Dieses komplizierte Leben - überall Baustellen

  • Guten Abend in die Runde.

    Ich hab mich heute hier im Forum angemeldet weil ich so etwas wie ein Sicherheitsnetz benötige - ich glaub ich hab Angst.

    Ich bin weiblich, mitte 30, Mutter von zwei kleinen Kindern, der Kindsvater ist seit fast 1,5 Jahren trockener Alkoholiker. Wir verbringen jetzt viel Zeit als Familie zusammen, trotzdem haben er und ich seit seiner Suchtaufgabe jeweils eine eigene Wohnung.

    Dieser Teil meines Lebens ist in produktiver Arbeit, gerne möchte ich später mehr dazu erzählen und schreiben. Ich lese seit ungefähr 2 Jahren in diesem Forum mit und es hat mich mit den ganzen wertvollen Beiträgen der verschiedenen Mitglieder durch turbulente, wütende, verzweifelte, resignierte und einfach nur traurige Zeiten begleitet.

    Ja, vielleicht bin ich eine der wenigen „Glücklichen“ deren Alki-Partner Einsicht hatte, darauf hin trocken wurde und sie lebten wie fast jedes andere Normalo-Paar auf diesem Planeten irgendwie bis an ihr Lebensende…

    Das beschissene Los der Co-Abhängigkeit ist knapp an mir vorüber gegangen und dafür bin ich unendlich dankbar! Im Grunde haben meine Kinder mich gerettet: als mir dämmerte, dass der Vater Alkoholiker ist, war mir klar, dass ich mich trennen MUSS. Weil ich das meinen Kindern nicht antue. Das einzige was schlimmer ist als ohne Vater aufzuwachsen ist, mit einem suchtkranken Vater (und einer co-abhängigen Mutter) aufzuwachsen.

    Diese damals erstmal rationale Entscheidung (Hirn an, Herz aus) führte überraschenderweise zum Wendepunkt des Papas; er hatte Einsicht und darauf seinen Entschluss gefasst, den er bis heute durchzieht.

    Das klingt so einfach - wie ich es hier kurzgefasst runter schreibe. Ich denke ihr ahnt, dass es das ganz und gar nicht war und immer noch nicht ist.

    Warum ich mich hier jetzt aber melde ist, weil meine alkoholkranke, depressive Mutter in wenigen Wochen in meine direkte Nähe ziehen wird - von mir und meiner Schwester so auch gewollt und organisiert.

    Ich bin durch und durch ein EKA (meine Schwestern natürlich auch) und nun geht mir der A auf Grundeis, um es mal so zu formulieren.

    Meine Mutter ist derzeit (noch) abstinent. Im Sommer letzen Jahres sind meine Schwester und ich zu ihr gefahren (350km Entfernung) und haben sie verwahrlost weil schwerst depressiv (hat das Haus kaum mehr verlassen) in die Psychiatrie gebracht. Es war das volle Programm: Vorsorgevollmachten, das Haus kündigen (Mietvertrag), Haus leer räumen, sich mit dem Vermieter rumschlagen, gleichzeitig die Insolvenz nebst Vollstreckungsbescheide abwenden, Krankenversicherungsschutz wieder herstellen, Hartz IV beantragen… das alles mit 2 Kleinkindern und 2 Babies im Schlepptau. Es war ein Riesenberg Mist - und der Grund, warum meine Mutter nun nur einen Kilometer entfernt eine neue Wohnung bezieht.

    Ich hab lange abgewogen was und warum ich es tue - es läuft darauf hinaus, dass ich und meine Schwestern immer ihre direkten Angehörigen bleiben und wir deswegen immer (spätestens wenn sie stirbt) uns um ihren Mist kümmern müssen. In diesem Ausmaß wie letzten Sommer will ich das NIE wieder machen müssen, deswegen regeln wir jetzt die Rahmenbedingungen ihres Lebens (Hartz IV, Wohnung, Bankgeschäfte).

    Sie hat ungefähr seit 7 Monaten keinen Alkohol mehr getrunken - weil sie zu depressiv war sich welchen zu kaufen. Nun ist sie in psychiatrischer Behandlung gegen die Depression, gegen ihre Alkoholkrankheit hat sie bisher noch nichts aus eigenen Antrieb unternommen.

    (Einfach nur nichts trinken klappt halt nicht auf Dauer - wenn man suchtkrank ist. Deswegen ist meine Prognose für die Zukunft eher düster, ich hoffe, ich irre mich.)

    Also: Ich bin EKA, hab zwei noch sehr bedürftige, weil kleine Kinder, einen frisch-trockenen Kindsvater und eine alkoholkranke/depressive Mutter… Ich will meine kleine, sichere Welt für die ich so gekämpft habe, behalten. Es fühlt sich wie ein Drahtseilakt an, an allen Fronten gleichzeitig zu kämpfen und dabei trotzdem die nötige Ruhe, Liebe und Wärme zu erhalten, die den Kern meiner Familie (ich und die Kinder) stabilisieren.

    Mich vom Kindsvater zu distanzieren und emotional zu trennen, war sehr viel leichter (und das war schon sauschwer), bei meiner Mutter kostet es mich richtig viel Kraft, nicht auf ein Gefühlskarusell zu steigen, sondern schön distanziert und emotional weit weg zu bleiben.

    Wie ein Albatros, der sicher und hoch auf dem Wind, weit über dem aufgewühlten, gefährlichen Meer fliegt. So viel zu meiner bildhaften Wunschvorstellung.

    Ich hoffe, wenn ich hier schreibe, dann gibt mir das genügend Sortierung und eure Rückmeldungen genügend Rückenstärkung, damit ich zur rechten Zeit tue, was getan werden muss und lasse, was ich nicht ändern kann.

