier zwischendurch mal den Griffel in die Hand zu nehmen, um Dir zu antworten.
Wenn ich aber schreibe, möchte ich Dir nicht zwischen Tür und Angel etwas hinklatschen, sondern mir Zeit nehmen.
Es gab tatsächlich Veränderungen ;-). Ich habe schon von jeher immer wieder Gas gegeben, meine to-do-Listen abgearbeitet und mich auch total bemüht. Hatte ich aber endlich alles erledigt und das erreichte Ziel entsprach so gar nicht meinen Vorstellungen, fiel ich wieder zusammen und nix davon war mehr etwas wert. Ich habe endlich verstanden, dass das Leben ähnlich funktioniert wie im eigenen Haus zu wohnen: Irgendwas ist immer :D. Entweder müssen Dinge erledigt werden oder auch repariert oder man investiert freiwillig Zeit und Mühe, weil man sich einen Wunsch erfüllen möchte und z.B. einen Wintergarten baut.
Wir sind nie „fertig“ mit allem, nur gibt es manchmal ruhigere Phasen und dann prasselt wieder eine Menge auf uns ein. Meine „ganz oder gar nicht“-Mentalität habe ich deshalb eingemottet. Jetzt bin ich eher die Jongleurin, die bunte Bälle in alle Richtungen wirft und geduldig wartet, bis sie zurück geflogen kommen und ein wie auch immer geartetes Ergebnis bringen. Dann kann ich sie entweder ad acta legen oder muss noch einmal ranrauschen um nachzubessern.
Der Termin für das Abtrainieren des Mieders war für Mitte März vorgesehen. Ich halte es aber für unsinnig, mich liegend in meine Spezialklinik transportieren zu lassen, nachdem ich bereits so lange sitzen kann. Als selbstständige Patientin habe ich einen Ableger dieser Klinik aufgetan. Dort finden eigentlich nur mehrwöchige Anschlussheilbehandlungen statt, doch sie haben mir zugesagt, dass sie mich eine Woche lang kräftig scheuchen werden, damit ich das Mieder endlich verbrennen kann *hops :-). Diese Klinik liegt viel näher, ich kann zur Not auch allein anreisen und mit ein bisschen Glück kann ich Anfang März bereits dort antreten.
Das wäre zu und zu schön, denn ich freue mich unbändig darauf, wieder in mein Auto zu hüpfen und nicht immer nur stur dieselben zwei Wege abzulatschen.
Letzte Woche hat mir mein Lieblingsorthopäde versichert, dass bei mir keine Schraube locker ist *g* und alle Stäbe sich trotz meiner Kapriolen noch dort befinden, wo sie hingehören. Als ich daraufhin voll neuer Energie zur Tür stürmte, warnte er mich noch vor vereisten Flächen und beschwor mich, nicht auf dem letzten Meter noch eine Grätsche hinzulegen.
So habe ich die Gummi-Nupsies von meinen Walkingstöcken entfernt und kämpfe mich jetzt täglich über die Hügel zum Fischteich, indem ich die Stahlspitzen in das Eis ramme :-).
Ein bisschen Programm habe ich noch. Nach der einen Woche Hardcore-Training werde ich eine Narbe korrigieren lassen, die im letzten Jahr in einem anderen Krankenhaus verpfuscht wurde. Ich kann und will ihnen diese lausige Arbeit nicht durchgehen lassen und außerdem hat sie Auswirkungen auf meine Gesundheit.
Danach werde ich wohl zwei Wochen in einer Hautklinik einfallen müssen. Die letzten Monate haben mir doch sehr geschadet und mittlerweile spritze ich mir dieses fiese Medikament, weil plötzlich ein Gelenk anschwoll.
