Eigeninitiative oder Schock...

  • Hallo,

    sorra hat einen Themenvorschlag! Ich denke, das Thema ist für Alkoholiker genau so interessant wie für Angehörige.
    Beide Seiten können da ihre Erfahrungen und Erlebnisse diskutieren.

    Hallo,

    ich habe einen Themenvorschlag: Wieviel bringen Interventionen (der Titel muss nicht eins zu eins so lauten...)

    Über die Überwindung der Alkoholkrankheit, gibt es verschiedene Ansätze.
    In Europa ist es weitverbreitet, dass der Alkoholkranke aus einem bedeutsamen Moment heraus, sich eigeninitiativ Hilfe holt.
    In den USA ist die konfrontative Intervention beliebt, die einen anderen Ansatz verfolgt.

    Ich fände es spannend, welche Ansichten es über diese Methode im Forum gibt und zu diskutieren, wie effektiv diese ist.
    Vielleicht kann man eine kurze Begriffserklärung hinzufügen, falls es nicht jeder kennt.
    Ich habe hier einen gut zusammengefassten Artikel darüber vom Kölner Stadt-Anzeiger herausgesucht, der gut erklärt und einen Fall in Deutschland beschreibt: https://beispiel.rocks/www.ksta.de/ratgeber/gesundheit ... sa-4030654

    Alles Liebe,
    sorra

    Hallo sorra, danke für dieses Thema und ich hoffe, der Titel des Threads ist okay so.

    Viele Grüße
    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Hallo sorra,

    nööö, der link ist doch noch da... :wink: .
    Ich bin gespannt auf den Austausch über dieses Thema!

    Viele Grüße
    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Hallo,

    solange Hilfe hinterhertragen auch nur minimal dazu beiträgt dass der Betroffene dem "soweit sein" einen Schritt näher kommt ist der Nutzen schon erfüllt.

    Bei der doch am Ende doch sehr geringen Erfolgsquote der Versuche diese Krankheit zumindest zu stoppen ist jede Hilfe in meinen Augen besser, ob jetzt hinterhergetragen oder nicht, als gar keinen Hilfe in Anspruch nehmen.

    Gruss,

    Mario B.

  • Hallöchen!

    Ich habe diesen Bericht etwas zwiegespalten gelesen. Meiner Meinung nach hat der Betroffene insgeheim bereits gedacht dass mit seinem Alkholgenuss etwas nicht in Ordnung ist und so fiel die Vorgehensweise auf fruchtbaren Boden.

    Die Norm sieht doch meistens anders aus trotz vieler Maßnahmen errreichen Alkoholiker keine anhaltende Trockenheit. Es werden nun ja viele Therapien angeboten und auch von der Krankenkasse bezahlt aber trotz allem ist die Rückfallquote sehr hoch.

    Bei so einer Vorgehensweise wie in dem Bericht würden viele auch einfach "dicht" machen und sich total unter Druck gesetzt fühlen. Aber wenn der Betroffene denkt er hätte gar kein Alkoholproblem können Verwandte, Bekannte und auch Therapeuten sich dem "Mund fusselig" reden und trotzdem passiert nichts.

    Ja wenn es so einfach wäre würde es viel Leid das durch Suchtkrankheiten ausgelöst wird gar nicht passieren. Aber immerhin ist es positiv dass einige wenige Suchtkranke ihre Sucht in den Griff bekommen.

    Liebe Grüsse Speranza

    Wer nichts ändern will für den ist die Opferrolle die beste Strategie!

  • Hallo,

    ich halte von "Hilfe-hinterhertragen" überhaupt nichts.
    Wenn der Impuls nicht vom Betroffenen selbst ausgeht, wird das nichts mit dem Trockenwerden.
    Viele werden sehr oft einen Schock bekommen.
    Ob einer dieser Schockerlebnisse irgendwann die Eigeninitiative triggert hängt ganz vom Betroffenen ab.
    Manche wählen den Weg in den Untergang.
    Manche wählen einen anderen Weg.
    Ich freue mich über jeden, der den Weg aus der Sucht heraus findet.
    Nur gehen muss diesen Weg jeder für sich allein.

    Viele Grüße
    Correns

  • Ich bin und bleib der Meinung, Süchtige müssen auch gefordert werden.