    Liebe Grüße - Alba

    Einmal editiert, zuletzt von Linde66 (21. Januar 2022 um 22:01) aus folgendem Grund: Für die Lesbarkeit die Schriftgröße vergrößert

  • Hallo liebe Alba,

    herzlich Willkommen hier bei uns in der Gruppe.

    Da kommt ja einiges bei dir zusammen.

    Ich habe wegen der Lesbarkeit deine Schriftgröße vergrößert und auf Arial geändert, also genau das, was hier im Forum voreingestellt ist. Schreibst du vom Smartphone aus?

    Also nicht wundern, wenn es jetzt für dich anders aussieht.

    Wenn du magst, geh bei deiner nächsten Antwort unten auf das Antworten-Feld. Schau mal, ob das dann so für dich funktioniert.

    Damit wir dich fürs Forum freischalten können, klicke bitte den Bewerbungslink hier an. Dort ganz kurz ausfüllen. Dann wirst du freigeschaltet und dein Thema gleich in den Angehörigenbereich verschoben.

    Ich wünsche dir sehr, daß du Klarheit findest. Ihr Schwestern habt euch die Entscheidung sicher nicht einfach gemacht. Aber es ist in etlichen Threads hier im Forum Thema, wie man als EKA mit den alternden, weiterhin suchtkranken Eltern umgeht - und vor allem selber klarkommt.

    Du kannst auf dem aufbauen, was du dir in deiner Ehe erarbeitet hast.

    Hier kommt der Link:

    https://alkoholiker-forum.de/bewerben/

    Viele Grüße, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Vielen Dank für das nette Willkommen liebe Linde!

    Ich habe auf dem Tablet geschrieben und dann den Text hier rein kopiert - gut dass du ihn angepasst hast, der war wirklich ziemlich klein.

    In Zukunft werde ich direkt hier schreiben, dann gibt's die Unleserlichkeitprobleme nicht mehr.

    Du kannst auf dem aufbauen, was du dir in deiner Ehe erarbeitet hast.

    Ich hab ihn zum Glück nicht geheiratet - war zwar verlobt und der Termin beim Standesamt war schon fix... Aber ich hab fast direkt nachdem ich meinen Alkoholiker "entdeckt" habe, die Eheschließung gecancelt. Vielleicht heirate ich ihn doch noch - in 5 Jahren oder so 😆

    So ist er einfach mein bester Freund und Vater meiner Kinder. Wir haben ein Familienleben und das läuft gut.

    Inwiefern wir als Liebespaar existieren ist schwer zu sagen. Der Suff, die Trennung, der holprige Weg des Trocken-werdens... Ich hab mit meiner romantischen Liebe bezahlt und nun hab ich keine mehr. Ich hab ihn wirklich lieb, ich schätze ihn sehr und weiß was ich an ihm habe - und auch was nicht.

    Aber du hast Recht! In dieser Beziehung bin ich über meine Grenzen hinaus und zurück gegangen. Dank ihm und der Sucht hab ich so viel über mich, meine Grenzen, warum ich Dinge tue wie ich sie tue und fühle wie ich fühle gelernt, wie nie zuvor. Meine Kindheit kam beim Nachdenken ja auch gleich noch mit hoch.

    Kämpfen hab ich gelernt, für mich! Was ich existentiell begriffen habe: Verloren bin ich erst dann, wenn ich mich nicht mehr auf mich selbst verlassen kann. Also tu ich alles dafür, damit ich mir wenigstens selbst vertrauen und auf mich bauen kann. Ich halte mich zuverlässig an meine Werte, meine Grenzen, meine Wahrnehmung, meine Gefühle und handle so, dass ich im Reinen mit mir selbst bin.

    Vielleicht ist das der Kompass, der mich halbwegs sicher durch die Abteilung Mutter bringt 🙈

    Liebe Grüße - Alba

  • Liebe Alba, ein herzliches Willkommen auch von mir!

    Ich hoffe du findest hier viele Anregungen und kannst dir Kraft sammeln.

    Die Geschichte mit deiner Mutter fühlt sich für mich sehr vertraut an. Allerdings habe ich den Kontakt vor Jahren abgebrochen, als ich es nicht mehr ausgehalten habe.

    Bestimmt findest du hier Menschen, die dich unterstützen können, bei allem was kommt.

    Ganz liebe Grüße, Lea

  • Die Geschichte mit deiner Mutter fühlt sich für mich sehr vertraut an. Allerdings habe ich den Kontakt vor Jahren abgebrochen, als ich es nicht mehr ausgehalten habe.

    Liebe Lea,

    Danke für deine Begrüßung... Deine Beiträge lese ich sehr gern! Ich finde du bringst die wahnsinnige Ambivalenz der Gefühle, die das EKA-sein so mit sich bringt, sehr gut in Schriftform rüber. Ich finde mich jedenfalls in deinen Beiträgen wieder...

    Da denke ich immer, wie tröstlich wenn auch tragisch. Würden wir uns auf der Straße treffen und zufällig über unsere suchtkranken Eltern reden - ich müsste dir nicht versuchen zu erklären warum es ist wie es ist. Wer nicht selbst betroffen ist UND die Thematik aufgearbeitet hat, quält einen meistens nur mit gut gemeinten, nutzlosen Ratschlägen. 🙄

    Kontaktabbruch ist für mich definitiv eine der möglichen Optionen. So habe ich es meiner Mutter bereits am Telefon auch schon kommuniziert: Wenn sie wieder säuft bin ich raus, denn DAS erspar ich mir. Dann schick ich nur noch einen Pflegedienst vorbei, ich kann und werde nicht zusehen, wie sie sich zu Grunde richtet.

    Aber es ist ihr Leben - sie darf wenn sie will - sich tot saufen.

