Der "Drei-Jahres-Faden"

  • Hallo Peter,

    Ich erwarte auf meine "Berichte aus dem Grauen" eigentlich keine Antworten, weil ich das kaum jemandem zumuten mag. Aber natürlich freue mich mich trotzdem sehr über Antworten. TEILEN ist ja nicht nur MITTEILEN. Es ist ein Geben und Nehmen.

    ...so, wie ich das hier wahrnehme, antwortet dir, wer antworten möchte...

    Ich antworte dir übrigens auch nur, wenn’s mich anwandelt. 😉

    Wenn’s dir dann tatsächlich eine Hilfe ist, freut mich das natürlich.

    Herzliche Grüße

    AufderSuche

    Einmal editiert, zuletzt von AufderSuche (10. November 2021 um 10:43)

  • Guten Morgen liebe Freunde,

    ich bin noch sehr berührt, wie intensiv ihr an mich denkt und meine Beiträge lest. Natürlich liegt ihr vollkommen richtig, daß ich mir psychologische Unterstützung holen muss. Ich habe einige Male mit der Trauma-Psychologin telefoniert, die mich seit dem Schienen-Suizid vor meinem Zug betreut hat. Auch werde ich das nächste Psychologen-Team für mich in Anspruch nehmen, daß hier im Dorf von Haus zu Haus geht. Momentan mache ich im Grunde Aufarbeitung und Bewältigung auf verschiedenen Ebenen: eine Ebene seid ihr - die Freunde hier im Forum. Eine andere sind meine Spaziergänge abends durch das Dorf und auch das Wohnen hier überhaupt. Und der dritte und nicht unwichtige Punkt ist die Arbeit, die ich sehr gerne mache und bei der ich mich im Moment fast erhole. Ich komme allerdings nicht drumherum, mich diesem gigantischen Elend zu stellen und es zu bewältigen. Das will ich auch.

    Vielleicht entwickelt sich noch etwas mehr daraus. Mein Freund hat mich aufgefordert, die einzelnen Geschichten aufzuschreiben. Die der Nachbarn, der Kollegen und die Geschichten derer, die nicht mehr sprechen können. Es würden kurze Geschichten, ganz ähnlich meinen Kurzgeschichten zu Alkoholismus die ich am Ende meines nassen Lebens geschrieben habe. Damals habe ich mich an alle erinnert, mit denen ich "alkoholisch" in Verbindung war. Ich habe die Menschn in den Geschichten anonymisiert, habe Namen und Orte verändert und losgeschrieben. Bis heute habe ich nur ganz wenigen Menschen davon erzählt - die Geschichten schlummern ausgedruckt in einem Ordner und noch auf einer Datei. Das Schreiben war auch damals Bewältigung meines nassen Lebens und hat ganz wunderbar funktioniert. Vielleicht fange ich einfach mal an, bei meinen Spaziergängen mit den Nachbarn zu reden und sie mit ihrem Einverständnis aufzunehmen und ihnen und mir eine Stimme zu geben. Ich weiss, ich kann das.

    Seit ich trocken lebe, habe ich versucht, mir Gutes zu tun und auf meinem trockenen Weg die Freunde von gestern nicht zu vergessen. Das mache ich heute noch. Wenn ich Menschen in Tunneln oder Park liegen sehe, betäubt von Alkohol und mehr, sehe ich sie als meine Freunde. In dem ich mir helfe, helfe ich anderen. Ich glaube fast, ich habe eine ganze Menge aus allen Selbsthilfegruppen gelernt und mitgenommen, merke ich gerade :lol:

    Danke fürs Lesen! Peter

  • Lieber Peter,

    ich finde das eine großartige Idee mit dem Buch. Zum einen könnte ich mir vorstellen, dass es Dir richtig gut tun kann das ganze sozusagen auf Papier zu verarbeiten, was Dir Die Menschen und auch Du Dir selbst zu sagen hast.

    Und zum anderen glaube ich, dass das, was Du da dann erschaffst eine große Inspiration für viele Menschen werden kann. Ich kenne viele, die genau von solchen Büchern dann "auf Ihren Weg geschickt wurden".