    Bin der gleichen Meinung. Es scheint mir aber allgemein schwierig, eine allgemein gültige Erfolgsformel zu entwickeln. Letztlich kann man aber sagen, dass es sowieso nur die schaffen, die es selbst wollen. Insofern ist es im Prinzip egal, wie man mit den tendenziell erfolglosen Kandidaten umgeht; der einzige Unterschied in der Statistik ist dann, ob sie eine Entgiftung mit niedriger Erfolgschance beginnen oder nicht.

    Mich persönlich hat das sehr angetrieben, als ich die Statistiken über die Mehrheit der rückfälligen Patienten gesehen habe, da mein Interesse im Leben auch immer nur dann geweckt wird, wenn es scheinbar unmöglich ist.

  • Hallo,

    ich bin wirklich zwiegespalten, was das Thema betrifft. Es wäre natürlich am hilfreichsten, wenn es Statistiken über die Erfolgsquote von den jeweiligen Methoden gäbe (welche wahrscheinlich aber schwer zu erfassen sind). So kann man nur Vermutungen anstellen.
    Ich muss aber auch dazu sagen, dass die Intervention

    1. Nur als Starthilfe bzw. "Wachrütteln" verwendet wird, das heißt den ganzen Weg muss der Betroffene trotzdem selber gehen. Es würde also nicht eine Entzugsklinik oder Selbsthilfegruppe ersetzen. Vielleicht noch eher ein Ersatz für eine Suchtberatungsstelle?
    Das heißt, dem Betroffenen wird auf jeden Fall einiges abverlangt und ihm wird jetzt nicht die Hilfe hinterhergetragen. Es ist mehr eine konfrontative Methode, so wie ich es verstanden habe. Das kann ja auch krass auf viele wirken, wenn dann alle aufmarschieren und du mit etwas konfrontiert wirst, was du nicht wahrhaben möchtest.
    2. Denke ich auch nicht, dass die Angehörigen wissen, was gut für den Alkoholiker ist, deshalb ist ja auch immer ein Fachexperte dabei, der das leitet. Ohne dem, würde ich die Aktion auch fragwürdiger finden. Aber der Leiter der Intervention gibt der Sache einen anderen Rahmen, wie wenn nur Freunde o.a. konfontrieren würden.

    Man könnte sagen der Realisierungsprozess der für Handlungsbedarf nötig ist, ist der größte Unterschied zwischen der europäischen und amerikanischen Herangehensweise, dann verlaufen die Heilungswege ähnlich.
    Ich finde es interessant, wie sich die Überlegungen zur Suchtbekämpfung, von Kultur zu Kultur unterscheiden. Und wie diese dann wahrgenommen werden. Für manche wäre eine Intervention viel zu heftig und ein großer Eingriff in die Freiheits (?)-rechte, für andere ist es vielleicht der kleine Stoß in die richtige Richtung, auf den sie nur gewartet haben.
    Zuerst wollte ich schreiben, dass die Interventionsmethode meiner Meinung nach mit einem großen Risiko verbunden ist. Aber nach einiger Überlegung ist auch das "Tiefpunkt/bedeutender Moment als Anstoß zum Handeln"-Prinzip sehr riskant.

    Ich bin nicht der Meinung, dass Suchtkranke zum "Nullpunkt" kommen müssen, damit sie die Dinge realisieren. Was nicht heißt, dass die Intervention die einzige Alternative ist.
    Es gibt zum Beispiel Studien von Orten (ich denke Portugal zB), wo es Suchtkranken - in dem Fall Abhängige von illegalen Drogen wie zB Heroin - erlaubt worden ist, ihre Sucht legal und im sicheren Umfeld zu konsumieren. Das führte dazu, dass die Leute nicht in die kriminelle Szene und diese Teufelsspirale abrutschen und dann leichter die Sucht bekämpfen konnten. Da Sucht ja auch eine Art von Flucht vor Problemen ist, oder Flucht vor einem Leben, das nicht lebenswert wirkt. Und Sucht und Probleme sind in einer Wechselbeziehung, in der sich beide gegenseitig verstärken. Auch ein anderer Ansatz.

  • Hallo sorra,

    so Statistiken sind ja immer eine heikle Sache. Meiner Meinung nach. Kommt immer darauf an, wer sowas in Auftrag gibt zum Beispiel.