    Nach dem letzten Kontakt im Herbst 2019 mit wieder mal anschließender Funkstille, habe ich sie Anfang des Jahres 2021 "betrauert und begraben".

    Meiner Mutter merkt man den harten Konsum und die Depression an, sie ist nicht mehr die Frau und Mutter, an die ich mich aus frühen Kindertagen erinnere. Ganz wichtig vor allem für mich die Erkenntnis: sie kommt auch nicht wieder. Meine Mama ist schon tot, irgendwann heimlich gestorben. Ich kann aufhören darauf zu warten, dass sie wieder kommt.

    Ich hab mir ein schönes Bild von ihr aufgehängt, an eine Wand an der ich oft vorbei laufe. Ich hab in Gedanken mit ihr geredet und ihr erzählt, wie sehr ich mir gewünscht hätte, sie wäre jetzt auch hier und könnte ihre Enkel erleben und Teil meiner Familie und meines Lebens sein. Ich hab oft geheult aber es ist besser geworden.

    Trauerarbeit.

    Die Frau die heute vor mir steht erinnert mich noch sehr an sie, aber sie ist doch anders.

    Manchmal vergesse ich das, wenn ich viel mit ihr zu tun habe und dann kommen meine Sehnsüchte wieder hoch, die sie nicht erfüllen wird.

    Gute Nacht

    Einmal editiert, zuletzt von Alba_tros (22. Januar 2022 um 01:06)

  • Guten Morgen,

    ich habe dich freigeschaltet und in den richtigen Bereich verschoben. Oder wolltest du lieber in die EKA ( Erwachsene Kinder von Alkoholiker ) Ecke verschoben werden?

    Gruss

    Alex

    Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt. – Mahatma Gandhi

  • Danke Alex!

    Ich denke ich bin hier bei den Angehörigen ganz richtig - zwar bin ich sehr geprägt durch die dysfunktionale Familienstruktur in der ich aufgewachsen bin - typisch EKA.

    Aber ich bin hier um mein Leben als Angehörige von Alkoholikern (hauptsächlich die Mutter, dann der Vater meiner Kinder) gut auf die Reihe zu bekommen.

    Meine Kindheit und deren Auswirkungen kann ich ja bei Bedarf in einem Thread im EKA-Bereich bearbeiten 😉

    Liebe Grüße - Alba

  • Hallo Alba,

    so ähnlich erging es mir mit meinem Vater, auch ich verabschiedete mich innerlich von ihm, zwar lebte er noch, sah aus wie er - doch das wars.

    Ich war nicht mehr in der Lage, dieses Elend (sein Elend) zu ertragen.

    Ich war es, der nach jeden Besuch bei ihm, völlig am Boden zerstört war, fertig mit der Welt, ich redete mir immer wieder ein, stark zu sein, das objektiv verarbeiten zu können. Über Jahre hinweg, probierte ich damit zu recht zu kommen – vergeblich.

    Irgendwann war ich an einem Punkt angekommen, ich begriff, daß ich mich trennen muß (besonders emotional). Es war alles andere als einfach, doch ich tat es, versuchte es und es dauerte sicherlich einige Jahre und wurde immer wieder neu befeuert, durch erneuten Kontakt – ein Telefonat genügte.

    Es war auch die typische Wechselwirkung zwischen Alkohol und Depression. Er soff weiter, täglich, bis zum Umfallen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich besuchte ihn nie wieder, 13 Jahre später versagte dann sein Körper den Dienst.

    Vielleicht war auch das ein Grund, warum ich dann Jahre später ein Alkoholproblem bekam – mangelnde Bewältigung/ Verarbeitung von Problemen.

    Auch ich sagte mir „ ...kommt auch nicht wieder. ... ist schon tot, irgendwann heimlich gestorben. Ich kann aufhören darauf zu warten, dass sie wieder kommt. „

    Ich weiß nicht, in wie weit das bei mir fruchtete, ich verdrängte es. Es war der einzige Weg, um damit halbwegs klar zu kommen.

    Auch ich empfehle mittlerweile jedem, sich „von seinem uneinsichtigen Alkoholiker“ zu trennen, tut man es nicht, geht man selbst daran kaputt.

    Das ist die einzige Wahrheit, die ich erlebte. Jammern und nichts tun, mach alles nur noch schlimmer.

    Viele Grüße

  • Ich musste jetzt richtig weinen, ein Glück bin ich gerade alleine zu Hause ;(

    In erster Linie habe ich mich für Dich, Eure Kids, und Deinen Mann gefreut, das er Einsicht hatte und nun 1,5 Jahre trocken ist.

    Einfach war / ist es sicherlich nicht, aber machbar <3 Ich wüsche mir, für Dich.. und ihr Eure Romantik auch wieder findet :love:...

    ...

    ... dann kommt der Abschnitt mit Deiner Mama und das hat mich jetzt echt total aus den Latschen gehauen ;( So eine richtige Welle hat mich gepackt... vielleicht packt mich das so krass, weil mir noch mehr bewusst geworden ist, wenn mein Mann es nicht packt, kann ich nur eine Staubwolke hinterlassen, das mein Sohn nicht auch irgendwann mal ein EKA wird - schrecklich.

    Ich hoffe Du findest mit Deiner Schwester einen Weg. Konnte jetzt nichts hilfreiches zu Deiner Geschichte beitragen, aber ich denke DU konntest für MICH was beitragen - danke dafür !

  • Lieber Achelias, du triffst ungefähr dahin, wovor ich am meisten Angst habe…

    Ich war es, der nach jeden Besuch bei ihm, völlig am Boden zerstört war, fertig mit der Welt, ich redete mir immer wieder ein, stark zu sein, das objektiv verarbeiten zu können. Über Jahre hinweg, probierte ich damit zu recht zu kommen – vergeblich.