Seltsam: Das alles juckt mich überhaupt nicht. Drei Ärzte waren in den letzten Tagen nötig um mir endlich zu bestätigen, dass es sich nicht um eine Thrombose handelt – davor hatte ich die ganzen Monate nämlich echt Manschetten. Es ist also keine, das macht mich total glücklich und so werde ich einfach tun, was nötig ist, um mich Stück für Stück quasi runderneuern zu lassen ;-), ich habe ja schließlich noch eine Menge vor in diesem Leben. Das gute Gefühl, dass ich in jeder Hinsicht von Spezialisten Unterstützung bekomme, überwiegt jedenfalls und dafür bin ich einfach jeden Moment total dankbar.
Der Sommerwein und die Nachbarin :-). Ich habe Menschen immer bewundert, die ohne jeden Kommentar und ohne jegliche Erklärung, Rechtfertigung oder weitere Ausführung einfach sagen konnten: Ich trinke keinen Alkohol. Seitdem mir aufgefallen ist, dass auch nie Jemand gefragt wird, warum er bspw. nicht raucht, halte ich beide Fragen für gleichermaßen schwachsinnig und kann mich ebenfalls auf ein kurzes Statement ohne Ausschmückung beschränken. Nun bin ich ja in keiner religiösen Sekte, habe aber früher – je nach Tagesform – ab und zu mal rausgehauen, dass ich aus Glaubensgründen keinen Alkohol trinke. Auf die erstaunte Nachfrage habe ich dann erläutert: Ja, ich glaube nämlich, dass ich mit Alkohol nicht ummmmgehen kann :D. Was natürlich genauso bekloppt war, denn ich glaube es nicht, ich WEISS es. Heute verkneife ich mir den Blödsinn.
Ich habe absolut keine Angst davor, dass Jemand erfährt, dass ich Alkoholikerin bin.
Wenn alle Menschen in meiner Umgebung ihre Krankenakten auf den Tisch schmeißen würden, würde ich keine Sekunde zögern, meine dazu zu packen und damit Quartett zu spielen. Ich sehe bloß absolut keine Notwendigkeit mehr, es allen Leuten aufs Auge zu drücken als hätte ich Röteln und müsste Andere vor Ansteckung warnen. Ich erwähne es immer so, wie es grad passt, denn Alkoholikerin zu sein ist nur eine der vielen Facetten.
Liebe Thalia, die wenigsten Menschen sind wirklich aufrichtig oder haben genügend Rückgrat, ihre Meinung offen zu äußern. Außerdem sind wir alle verschieden. Wenn ich nur einen einzigen Schritt mache, schütteln 999 Menschen fassungslos den Kopf, während ein einziger zustimmend nickt. Soll ich denn tatsächlich mein Leben vergeuden bei dem Versuch, es allen recht zu machen? Würde das nicht bedeuten, dass ich – wenn ich in die Grube sinke – das Leben der Anderen gelebt habe, aber nicht mein eigenes? Und im umgekehrten Fall: Gestalten denn alle Anderen ihr Leben immer so, dass es mir gefällt? Definitiv nicht!
Ich bemühe mich immer, höflich, auch freundlich, aufmerksam und hilfsbereit zu sein, weil es einfach zu mir gehört, aber letzten Endes zählt für mich nur eines: Ich bin gezwungen, mich so zu verhalten, wie ich es für richtig halte, damit ich mich jederzeit im Spiegel ansehen kann.
Ich denke öfter mal an die Begegnung mit der Nachbarin, von der Lena berichtet hat.
Schlussendlich hat Lena´s mutige Offenheit bewirkt, dass sich beide Frauen sogar umarmt haben. Ich vermute aber stark, dass es bisher nicht zu der Einladung zum Tee gekommen ist und diese auch zukünftig ausbleiben wird.