    Ich denke, jeder Mensch ist einfach unterschiedlich. Zwar ist der Verlauf der Krankheit immer in etwa gleich, aber trotzdem steht immer noch eine Persönlichkeit ja auch dahinter. Darum kann auch der "Nullpunkt/Tiefpunkt" ganz unterschiedlich sein. Ich habe da schon von sehr, sehr vielen Tiefpunkten gehört und gelesen. Einige waren ganz unten, so wie Karsten hier, bei anderen war es der epileptische Anfall beim Versuch mal nicht zu trinken weil die Frau gemeckert hatte.

    Und immer hat da nur gezählt, dass da beim Betroffenen selbst der innigste Wunsch war aufhören zu wollen.

    Ich habe als aktive Coabhängige bei meinem Exmann alle möglichen Dinge versucht (hört sich das jetzt blöd an, ist aber so) um ihn vom Saufen weg zu bekommen. Er selbst hatte auch körperliche Dinge und doch, er war mal 4 Jahre lang trocken, dann ging es wieder los. Einfach, weil er es so wollte. Bei meinem Ex war übrigens der Auslöser für seine 4-jährige Pause, dass eine Hitzewelle angesagt war und er Angst hatte, die im Suff nicht zu überleben. Und gleichzeitig war ich am Ausziehen aus unserer Wohnung damals.

    Zitat

    Es gibt zum Beispiel Studien von Orten (ich denke Portugal zB), wo es Suchtkranken - in dem Fall Abhängige von illegalen Drogen wie zB Heroin - erlaubt worden ist, ihre Sucht legal und im sicheren Umfeld zu konsumieren. Das führte dazu, dass die Leute nicht in die kriminelle Szene und diese Teufelsspirale abrutschen und dann leichter die Sucht bekämpfen konnten.

    Auch Alkohol ist eine Droge! Ganz klar! Auch Nikotin. Und beides wird legal und im sicheren Umfeld konsumiert! Du bekommst überall Alkohol zu kaufen. Alkohol zu trinken ist geradezu ja eine "Kultur", wird positiv beworben und ist völlig "normal". Der einzige Unterschied zu Heroin und Co ist eben, dass es legal ist, mehr nicht.

    Viele Grüße
    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Hallo,

    ich spreche jetzt von mir: Für mich gibt es nur eine Methode zur Genesung, und die liegt in mir selbst begründet. Genesung von außen funktioniert für mich nicht - lediglich Unterstützung und Hilfe zur Selbsthilfe. Niemand kann den Weg für mich gehen.
    Wenn ich so Dinge lese wie "Jemand kam von außen und nahm die Dinge für mich in die Hand" (so oder so ähnlich ein Zitat weiter oben in diesem Thread), sehe ich das problematisch. Letztlich bin ich persönlich überzeugt davon, dass nur die Eigeninitiative für mich zum Erfolg führt, denn diese setzt voraus, dass man akzeptiert hat, Alkoholiker zu sein. Da konnten mir Menschen von außerhalb aber hundertmal sagen, dass ich ein Alkoholproblem habe - solange ICH es nicht akzeptiere und annehme, ist die Genesung schwierig. Ich weiß, dass ich mich vom Saufen nur selbst wegbekomme. Das kann niemand für mich tun. Niemand kann für mich auf das erste Glas Bier verzichten. Niemand kann für mich die begleitenden, seelischen Prozesse übernehmen. Niemand kann für mich mein Leben ändern. Niemand kann für mich lernen, wie ich mit meiner Nüchternheit umgehe (was ich in meiner Saufzeit nicht konnte, sonst hätte ich nicht gesoffen). Ich kann Unterstützung dabei erhalten, und für diese bin ich auch dankbar. Aber die Schritte, um trocken zu werden bzw. zu bleiben, liegen bei mir.

    Gruß,
    Herr Palomar

  • Hallo!

    Von mir häufig beobachtet ist das Zusammenfallen von beiden Faktoren: Der Schlüsselreiz von außen (Arbeitgeber, Familie, Führerscheinstelle), der auf eine entsprechende Einsicht beim Betroffenen trifft.

    Es nutzt der beste Anreiz von außen nichts, wenn der Betroffene selbst noch nicht so weit ist.

    So war es bei mir. Ich war nicht mehr in der Lage, Saufpausen einzulegen, wie es mir früher, als ich mir selbst einen vorgemacht habe, gelungen ist. Das war genau zu dem Zeitpunkt, als mir die Familie die Pistole auf die Brust setzte.