    Ich weiß nicht, in wie weit das bei mir fruchtete, ich verdrängte es. Es war der einzige Weg, um damit halbwegs klar zu kommen.

    Bin ich überhaupt dazu in der Lage, mich emotional soweit von meiner Mutter zu distanzieren, dass ich damit zurecht komme, wenn sie wieder anfängt zu trinken?

    Ich werde es wohl herausfinden müssen - und sicherlich hier schreiben, wenn der Anlass aktuell geworden ist…

    Mit dem Vater meiner Kinder habe ich es so erlebt, dass ich inzwischen so geübt bin, mich zu distanzieren wenn mich sein Verhalten nicht mehr treffen soll, dass ich meine emotionalen Mauern in wenigen Minuten hochziehen kann.

    Ich sitze dann in meiner Festung auf dem höchsten Turm und schaue - wenn ich mag - seinem irren Treiben zu. Es berührt mich dann nicht mehr, er kann mich nicht erreichen.

    Die Krux an diesem zuverlässigen Selbstschutz ist aber, dass es einsam ist, hinter diesen Mauern. Er ist ausgesperrt und ich bin eingesperrt. Ich bin dann so weit weg, dass es mir schwerer fällt, auf meine Kinder emotional richtig einzugehen, für sie präsent zu sein - und das ist das Letzte was ich will.

    Meine Mutter habe ich als Kind und später als Teenager so erlebt. Sie war zwar anwesend, aber nicht da. Bevor sie das Trinken angefangen hat war sie bis zu meinem 12. oder 13. Lebensjahr mit meinem Vater verheiratet. Er war beziehungs- und sexsüchtig, sie seine Co. Eine Co-Abhängige, die um ihren Süchtigen herumlebt, kann ihren Kindern nicht auch noch die Aufmerksamkeit geben, die diese eigentlich dringend bräuchten. Mich hat das Gefühl des für sie - als damals für mich wichtigster Menschen in meinem Leben - Unwichtigseins geprägt. Ich bin unwichtig/nebensächlich für die Menschen, mit denen ich primäre Bindungen eingehe. Rational weiß ich, dass das nichts stimmt oder stimmen sollte - gefühlsmäßig ist es mir eingebrannt.

    Ich muss dazu später mal mehr schreiben.

    Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass meine Kinder nicht die beste Version meiner Selbst als Mutter bekommen, bloß weil ich zu viel Energie an ihre lebensuntüchtige, besoffene Oma verschwende. Hab schon soviel Federn am Papa gelassen und das in der wichtigsten Prägephase ihrer Kindheit - von 0 bis 3. Sie müssen jeden Tag fühlen, dass ich sie liebe, schütze, mich um sie kümmere und vor allem, dass ich da bin. Komme was wolle.

    (Wie viel EKA steckt da wohl drin, dass ich meinen Kinder unbedingt das geben will, was ich selbst so vermisst habe? Inklusive heiler Familie mit einem lieben Papa, vielleicht sogar einer lieben Oma? - und schon geht die Tür zur Co-Abhängigkeit wieder auf - oder eben zu. Wenn man begreift, dass es mit mir selbst anfängt, dass ich die einzige bin, deren Verhalten ich beeinflussen oder ändern kann.)

    Liebe Grüße an dich, ich hoffe für dich ruht dein Vater und lässt dich mit seinem Tod in Frieden

    Alba

  • Konnte jetzt nichts hilfreiches zu Deiner Geschichte beitragen, aber ich denke DU konntest für MICH was beitragen - danke dafür !

    Liebe NudelTante,

    Das war etwas sehr hilfreiches, was du mir da geschrieben hast!

    So weiß ich, dass es nicht nur mir nüzt, sondern dir auch, wenn ich meine Geschichte hier runter tippe.

    Ich fühle fast, wie dich die Hoffnungslosigkeit übermannt, wenn du dir den worst case für dich und deine Familie ausmalst, falls dein Mann es einfach nicht packt für sich zu kämpfen und trocken zu werden.

    Das klingt jetzt gemein, aber tatsächlich ist das gut. Gut für dich! Ich wurde erst richtig handlungsfähig als ich die Hoffnung aufgegeben habe und ernsthaft mein Leben von dem meines aktiv alkoholkranken Freundes getrennt habe.

    Mit Hoffnung eiert man rum. Hoffnung ist ein Luxus, den man sich weder als Alkoholiker noch als Angehöriger bei dieser Krankheit leisten kann.

    Fingers crossed für deinen Mann, er hat ne Scheißkrankheit.

    Fingers crossed für dich, auf dass du dich und dein Kind in glücklichere Umstände rettest - ob mit ihm oder ohne ihn.

    Alba

  • Liebe Alba, ich danke dir und ich muss zugeben, schon in deinen ersten Beiträgen erkenne ich so vieles schmerzlich wieder…

    Wie viel EKA steckt da wohl drin, dass ich meinen Kinder unbedingt das geben will, was ich selbst so vermisst habe? Inklusive heiler Familie mit einem lieben Papa, vielleicht sogar einer lieben Oma?

    Mein persönliches endlos Thema! Jeden Tag frage ich mich, ob ich meinen Kindern so viel geben kann, wie sie es verdient haben. Meiner Mutter bin ich viel zu lange hinterher gelaufen, mit der fixen Idee sie könnte eine tolle Oma sein. Die Schwiegereltern wünsche ich mir immer wieder anders. Viele Aspekte in meinem Leben wünsche ich mir insgeheim anderes. Und ständig begleitet mich die Frage, wo bleibe dazwischen eigentlich ich selbst?

    bei meiner Mutter kostet es mich richtig viel Kraft, nicht auf ein Gefühlskarusell zu steigen, sondern schön distanziert und emotional weit weg zu bleiben.