Ich bin nicht misstrauisch, verbiestert oder mit negativer Erwartungshaltung geschlagen, ich sehe die Dinge meist nur so, wie sie sind, ohne enttäuscht zu sein. Wenn man hinter genügend Fassaden gesehen hat, verliert sich die Unsicherheit und auch der Glaube daran, dass alle Anderen Wahnsinnsfunzeln sind, während man selbst besser weiterhin unter dem Teppich läuft, weil man nicht mithalten kann. So lebe ich halt mein Leben, was für die meisten Menschen wohl auch gar nicht passen würde, aber Schnittstellen gibt es öfter mal und so freue ich mich selbst in meinem beschränkten Radius immer wieder auch über kurze Gespräche mit fremden Menschen, die mich füllen, weil ich die Aufrichtigkeit in den paar Sätzen spüre.
Anders ist es mit den Sozialkontakten, von denen ich mich im letzten Jahr distanziert habe. Einer nach dem anderen taucht wieder auf und versucht, erneut anzudocken. Sie haben mir aber nicht gut getan oder mir sogar geschadet und selbst in dieser Phase, in der ich nahezu komplett allein war, ging es mir viel besser als vorher. Ohne jegliche Kritik, die übrigens auch nicht berechtigt war, oder Enttäuschung kann ich heute sagen: Es passte einfach nicht und warum sollte ich einen Weg beschreiten, den ich bereits kenne und der mich nur Kraft und Nerven gekostet hat, weil Jeder von uns so ist, wie er nun einmal ist.
Meine Tochter gehört tatsächlich – wie mein Sohn übrigens auch und ein paar andere Menschen, die ich kenne – zu denen, die für mich das „Salz der Erde“ sind :-).
Es gibt immer noch so viele Momente, in denen ich mich nahezu ungläubig darüber freuen kann, dass ich diesen Menschen begegnen durfte. Klingt vielleicht albern, weil zwei davon meine Ableger sind, doch ich denke ab und zu: Hätt´ja auch ganz anders ausgehen können ;-).
Ich empfinde es übrigens nicht als Ungleichgewicht, wenn wir von Dir im offenen Bereich weniger lesen, denn die Entscheidung, im geschlossenen Bereich mehr und offener von sich zu schreiben, ist doch völlig legitim. Dafür gibt es dieses Angebot.
Mir persönlich ist es völlig schnuppe, ob ich nun von 100 fremden Menschen im geschlossenen Bereich oder 102 fremden Menschen im WWW gelesen werde, aber so geht´s wohl den Wenigsten.
Meine Absicht war ja ursprünglich, eher aktive Suchthilfe zu leisten für die Menschen, die hier im offenen Bereich einfallen und Unterstützung benötigen oder vielleicht sogar ein paar Leute „draußen“ vor den Monitoren zu erreichen, die halb komatäs noch an ihrer Pulle hängen. Mein Thread ist verkommen zu einer Ansammlung von bunten Geschichten und zuletzt eher zu einer Krankenakte. Ich kann mich jetzt – wo ich wieder aus den Augen gucken kann - kaum noch einlassen auf die Anliegen der Newbies, wenn hier in regelmäßigen Abständen seit fast einem Jahr mit der Schließung des offenen Bereiches gedroht wird und ich mich in gleichem Maße immer wieder kollektiv beleidigen lassen muss als selbstsüchtige, egozentrische, egoistische, undankbare und geizige Zecke. Steh´ich nicht so drauf ;-).
Für die Menschen allerdings, die hier ihre eigene Entwicklung über die Jahre nachvollziehen möchten, tut es mir höllisch leid. Ich würde anfangen zu kopieren, bis der Rechner qualmt.
Es wird Zeit, endlich mal eine Entscheidung zu treffen. Für Jeden von uns, geschlossener Bereich vorerst mal ausgenommen.
Ich habe auch gelächelt und mich gefreut, als Du über einen Deiner Träume geschrieben hast. Eine schöne Vorstellung, mein Schuppen müsste natürlich auch in einem kleinen wilden Garten stehen, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, zur Gestaltung auf Lineal und Nagelschere zurück zu greifen. Wild klingt immer gut :-).
Ich wünsche Dir noch eine wunderschöne Woche mit bunten Überraschungen.
Ganz liebe Grüße zurück
Katha