Hallo zusammen,
ich kopiere meinen Text aus der Vorstellung. Hoffe, das ist okay so.
ich heiße Klaudia und mein Partner ist Alkoholiker. Wir sind vor einem halben Jahr zusammengezogen. Wir waren vor unserem Zusammenziehen erst ein halbes Jahr zusammen, er hat mir direkt am Beginn unserer Beziehung gesagt, was Sache ist, somit "wusste" ich Bescheid. Theoretisch. Im Zusammenleben zeigt sich die häßliche Fratze des Alkohols und auch die Fratze, in die sich mein Partner verwandelt.
Ich habe viele Dinge gnadenlos unterschätzt.
Ich habe die Vierzig überschritten und bringe selbst Lebensgeschichte mit, die ich zwar bestmöglich aufgearbeitet fühle, die mich aber sicher in der Beziehung zu meinem Partner beeinflusst. Ich weiß um die Gefahr der Co-Abhängigkeit und sicher habe ich die Tür dazu längst aufgemacht.
Die Frage liegt nahe, warum ich bei meinem "Wissen" nicht gehe.
Ich bin nicht an diesem Punkt.
Ich setze mich damit auseinander und dieser Weg ist nicht meine letzte Option, aber eben auch nicht die erste.
Dass ich nicht gehe, obwohl ich "weiß", hat viel mit meiner eigenen Lebensgeschichte zu tun. Viel gelitten und entbehrt und mich in mein Leben gekämpft. Ohne Menschen, die an mich geglaubt haben, wäre ich nicht hier.
Ich glaube an meinen Partner. Und liebe ihn, fühle mich ihm verbunden.
Warum ich an ihn glaube?
Er ist einer von vier Geschwistern. Sein Vater war Alkoholiker, ist letztlich an den Folgen gestorben.
Sein Bruder war Alkoholiker und ist mit Mitte vierzig gestorben.
Mein Partner lebt noch.
Vielleicht ist er "widerstandsfähiger". Vielleicht hatte er mehr "Glück", aber er ist noch hier.
Mein Partner ist genauso krank wie sein Vater und sein verstorbener Bruder, das ist mir klar und alles, was ich in meiner Unwissenheit und vielleicht auch Naivität anfangs unterschätzt habe, habe ich in diesem halben Jahr zusammen leben schmerzhaft erfahren und lernen müssen.
Mein Partner arbeitet hart, trinkt in der Woche nur ganz selten. Freitags am Abend läßt er sich dann völlig in den Alkohol fallen. Billigwodka und "Markennamen entfernt", zum Nachspülen vier Dosen Bier, das ist die Regel. Wenn er einen gewissen Pegel erreicht hat, versinkt er oft im totalen Schmerz, weint hemmungslos. Er sagt mir in solchen Momenten "sieh zu, dass Du Land gewinnst...ich zieh Dich mit in den Abgrund...".
Totale Nähe kann innerhalb einer Sekunde zu Eiseskälte und Aggression werden.
Die Aggression beschränkte sich auf verbale Ausfälle, die ich nicht runterspielen will.
Gestern abend war etwas anders.
Ich war zum Essen verabredet. Er wäre eigentlich mitgegangen, hat dann aber abgesagt, weil er noch Arbeit reinbekommen habe. Er macht Homeoffice.
Er hatte mich vorher gebeten, ihm vom Einkaufen "Markennamen entfernt" mitzubringen. 0,3 Liter waren das insgesamt, er verlangte nicht nach Bier. Ich habe mir schon oft gesagt, vorgenommen und geschworen, ihm keinen Alkohol mitzubringen und ihm gegenüber auch formuliert, dass ich ihm zumindest keinen Schnapps mehr mitbringe. Selten und mit jedem Mal zuviel habe ich es dann doch getan, so dann auch gestern. Er hatte diese 0,3 L "Markennamen entfernt" hier, ich hoffte, dass ihm das genug ist und er einfach schlafen geht.
Er hatte mir aber irgendwann eine Nachricht geschrieben, ich solle ihm noch nen "Markennamen entfernt" mitbingen. Ich entschied, es zu ignorieren.
Fuhr nach Hause und als ich an der Ampel stehe, sehe ich ihn mit seinem Auto abbiegen, ebenfalls auf dem Weg nach Hause.