    Manchmal vergesse ich das, wenn ich viel mit ihr zu tun habe und dann kommen meine Sehnsüchte wieder hoch, die sie nicht erfüllen wird.

    Und nun zieht sie also bald in eure unmittelbare Nähe. Also ich kann gut verstehen, dass dich da die Angst packt von Zeit zu Zeit.

    Wie geht’s du um mit dieser Angst? Ich vermute mal ihr kommt aus der Nummer jetzt nicht mehr raus und wollt es auch sicher gar nicht?

    Ich selbst bin da nur sehr knapp dran vorbei geschlittert, meine Mutter hier zu uns in die Nähe zu holen. Für mich war es richtig, den es gab ja nie eine Krankheitseinsicht oder den Willen zur Therapie. Es war immer nur mein Wunsch und meine Hoffnung, die mich dort gehalten haben, wo ich mein Leben lang fest gesteckt habe.

    Ich drücke euch die Daumen, dass der Umzug und eure gemeinsame Zukunft erfolgreich sein wird!

    Liebe Grüße, Lea

  • Mit Hoffnung eiert man rum. Hoffnung ist ein Luxus, den man sich weder als Alkoholiker noch als Angehöriger bei dieser Krankheit leisten kann.

    Hallo Alba,

    ich glaube nicht, daß man dazu emotional in der Lage ist. Wie du schreibst, selbstschützend zieht man seine Mauer hoch und ist dahinter allein – gänzlich. Man kann sich gar nicht genug ablenken. Wie ein Gas überwindet die Trauer/ dieses Gefühl diese Mauer und man kann ja nicht ewig die Luft anhalten.

    Als Kind schon, trainiert man sich dieses Verhalten an, um den Schmerz zumindest ein wenig zu lindern. Auch sucht das Kind (vermehrt) nach Aufmerksamkeit, Zuneigung, so wie es alle Kinder benötigen. Diese Erwartungen werden selten befriedigt, die Mauer wird dicker und höher. Als Erwachsene versuchen wir dieses Verhalten zu perfektionieren.

    Vielleicht geraten deshalb so viele, nun erwachsene Kinder wieder an einen Alkoholiker. Der anfangs nach außen hin stark und selbstsicher erscheint, so lange er seine Sucht verbergen kann. Die selbst errichtete Mauer verhindert dazu eine klare Wahrnehmung, gepaart mit dem Wunsch glücklich zu sein. Da steckt mit Sicherheit jede Menge EKA drin. … eben noch Schutzbedürftiger, nun endlich erwachsen und man hat schon wieder einen trinkenden Mitmenschen oder nur problematischen an der Backe.

    Schön wärs, wenn man die Liebe einfach über den Gartenzaun werfen würde und gehen könnte. Doch „zum großen Schreck“ hat man jetzt auch noch eigene Kinder. Als Kind mühevoll die Schutzmauer errichtet, dann in der großen Liebesphase, wieder teilweise abgebaut, dann wieder auf, zusätzlich noch eine für die Kinder.

    Und als wäre das nicht genug, hat man noch einen saufenden Elternteil. Na herzlichen Glückwunsch …

    Das ist guter Rat teuer! Ehrlich gesagt, habe ich da auch keine Idee. Das sagt sich immer so einfach „denke an dich, vor allem an die Kinder“ - trenne dich. Wohl der einzige Erfolg bringende Weg, wenn auch der schwerste.

    Will man nicht ständig, wie eine überforderte Krankenschwester, sich um alles kümmern müssen, bleibt nur, sich von einigen Patienten zu trennen, sonst kollabiert man selbst. Und wird selbst zur hilflosen Person.

    Zurück zum Vater ... ja, er ruht seit ca. 8 Jahren, doch ich glaube, daß man solche Erlebnisse nie richtig verdrängen/verarbeiten kann. Man muß mit ihnen leben und versuchen das Beste daraus zu machen. Abstand gewinnen, sich auf sein Leben konzentrieren, den Kindern das beste Beispiel sein ... ihnen zeigen, daß sie was wert sind.

    Daß sie nicht zu kleinen, unsicheren Personen (EKA) werden.

    So doof wie`s klingt, egal in welchem Zustand deine Mutter ist - nur sie (!!!) hat es in der Hand. Du kannst nicht die Welt retten (siehe mein Vater).

    Du kannst sooo viel machen, für die, die es brauchen, die eben nicht allein entscheiden können. Kinder.

    Auch ich bin der Ansicht, das Hoffnung die Schwester der Verzweiflung ist.

    Bis denn`e

  • Guten Abend!

    Wie geht’s du um mit dieser Angst? Ich vermute mal ihr kommt aus der Nummer jetzt nicht mehr raus und wollt es auch sicher gar nicht?

    Ich lebe damit und schmiede Pläne, wie ich handle wenn dieser oder jener Fall eintritt. Vor allem mit dem schlimmst-möglichen Fall setze ich ich gerne schon vorher auseinander, dann erwischt es mich nicht aus der Kalten, falls tatsächlich alles in die Hose geht.

    Dank dem Forum und euren Antworten hier bin ich da jetzt schon weiter, so langsam bekomm ich wieder Klarheit, euer Verständnis und eure Gedanken tun gut!

    Das beste Mittel für mich gegen die Angst ist: zu handeln (und das beginnt mit Pläne schmieden im Kopf). Selbst zu handeln gibt mir das Gefühl, die Situation unter meine Kontrolle zu bringen und das gibt mir Sicherheit.

    Sicher wollte ich aus der Nummer lieber raus… Die Frage, die sich mir selbst am Ende stellt ist: Was für ein Mensch will ich sein?