    Aber das ist Jeder doch anders gestrickt. Es gibt genug Fälle, in denen der Alkoholiker erst sprichwörtlich in der Gosse liegen oder mit einem Bein im Grab stehen muss, bis er innerlich bereit ist, sich seiner Krankheit zu stellen. Andere schaffen den Absprung schon früher, bevor sie ganz unten angelangt sind.

    Gruß
    Carl Friedrich

  • Es nutzt der beste Anreiz von außen nichts, wenn der Betroffene selbst noch nicht so weit ist.

    Ja, das wollte auch ich mit meinem Post ausdrücken.
    Ein Anreiz von außen kann natürlich einen Denkprozess in einem selbst auslösen, der dann letztlich in der Einsicht gipfelt, dass man alkoholkrank ist.
    Aber wie du richtig sagst: Wenn man selbst noch nicht so weit ist, geht das ins Leere.
    Mir hat 2013 das erste Mal eine gute Freundin gesagt, dass sie mein Trinken für problematisch hält, und mir geraten, Hilfe zu suchen.
    Das habe ich ignoriert und mich weiter selbst belogen, sogar noch schlimmer als zuvor, da ich mir angesichts dieser - von mir als Vorwürfe empfundenen - Ausführungen meiner Freundin noch mehr in den eigenen Sack gelogen habe, weil ich das Thema ab diesem Zeitpunkt, als es für mich nach Außen getreten war, noch intensiver verdrängt habe. Es hat dann noch fast 5 Jahre gedauert, bis ich mir selbst eingestanden habe, dass ich Alkoholiker bin, und ich nicht kontrolliert trinken kann, auch wenn ich es mir noch so oft einreden wollte.

  • so Statistiken sind ja immer eine heikle Sache. Meiner Meinung nach. Kommt immer darauf an, wer sowas in Auftrag gibt zum Beispiel.

    Es gibt Entgiftungsstatistiken der Entzugskliniken, die besagen, dass 70 - 85 % innerhalb des ersten Entzugsjahres rückfällig werden. Inwiefern so eine Statistik "immer eine heikle Sache" sein könnte, erschließt sich mir nicht. Selbst, wenn die Fehlerquote bei 25 % liegt, ist es offensichtlich, dass die meisten Patienten rückfällig werden, obgleich dies bereits jene Alkoholiker sind, die eine gewisse Notwendigkeit im Entzug sehen oder zumindest kurzfristig keinen anderen Ausweg sehen.

  • Ich glaube das Ganze ist sehr abhängig von der betroffenen Person. Es kann durchaus sein dass bei einigen durch die Intervention der Denkprozess angeregt wird und das Ganze den Start zum Umdenken ermöglicht. Gleichzeitig sehe ich auch die Gefahr dass manche Personen dann komplett dicht machen und sich eher von ihrer Familie abwenden als die Hilfe anzunehmen.
    Ich glaube dass jeder seinen eigenen Punkt hat an dem ihm bewusst wird dass er etwas ändern muss. Ob das nun immer ein Tiefpunkt sein muss glaube ich eigentlich nicht. Ich persönlich hatte zum Beispiel auch keinen richtigen Tiefpunkt. Ich hatte meinen Job nicht verloren, bin nicht betrunken Auto gefahren oder sonst irgendetwas.

    Ob das Ganze auf eine dauerhafte Abstinenz hinausläuft wird auch davon abhängig sein ob das Ganze nur eine Starthilfe zum Umdenken war. Wer weiter Trinken will der macht das auch. Die Frage ist nur wann er wieder damit anfängt. Ich glaube nicht, dass eine erzwungene Abstinenz eine dauerhafte Abstinenz sein wird. Dieser Zwang kann allerdings der Anstoß sein z.B. in die Suchtberatung zu gehen und später kann das Umdenken statt finden.
    Aber wenn damit auch nur wenigen auf Dauer geholfen werden kann, dann lohnt es sich in meinen Augen trotzdem.