Ich wurde wütend, fühlte Hilflosigkeit, Verzweiflung. Ich wußte, er hat die 0,3 Liter "Markennamen entfernt" getrunken und hat sich ins Auto gesetzt, um Nachschub zu holen.
Wir kamen gleichzeitig zu Hause an. Ich sagte nur "ich denke, ich muss nichts sagen."
Sein Gesicht sprach Bände, er fühlte sich ertappt und überführt, ich sah im an, dass er sich schämte.
Er hatte sich eine große Flasche "Markennamen entfernt" geholt, die er auch trank.
Ich trank einen einzigen mit.
Ich entschied, mich nicht meiner Hilflosigkeit und Traurigkeit, die sich in solchen Momenten auch schon in Wut entladen hat, hinzugeben.
Nickte zu Wortschwällen, ignorierte Provokationen und spielte zwischendurch mit meinem Handy.
Ich kann rückblickend nicht sagen, wie es passiert ist.
Irgendetwas traf mich im Gesicht, ich spürte Schmerz und ich spürte, wie mir Blut am Gesicht entlanglief.
Entweder hat er tatsächlich etwas nach mir geworfen oder er hat seinen Arm ausschweifend bewegt und hat mich mit seiner Uhr im Gesicht getroffen.
Es war aber keine Attacke im Sinne von "er hat mich geschlagen".
Letztlich ist das egal. Meine Platzwunde habe ich anderthalb Stunden später im Krankenhaus kleben lassen.
Meine Reaktion auf meinen Schmerz im Gesicht und das Spüren meines eigenen Blutes hat mich selbst Kontrolle verlieren lassen. Schüssel auf den Boden geschmettert, sein Glas mit dem "Markennamen entfernt" irgendwohin gepfeffert, mein Handy gegen die Wand geschmissen und er hat meine Hände als allererste Reaktion auf Beinen und Armen gespürt.
Sein Kontrollverlust stand meinem gegenüber. Er erschrak über mein Blut im Gesicht, er fasste selbst in die Scherben der zerdepperten Schüssel, blutete dann auch.
Machte sich später über meinen "Kratzer" lustig, ging selbst mit blutender Hand ins Bett. Ich fuhr dann ins Krankenhaus, war schnell versorgt und kam nach Hause, er schlief.
Wachte irgendwann auf, wollte wissen, ob ich im Krankenhaus war. Sorge, die beruhigt wurde, kippte wieder in sich lustig machen. Er ging irgendwann schlafen.
Stand heute morgen um 7 auf, war noch ziemlich alkoholisiert, setzte sich an seine Arbeit.
Seitdem begegnen wir uns in unserer Wohnung für Augenblicke.
Er zunächst eiskalt, sagte heute morgen "das war es dann wohl".
Ich sagte ihm vor einer Stunde "das hier ist ein Tiefpunkt. Die sind für genau eine Sache gut. Wir sind wohl beide an einem Tiefpunkt. Ich will Dich nicht verlassen und ich will unsere Beziehung nicht kampflos aufgeben. Du wirst Deinen Kampf haben und ich habe meinen. Und vielleicht unseren zusammen. Das will ich Dir sagen."
Wir konnten eben zusammen eine Zigarette rauchen. Er spricht nicht viel. Es gibt Spuren dieses Kampfes am Abend, die ich nicht zu beseitigen beabsichtige.
Ich lasse sie nicht als Vorwurf bestehen, ich will aber auch nicht den Radiergummi nehmen und den Abend wegradieren in seiner nachträglichen Sichtbarkeit.
Ich sehe ihn, wie er sie ansieht und ich sehe ihm Schmerz an. Wir schweigen beide für den Moment, ich lasse ihn und er lässt mich.
Warum habe ich mich nun hier angemeldet?
Ich habe von Anfang an drei Freundinnen eingeweiht. Aber sie sind Freundinnen, nicht betroffen und nicht erfahren.
Ich hoffe hier im Forum aus Austausch. Vielleicht ist es sogar der "erste" Schritt zum Gehen.
Ich fühle mich da nicht. Aber ich ignoriere diese Türe nicht, sie ist genauso sichtbar.
Danke fürs erste Lesen.
Klaudia