    Ich will ein Mensch sein, der seinen Angehörigen gegenüber loyal, solidarisch, ehrlich, zuverlässig und tatkräftig-hilfsbereit ist. Der es seiner Mutter ermöglicht hat, nochmal neu zu beginnen. Ihr einmal eine 2. Chance zu ermöglichen, dafür reicht meine Kraft, meine Loyalität und meine Solidarität. Für mehr nicht.

    Was sie damit anfängt ist ihre Sache.

    Ich denke, ich kaufe mir mein Gewissen bei mir selber frei und gebe mir so die Absolution: Ich hab getan, was in meiner Macht stand, ich muss nicht mit mir hadern. Kein „was wäre gewesen wenn“ oder „hätte ich doch“ - Dadurch kann ich loslassen und habe Frieden mit mir selbst.

    Schön wärs, wenn man die Liebe einfach über den Gartenzaun werfen würde und gehen könnte. Doch „zum großen Schreck“ hat man jetzt auch noch eigene Kinder. Als Kind mühevoll die Schutzmauer errichtet, dann in der großen Liebesphase, wieder teilweise abgebaut, dann wieder auf, zusätzlich noch eine für die Kinder.

    Und als wäre das nicht genug, hat man noch einen saufenden Elternteil. Na herzlichen Glückwunsch …


    Das ist guter Rat teuer! Ehrlich gesagt, habe ich da auch keine Idee. Das sagt sich immer so einfach „denke an dich, vor allem an die Kinder“ - trenne dich. Wohl der einzige Erfolg bringende Weg, wenn auch der schwerste.


    Will man nicht ständig, wie eine überforderte Krankenschwester, sich um alles kümmern müssen, bleibt nur, sich von einigen Patienten zu trennen, sonst kollabiert man selbst. Und wird selbst zur hilflosen Person.

    ^^ Ich musste erstmal amüsiert lachen bei deiner bildlichen Beschreibung. Ja GENAU so ist es! Es ist nicht lustig, aber wenn eh schon alles scheiße ist, kann man ja wenigstens den Galgenhumor pflegen. Ich lache jedenfalls lieber anstatt ständig zu weinen.

    (Humor ist wirklich ne Geheimwaffe!)

    Ich denke an mich, vor allem an die Kinder. Ich denke an das Leben, dass ich mit ihnen, dem Kindsvater, meiner Schwester und ihren Kindern haben will - und ich will´s wirklich schön haben! So viele tolle Sachen warten dieses Jahr auf uns, so viele tolle Dinge werden wir erleben und machen. Meiner Mutter gebe ich den Platz: Nebensache

    Sie kann sich ja in unserem Leben etablieren wenn sie will. Vielleicht findet sie ja wieder selbst Geschmack am Leben und am Spaß haben.

    Wir werden jedenfalls voll auf unsere Kosten kommen, dafür sorg ich :S

    Liebe Grüße - Alba

    Einmal editiert, zuletzt von Alba_tros (24. Januar 2022 um 00:03)

  • Guten Abend ihr Lieben.

    Immer wenn ich hier bei den Angehörigen lese, denke ich natürlich auch darüber nach, wie ich die typischen Situationen mit meinen aktiv-suchtkranken und auch trockenwerdenden Alkoholikern erlebt habe. Jeder der hier ne Weile quer liest, stellt ja sehr schnell fest, dass sich die Geschichten immer ähnlich sind, immer die selben Muster und Strukturen ablaufen - ob auf der Alkoholiker- oder der Angehörigen(co)seite.

    Ich hab das Bedürfnis zu schreiben, deswegen schreib ich. Um aber die anderen Threads nicht durcheinander zu bringen und um meine Geschichte bei mir zu behalten, pick ich mir einfach raus, was mich gerade am meisten anspricht und schreibe hier bei mir dazu.

    *Baby ist wach, ich schreib später weiter*

  • Ich möchte darüber schreiben, wie es war, als der Vater meiner Kinder trocken wurde. Das ist jetzt knapp 1,5 Jahre her. Was das eigentlich bedeutet - und *Spoiler* - dass danach überhaupt nichts wieder toll war… gerade sind wir bei: es ist okay.

    Ich war hochschwanger im 7. Monat, mein erstes Kind war 1 3/4 Jahre alt, es war der blanke Stress für mich mit einem Papa, der lieber trinken und abwesend sein wollte, als sich auf Familiendinge zu besinnen. Viel Streit und Diskussionen, viele Abmachungen an die sich nicht gehalten wurde, neue Abmachungen an die sich nicht gehalten wurde…

    Sein Säufer-Ich zeichnete sich vor allem durch Unzuverlässigkeit, Desinteresse an mir und seinem Kind, Empathielosigkeit und Abwesenheit aus. Sein Leben baute er mehr und mehr um den Konsum herum, ich war eher störend weil ich ja immer irgendwas wollte und immer unzufrieden war, was ich lautstark äußerte…

    Die Erkenntnis bzw. für mich eher die Entdeckung, dass er Alkoholiker ist, hatte ich ein halbes Jahr vorher (gerade 1 Monat schwanger). Er hat nie heimlich getrunken, ich hab´s bloß einfach nicht kapiert - aber es hat mich getroffen wie ein Vorschlaghammer, ein richtiger Schock als es endlich *klick* gemacht hat.

    Es folgte das übliche Prozedere von guten Gesprächen, Termine bei der Suchtberatung, vielleicht ein wenig Verunsicherung auf seiner Seite ob er nicht doch zuviel trinkt, aber keine Einsicht. Es folgten noch viele Gespräche, ich lernte, dass ich meine kindliche Naivität (ich möchte Menschen glauben wenn sie mir etwas sagen) besser ablege und den Vater meiner Kinder nur noch nach seinen Taten beurteile. Was er heute sagt und meint, vielleicht sogar ehrlich verspricht, ist morgen wieder vergessen. Er wurde bemerkenswert vorhersehbar für mich. Wir drehten noch ein paar Runden, er saufend - ich verzweifelnd, bis ich ihn in einer aufgeheizten Situation vor die Wahl stellte: Entweder dieser Kasten Bier oder ich. Er hat den Kasten Bier gewählt.