    Was meiner Meinung nach viel mehr helfen würde ist allgemeine Aufklärung. Alkohol ist bei uns gesellschaftlich komplett akzeptiert und toleriert. Es ist nicht ungewöhnlich dass viele sich am Wochenende komplett abschießen und das wird überall als ganz normal hingenommen. Als Raucher wird man heutzutage überall darauf hingewiesen wie schlimm das doch ist. Es gibt Rauchverbote noch und nöcher, Bilder auf den Zigarettenschachteln, extrem hohe Steuern auf Tabak,.... Warum ist das bei Alkohol anders? Zumal ich beim Zigarettenkonsum noch Herr meiner Sinne bin(weswegen es für mich deutlich weniger schlimm ist als Alkohol) Würde über Alkohol so aufgeklärt werden wie über Tabak, dann würden sicherlich viel mehr Menschen ihren Konsum kritisch hinterfragen. Jetzt bin ich wohl etwas abgedriftet :D

  • Guten Morgen,

    auch wenn Du, cpt, glaubst abgedriftet zu sein, sehe ich gar nicht mal so. Ich sehe vieles ähnlich. Bei mir war es auch schmerzhaft, meine Krankheitsansicht für mich zu verfestigen. Aber wenn ich nicht durch äußere Einflüsse, durch Andere, sehr oft darauf gestossen worden wäre, hätte es vermutlich noch länger gedauert, wäre vermutlich noch schmerzhafter geworden, dabei hat es mir so auch schon gereicht. Die Hilfestellung, die Karsten beschrieben hat, ist bei ihm eben so aufgegangen, wie er es beschrieben hat. Hätte aber auch anders ausgehen können. Deswegen halte ich Hilfestellungen oft für wirklich hilfreich, was die Einzelnen daraus machen, das kann man/frau nicht wirklich absehen. Ich finde es wert, es mal zu versuchen, genauso wie ich weiß, daß Versuche ins Leere laufen können. Diese Risiken wurden bei mir ja auch versucht, irgendwann hat es Klick gemacht. Genau so wie ich weiß, daß dieser Klick keine Grantie für die Ewigkeit bedeutet.

    Grüße Ingrid

  • Ursache und Wirkung, das ist ja so ne Sache, nicht nur in der Sucht. Aber gerade da bin ich (als Süchtige) immer gerne mal auf der Suche nach der linearen Beziehung von zwei Dingen miteinander gewesen. Und damit auf dem Holzweg. So wie es hier und anderswo auch von Angehörigen lese. Wenn ich x tue, passiert dann y oder doch z oder gar nichts?

    Nicht nur ist es total individuell, sondern auch bei mir Individuum ein Zusammenspiel von ganz vielen Dingen, die es mir ermöglicht haben, wirklich zu verinnerlichen, dass ich alkoholkrank bin, (oder co-abhängig, oder ... ).

    Daher kann doch nur die Devise für (mich als) Angehörige sein: tun, was ich vor mir vertreten kann. Was für mich notwendig ist. Und versuchen zu verstehen, dass das alles ist, was ich tun kann, und dass die Wirkung auf den anderen überhaupt nicht ausrechenbar ist.

    Ich denke im Rückblick an manche kleinen Dinge, Worte oder Gesten von Menschen um mich herum, Situationen, in denen ich war oder denen ich gerade noch so entging, und alle führten im Zusammenspiel und in ihrem jeweiligen (zeitlichen) Kontext dazu, dass ich seit knapp fünf Jahren trocken bleiben kann.

    Es ist so schwer, wirklich bei sich zu bleiben. Sicherlich ganz besonders als Angehöriger eines aktiv Suchtkranken. Aber auch mir fällt es hartnäckig schwer. Ich übe weiter. Auch hier.

    Gruß, Thalia

  • Liebe Thalia,

    ich finde deinen Beitrag gerade sehr gut und er spricht mich richtig an!

    Ich denke es ist immer ähnlich. Egal in welcher Abhängigkeit oder Lebenslage ich stecke. Ich kann nur etwas ändern, wenn es wirklich aus mir selbst heraus kommt. Und dieser Zeitpunkt ist individuell, hängt von der Persönlichkeit eines Menschen ab.

    Ich kann da ja jetzt nur aus meiner eigenen Sicht und Erfahrung schreiben. Ich war ja wirklich sehr, sehr lange in der Coabhängigkeit. Habe mich regelrecht daran festgehalten. Das hatte verschiedene Gründe. Vor allem war es Angst und ein Pflichtgefühl, meine Prägung, weibliche Sozialisierung. Die Angst setzt sich dabei aus verschiedenen Ängsten zusammen, ist eine Art Oberbegriff.