    Ich würde es sofort lesen. Und wenn ich das mal so sagen darf. Wenn Du bei dem Buch den gleichen Schreibstil hast wie hier, die Wortwahl und all die Feinheiten und Tiefen, dann darf das gerne auch ein dickes Buch werden :wink:

    Liebe Grüße

    Optimistin

    Es gibt keine Garantie, dass es besser wird wenn sich was ändert. Aber es muss sich was ändern damit es besser werden kann.

  • Och ne ... vier Sternchen und ein Pokal :)) Früher hab ich darauf gar nicht geachtet, heute werde ich rot :oops:

    Liebe Freunde, liebe Optimistin. Letztere zuerst: ich bin selten neidisch. Aber dein Nickname hat es in sich. Den hätte ich auch nehmen können. Wunderbar! Ich danke dir ganz herzlich für deinen Zuspruch und das tolle Lob. Nicht zuletzt deine Nachricht hat mich angepiekst, das Projekt anzugehen.

    Projekt hört sich hochtrabend an. Aber es steckt mehr darin, als ein paar Geschichten. Heute habe ich früh morgens einen Brief geschrieben. Eine A4-Seite mit dem Titel "Flut-Geschichten / Anfrage". Dahinter steckt meine Idee und die Bitte und Aufforderung an mögliche Menschen, mit denen ich über ihr Schicksal während und nach der Flut reden möchte, sich mir zu öffnen. Ich bitte um deren Vertrauen. Ich biete ihnen Anonymität und ich sage zu, nichts ohne ihr Einverständnis zu veröffentlichen. Ich habe ihnen einen Link mitgeschickt, damit sie erkennen, wie ich schreibe. Zusätzlich überlege ich als Zeichen des Vertrauens, Ihnen zu erzählen, daß ich anonymisierte, sehr persönliche Geschichten über Alkoholismus in Kurzgeschichten geschrieben habe und auch, daß ich selber ein trockener Alkoholiker bin. Noch bin ich nicht sicher, ob ich das tun sollte, aber vielleicht hat hier jemand dazu seine Gedanken. Ich wäge noch ab, ob das zur Vertrauensbildung hilfreich oder notwendig ist, bin aber nicht sicher.

    Heute war in meinem Buch "Kraft zum Loslassen" wieder ein sehr passender Spruch: "Warten Sie ab, bis die Zeit reif ist. Es ist selbstzerstörerisch, Dinge auf die lange Bank zu schieben; aber ebenso selbstzerstörerisch ist es, zu früh zu handeln, bevor die Zeit reif ist." Ich habe das wunderbar auf meine Lage übertragen können. Es ist zu früh, zu gehen. Es ist aber nicht falsch, sich damit auseinanderzusetzen. Vielleicht habe ich mit dem Schreiben ein gutes Werkzeug (wieder-) gefunden, um diese fürchterlichen Monate heile zu überstehen und auch anderen zu helfen.

    Ich danke ganz herzlich fürs Lesen und das ich so vieles hier lassen kann.

    Peter

  • "Momentan mache ich im Grunde Aufarbeitung und Bewältigung auf verschiedenen Ebenen: eine Ebene seid ihr - die Freunde hier im Forum. Eine andere sind meine Spaziergänge abends durch das Dorf und auch das Wohnen hier überhaupt. Und der dritte und nicht unwichtige Punkt ist die Arbeit, die ich sehr gerne mache und bei der ich mich im Moment fast erhole."

    Petter, beim Lesen dachte ich mir: Das ist ja alles schön und gut, aber wo bleiben da die persönlichen Gespräche? Die hättest Du mit Deinem Buchprojekt. Wenn man ankommt und sagt, man schreibt ein Buch, hat man gute Karten, daß die Menschen sich öffnen und mal erzählen. Dann hast Du auch die Gespräche, die Du brauchst. Gute Idee!

  • und auch, daß ich selber ein trockener Alkoholiker bin. Noch bin ich nicht sicher, ob ich das tun sollte, aber vielleicht hat hier jemand dazu seine Gedanken. Ich wäge noch ab, ob das zur Vertrauensbildung hilfreich oder notwendig ist, bin aber nicht sicher.

    Lieber Peter,

    ich hoffe, das Ergebnis irgendwann in gedruckter Form in die Finger zu bekommen.

    Du hast nach den Gedanken zu obigem Satz gefragt.