    Ein paar Tage später, als er wieder ausgekatert war (völlig sinnlos mit einem Betrunkenen oder Verkaterten zu reden, es gibt nur ein kleines vernünftiges Zeitfenster und manchmal nicht einmal das) hab ich die Beziehung beendet und ihm zwei Briefe mitgegeben. Ich hatte ihm aufgeschrieben, wieso ich mich trenne. Nicht weil ich ihn nicht liebe, sondern weil er alkoholkrank ist, die Konsequenzen für seine Krankheit muss er alleine und selber tragen. In dem anderen Brief hab ich zusammengefasst, was in den letzten Jahren eigentlich alles passiert ist. Man neigt ja dazu, sich immer nur an Einzelsituationen zu erinnern, die Summe aller Ereignisse hintereinander war da schon viel eindrucksvoller.

    Das war das Einzige, was ich ihm mit auf seinen Weg geben konnte, ich war traurig und erleichtert.

    Die Trennung und die Briefe (die hat er gelesen als er soweit war) haben dazu geführt, dass er erkannt hat, auf welchem Weg er sich befindet und das er alles verliert - was er schon hat und immer wollte. Damals hat er sein letztes Bier ausgekippt und seitdem nichts Alkoholisches mehr getrunken. Er wollte mit dem Sch…Alkohol nichts mehr zu tun haben und er wollte nicht der sein, zu dem er geworden war.

    Also kam er zurück, ging wieder zur Suchtberatung, zur realen Selbsthilfegruppe, kümmerte sich darum einen Platz bei der ambulanten Therapie zu bekommen, klärte seine Familie und engen Freunde auf.

    Ich bekam erstmal mein zweites Kind und nach dem Wochenbett „schmiss“ ich ihn raus in seine eigene Wohnung. Ich war psychisch so fertig von dem vergangenen 3/4 Jahr, dass ich meine absolute Unabhängigkeit von ihm wollte. Das hieß: er zieht in eine eigene Wohnung - bei mir ist er Gast, wir trennen alle Finanzen - ich bin offiziell alleinerziehend und er zahlt Unterhalt. Mir war unglaublich wichtig, dass ich ihn rauswerfen kann, sollte er jemals wieder trinken, mein Selbstschutz und mein Selbstwert sind mir heilig geworden.

    Er fand das zwar nicht gut, aber was sollte er schon machen. Er konzentrierte sich auf sich, seinen Sport, seine Arbeit und sein Hobby… er war einige Monate sehr gehetzt und wieder sehr viel abwesend, so dass ich mich und die Kinder wieder sehr vernachlässigt fühlte. Wir waren nur ein Programmpunkt auf seiner Tagesagenda, nicht der Mittelpunkt seines Lebens. Ich war wieder enttäuscht.

    Irgendwann streikte sein Körper bei dem Pensum, das er bei der Neuerschaffung seiner Identität versuchte zu bestreiten. Er war länger krank geschrieben, wir redeten und verhandelten wieder und er machte nachdem es ihm besser ging, in einer Light-Version seinen Lebenstil weiter.

    11 Monate nachdem er das Trinken aufgegeben hatte, hab ich wieder die Beziehung beendet. Diesmal sogar einvernehmlich mit ihm. Für ihn waren wir nicht mehr das, was ihm am wichtigsten im Leben war, er hatte andere Ziele (sein Hobby) und ich hatte einfach keine Lust mehr. Wenn sich nichts wirklich ändert, ob der Typ säuft oder nicht, dann war wohl nicht der Alk alleine Schuld sondern der Typ ist ein Misthaufen (Misthaufen mit Zuckerguss hab ich ihn genannt). Meine Liebe zu ihm war zu dem Zeitpunkt auch fast aufgebraucht.

    So führten wir also ein nettes Schluss-mach-Gespräch (wirklich, das schönste Schlussmachen meines Lebens), waren uns einig, dass wir auf keine Fall einen Rosenkrieg wollen, das wir für die Kinder sorgen wollen und das beste aus der Situation machen…

    Und dann sag ich zu ihm, dass ihm aber klar sein muss, dass ich auf kurz oder lang wieder einen Mann kennenlernen werde, der dann den Platz an meiner Seite bekommt. Ich mag Gesellschaft und hab nicht vor allein zu sterben.

    Das hat völlig überraschend seinen Gefühlspanzer, den er sich zum Trockenwerden und -bleiben zugelegt hatte, geknackt.

    (Er selbst beschreibt es so, dass er nichts mehr richtig gefühlt hat in den ganzen Monaten und dass das sein Weg war, mit Suchtdruck und all den anderen Gefühlen, die man plötzlich nicht mehr mit Alkohol behandeln kann, umzugehen. Anders hätte er es nicht geschafft. Er hat seine Gefühle nur noch im Kopf gedacht aber nicht mehr gefühlt ohne dass es ihm aufgefallen ist.)

    Man liest immer, eine Alkoholsucht oder Sucht an sich ist vor allem eine psychische Erkankung. Mir scheint es ist vor allem eine Gefühlserkrankung in der die Betroffenen immer weniger fühlen und der Drang zu Trinken alles andere überdeckt.

    Die Vorstellung, ein anderer Mann könnte mich haben, hat ihn ungeahnter Weise derartig in Rage versetzt und die Mauern zu seinen Gefühlen nieder gerissen, dass er kurz vor einem Nervenzusammenbruch war. War ne harte Zeit für ihn.