    Im Laufe der Ehe-Jahre hatte sich da etwas entwickelt. Zuerst war es eine Unzufriedenheit in der Ehe, die ich mit verschiedenen Dingen kompensiert habe. Aus der Unzufriedenheit wurde mehr und mehr aber ich habe nichts dagegen unternommen. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich da was ändern könnte. Für mich war es "normal" und bot mir trotz allem einen Rahmen, in dem ich leben wollte, an dem ich festhalten wollte. Irgendwie gab der mir ja Sicherheit.

    Die Situation wurde immer unerträglicher und Menschen sprachen mich ja darauf an bzw redete ich mit engen Freunden oder in der Familie darüber, beklagte mich, jammerte, aber echte Hilfe wollte ich nicht. Ich habe alles abgewiesen und wollte nur in meiner Not bestätigt werden und Bedauern bekommen. Ideen einer Veränderung konnte ich gar nicht aushalten. Ich steckte im Leid fest und war unfähig, was zu verändern.

    Irgendwann merkte ich aber doch, dass ich was machen muss. Es ging mir ja immer schlechter. Ich ging also zu einer Suchtberatung, war bei einer Selbsthilfe-Organisation, einer ganz kleinen hier in Berlin, und habe da mit einer Betroffenen geredet. Da war ich dann immer erst mal auch motiviert aber das hielt immer nicht lange vor. Und ich steckte wieder im alten Verhalten. Es kam mir alles so umständlich und beschwerlich vor und ich hatte für mich selbst 1000 Ausreden, warum ich gerade jetzt nichts ändern konnte. Immer war da Angst (als Oberbegriff) und Prägung. Diese Muster waren sehr stark und ich war nicht in der Lage, sie zu durchbrechen. Ich hatte mich einfach irgendwie meinem Schicksal ergeben und war nicht erreichbar. Meine Freundinnen redeten schon recht deutlich zu mir und ich war dann regelrecht wütend auf sie.

    Die hatten gut reden, so meine Gedanken, die würden ja im gemachten Nest sitzen und wüssten gar nicht, was das alles heißt. Ich wollte zwar jammern und meinen Frust los werden aber Hilfe konnte ich nicht annehmen.

    Es war kurz vor 12 gewissermaßen, da hat es endlich geschnackelt bei mir. Da war ich so am Ende dass ich nicht mehr leben wollte. Alles erschien mir völlig sinnlos und ich hatte schon kaum noch Würde und Selbstachtung für mich übrig. Da endlich, endlich konnte ich handeln! Hilfe annehmen, verändern. Erst da kam ein Prozess in Gange, der bis heute läuft. Meine Ängste und Sozialisierungen waren und sind ja noch immer auch da, sie sind ein Teil meiner Persönlichkeit. Aber ich habe gelernt, mit ihnen umzugehen, anders umzugehen als vorher. Und das ermöglicht mir zu handeln.

    Das ist also meine Erfahrung als Coabhängige, die auch einen individuellen Tiefpunkt brauchte, um in die Puschen zu kommen. Meine Tanten hatten diesen Punkt anscheinend überschritten, denn sie haben es nie geschafft, da raus zu kommen. Und diese schlimmen Beispiele haben mir schlussendlich mit die Augen geöffnet. Dann als ich erkennen konnte, wie sie gelebt und zugrunde gegangen waren. Und das wollte ich nicht...

    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Danke für die Worte Aurora, Du sprichst mir aus der Seele. Auch bei mir musste es erst diesen Punkt geben, an dem mir klar wurde: entweder ich ändere was oder gehe vor die Hunde. Aber dafür lebe ich zu gerne. Veränderungen waren schmerzhaft und viele musste ich vom Kopf her umsetzen, weil mein Gefühl völlig dagegen war. Einiges ist mir gelungen, anderes nicht so, aber der Weg führt zu einem zufriedenen Leben. Ich durfte meine Sicht auf vieles ändern und eine Menge über mich lernen. Im Nachhinein war es gut für mich, dass ich mich (zugegeben nicht ganz freiwillig) auf diesen Weg begeben habe.

    Zum Thema: In der Konfrontationssituation hätte ich vermutlich dicht gemacht und niemand an mich ran gelassen. Aber ich denke, es ist auf jeden Fall einen Versuch wert. Es tickt ja jeder anders. Ich jedenfalls habe die Erfahrung gemacht, dass ich erst einen Tiefpunkt brauche um in die Puschen zu kommen.

    sonnige Grüße
    Lütte

    "In dem Moment, wo Du eine Entscheidung triffst, formt sich dein Schicksal"

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