    Mein Bauchgefühl sagt mir, heb´Dir die Info für´s persönliche Gespräch auf. NICHT weil ich denke, dass es die Menschen abschrecken würde, sondern weil ich denke, dass Du das Vertrauen der Leute durch Dein "so sein" bekommst und nicht weil Du trockener Alkoholiker bist.

    Du bist nämlich viel mehr als das! Und das werden die Menschen spüren und sich öffnen.

    Liebe Grüße

    Ach, und danke für den "Neid" ;)

    "Kopf hoch, GERADE wenn die Sch.... bis zum Hals steht"!

    Optimistin

    Es gibt keine Garantie, dass es besser wird wenn sich was ändert. Aber es muss sich was ändern damit es besser werden kann.

  • Liebe Optimistin,

    super Gedanke, vielen Dank. So werde ich das machen :)

    Manchmal sehe ich vor zuvielen Gedanken den einfachsten und vernünftigsten Gedanken nicht mehr.

    Wie schön, daß es euch gibt.

    Liebe Grüße! Peter

  • Manchmal sehe ich vor zuvielen Gedanken den einfachsten und vernünftigsten Gedanken nicht me

    Fällt mir ein Spruch ein. Denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. :mrgreen:

    Gruß Hartmut

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    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Guten Morgen Freunde,

    danke für Eure Tipps! Die Vorarbeit im Kopf ist richtig spannend. Aus der Idee wird etwas, wenn man es weiterspinnt. "Wieso, weshalb, warum?" kennen wohl die meisten noch von der Maus, aber es sind drei ganz wichtige Wörter. Ich habe "einfach" mit einem Vorwort begonnen und auch die Form des Projektes "Buch" nimmt langsam Gestalt an. Die Menschen zu Wort kommen lassen, das habe ich mir vorgenommen.

    Die Hauptfiguren zu finden ist nicht leicht. Ich brauche Mut, die Menschen anzusprechen, die mir spontan und bei weiterem Nachdenken eingefallen sind. 15-20 habe ich aufgeschrieben und denke bei jedem einzelnen nach, wie ich vorgehe. Drei Zusagen habe ich schon :)

    Ich empfinde Erleichterung, daß ich etwas gefunden habe, mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich habe aber zugleich sehr großen Respekt vor der Verantwortung, denn es ist durchaus möglich, daß meine Gesprächspartner (und auch ich) einige Dinge nur schwer verkraften. Schließlich bin ich kein Psychologe. Ich muss acht geben, wo ich eine Grenze entdecke oder jemand überfordert wird.

    Peter

  • Ich habe aber zugleich sehr großen Respekt vor der Verantwortung, denn es ist durchaus möglich, daß meine Gesprächspartner (und auch ich) einige Dinge nur schwer verkraften. Schließlich bin ich kein Psychologe. Ich muss acht geben, wo ich eine Grenze entdecke oder jemand überfordert wird.

    Mein spontaner Gedanke war: Übernimm dich nicht!

    Du musst und solltest für deine Gesprächspartner keine Verantwortung übernehmen. Es sollte in ihrer Verantwortung bleiben, was es mit ihnen macht, denn du bist kein Psychologe, sondern auch „nur“ ein Betroffener. Sollte es sie überfordern, sind sie selbst gefordert, für sich zu sorgen, schließlich sind sie, wovon ich ausgehe, alle erwachsen und mündig. Ebenso bist du gefordert, auf dich zu achten, dass es dich nicht überfordert.

    Gegebenenfalls kannst du sie vorher darauf hinweisen, dass sie auf sich achten und sich nicht überfordern bzw. über ihre Grenzen gehen.

    Ggf. könnt ihr vorher ein Zeichen für Pause oder Abbruch ausmachen, wenn einer von euch merkt, dass es ihm oder ihr oder dir zu viel wird.

    Vergiss nicht: Du bist ein selbst Betroffener, der, um das Geschehen besser verarbeiten zu können, Geschichten sammeln und ggf. ein Buch davon machen möchte.

    Du bist kein Psychologe und kannst daher auch keine „therapeutische“ (= begleitende) Aufarbeitung leisten.

    Viele Grüße

    AufderSuche

  • Die Hauptfiguren zu finden ist nicht leicht. Ich brauche Mut, die Menschen anzusprechen, die mir spontan und bei weiterem Nachdenken eingefallen sind. 15-20 habe ich aufgeschrieben und denke bei jedem einzelnen nach, wie ich vorgehe. Drei Zusagen habe ich schon :)

    Hier denke ich:

    Lass dir Zeit und lass es langsam wachsen. Drei Zusagen sind doch prima und tatsächlich auch erstmal genug, um zu sehen, was es mit dir macht und was es mit ihnen macht.

  • Da kommt mir noch so ein Gedanke, den ich mit dir teilen möchte....

    Du weißt vermutlich selbst, wie es ist, in einer belastenden Erinnerung, in einem „Trauma“ drin zu hängen und sich darin zu verlieren.

    Und du weißt vermutlich, wie wichtig es in so einem Moment ist, in die Gegenwart, in das Hier und Jetzt zurückzukehren.

    Denke daran, was dir jeweils hilft, ins Hier und Jetzt zurückzukehren, und sichere dich ab, dass auch dein Gegenüber Mittel und Wege kennt. Sei es ein bestimmter Geruch, sei es eine bestimmte sportliche Übung, sei es eine Rechenaufgabe oder eine bestimmte Übung, die den Kopf fordert, sei es ein Massageball und so weiter.

  • Liebe Freunde!


    Gestern vor einem Jahr hat mir eine Zahnärztin meinen Gaumen mit einem Laser verbrannt. Die Folgen und Schmerzen waren so grausig, daß ich das erste Mal seit meinem trockenen Leben an Suizid dachte, und das jede Nacht. Nicht mal an Alk konnte ich wirklich denken, so verzweifelt war ich. Hinzu kam eine erschreckende Kaltschnäuzigkeit der Zahnärztin. Erst im Krankenhaus wurde mir dann geholen, aber zwei Wochen lang befürchtete man, daß der Gaumen nicht wieder zuwachsen könnte. Ich war zutiefst verzweifelt und massiv unter Schmerzmitteln. Nach sechs Wochen Behandlung konnte ich wieder arbeiten und ohne Schmerzmittel leben. Es war das bis dahin schrecklichste Ereignis meinem Leben. Bis zum 14. Juli, als die Flut mein Tal und Dorf zerstörte. Das fordert mich aber vor allem seelisch. ... Um die Zahnärztin kümmert sich nun das Landgericht. Um die Folgen der Flut muss ich mich selber kümmern, aber auch das schaffe ich. Trocken, nüchtern und mit ganz klarem Kopf. Auch in Dunkelheit und Verlorensein trocken bleiben können: das macht mich unendlich froh und glücklich.

    LG, Peter

  • Lieber Peter,

    ich lese bei dir und bin manchmal einfach sprachlos.

    Einen guten Tag wünsche ich dir heute.

    Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Danke, liebe Linde. Ich bin es auch. Als ich das heute früh schrieb, war mir fast schlecht.
    Anfänglich hatte ich eine enorme Wut und auch Hass auf diese Zahnärztin. Irgendwann wurde es anders, ich wollte mich nicht mehr damit belasten und gab es einem Anwalt. Ganz davonkommen lassen werde ich die Dame nicht, das kann ich dann doch nicht zulassen ;) und vor allem habe ich nüchtern die Nerven und den langen Atem dazu. Das wäre ganz anders, wenn ich aus Verzweiflung wieder mit dem Trinken angefangen hätte. Hab´ich aber nicht und dafür geb ich mir ein "Hurra!" :))))

  • Hallo Peter,

    ich möchte dir auch mal wieder einen lieben Gruß hier lassen.

    Hurra!" :))))

    Mit Recht: Hurra! und Respekt!

    Auch mit all diesen schlimmen Dingen im Nacken kommt von deinen Posts auch immer so viel Hoffnung bei mir an.

    Dein Schreiben bestärkt mich sehr, in meinem Leben vieles „leichter zu nehmen“ und dankbar zu sein, dass ich so schlimmes noch nie erleben musste.

    Ich wünsche dir noch ein schönes Wochenende und dass du nie dein positives Denken verlierst.

    Viele Grüße

    Stern

    ⭐️

    Wenn du heute aufgibst, wirst du nie wissen, ob du es morgen geschafft hättest.

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