    Und ich war emotional am Rudern ob ich mit dem bisschen Liebe, das ich noch habe, mich nochmal auf ihn einlassen soll.

    * Baby ist schon wieder wach*

  • Was mich damals sehr berührt hat war, als er mir erzählt hat, dass er erst jetzt fühlen kann, wie das ist, wenn die Liebe von deinem Kind zu dir zurück kommt. Wie sie dich anleuchten und einfach so froh und begeistert sind, dass du da bist.

    Das hat mich echt zu Tränen gerührt und leicht fassungslos gemacht, das hätte er verpasst, wenn er weiter gesoffen hätte.

    Auch hat er erzählt, er fühlt sich jetzt am ehesten wieder so wie zu der Zeit, bevor er angefangen hat zu saufen und in die Sucht abgerutscht ist. Nur älter.

    (Spannend für mich, da ich ihn in der Honeymoon-Phase der Sucht kennengelernt habe und mit ihm zusammengekommen bin. Ich kenn ihn also gar nicht ohne Alkohol.)

    Ich hab es also wieder versucht, unter diesen neuen Vorraussetzungen, ob meine Liebe nochmal wächst und ob es mit diesem anscheinend tatsächlich psychisch-trockenen Mann doch noch eine Chance auf eine Familie gibt, in der die Kinder auch ihren Papa haben.

    Meine Liebe ist nicht zurückgekommen, der Zauber der uns damals so zusammengeschweißt hat, ist weg.

    Ich hatte nochmal ein paar harte Wochen in denen ich mit mir selbst gerungen habe. Der Vater meiner Kinder hat auch trocken ein paar Charakterzüge, die ich absolut nicht mit meinem menschlichen Wertvorstellungen überein bringe. Vertrauen als Voraussetzung für Liebe und Geborgenheit ist auch nicht einfach wieder aufgetaucht. Es ist eher so, dass ich ihn so gut kenne, das ich weiß was mit ihm funktioniert und was nicht. Das hat für mich nichts mit Vertrauen zu tun, sondern mit Abschätzen.

    Ich empfinde ihn auch nicht (mehr) als Partner. An einen Partner hab ich Ansprüche, die er nicht erfüllen kann. Ich will keinen Partner der so auf mir rumtrampelt wie er es getan hat, der mich so hängen hat lassen, der mich so enttäuscht hat, der mich gegen ne Kiste Bier getauscht hat. Ob süchtig oder nicht, das weiß mein Herz doch nicht, tief verletzt ist es trotzdem.

    Erschwerend kommt hinzu, dass die Altlasten unserer Vergangenheit immer wieder in die Gegenwart mit hineinspielen und bei mir Gefühle hochrühren, die dann der jetzigen Situation unangemessen sind. Zum Beispiel werde ich heute wirklich sauer, wenn er Beschwichtigungsverhalten an den Tag legt, um irgendwas zu tun, von dem er denkt, dass es mir wahrscheinlich nicht passt - anstatt einfach geradeheraus zu fragen, ob es mir nicht passt. Das erinnert mich so sehr an Saufzeiten, dass dann auch die heftigen, alten Gefühle wieder hochkommen, die ich dann wiederum der Situation entsprechend neu kalibrieren muss. Kurz und deutsch: Ich reagiere über.

    Ich habe festgestellt, dass ich ihn wirklich schätze und respektiere. Ich hab ihn lieb, ich möchte, dass es ihm gut geht. Ich lache sehr gerne mit ihm, wir haben ähnliche Lebensvorstellungen und Hobbies. Wir können sehr gut als Team zusammen arbeiten, für mich sieht er sehr gut aus und ich finde ihn körperlich attraktiv. Wir haben zusammen zwei Kinder.

    Ich bin für jetzt zufrieden damit, mit meinem besten Freund eine Beziehung zu führen.

    Ich hab ihm sehr ehrlich mitgeteilt, wie es um meine Gefühle für ihn bestellt ist, denn ich denke, Ehrlichkeit ist die Basis einer jeden guten Freundschaft und eine gute Freundschaft überdauert so manche Liebe.

    Bei mir hat die Liebe nicht überlebt, auch wenn ich mit meinem Alkoholiker noch zusammen bin nachdem er trocken geworden ist.

    *Jetzt schläft das Baby*

    Liebe Grüße an euch - Alba

  • Liebe Alba,

    ich habe gerade Deinen Thread gelesen und wollte Dir nur sagen, dass ich Deine Geschichte total interessant und spannend finde!! Ich finde es sehr klasse, dass Du hier bist und auch noch so gut beschreiben kannst, wie es in Dir aussieht. Dass hier eine Geschichte erzählt wird, wo eben nicht alles wieder gut ist, wenn der Alkoholiker trocken wird. Ich finde, Du klingst sehr durchdacht und kannst Deine eigenen Gefühle sehr gut einordnen. Ich habe das Gefühl, bei Dir und Deinem Mann ist irgendwie noch alles offen. Es könnte sein, dass aus dieser Freundschaft wieder eine tiefere Liebe wird. Der anfängliche Zauber von dem Du sprichst, ist der nicht eh mit den Jahren irgendwann vorbei? Ist nicht eine tiefe Freundschaft auch irgendwie Liebe? Jetzt werde ich aber wirklich melodramatisch :mrgreen:

    Ich bin tatsächlich gespannt, wie es bei Dir weitergeht. Vielleicht hilft Dir dieses Forum ja auch bei der ganzen Verarbeitung der Sache. Vielleicht kannst Du durch das Lesen bei den Alkoholikern Deinen Mann besser verstehen und es hilft dabei, sich wieder näher zu kommen auf der emotionalen Ebene.

    Wenn das denn überhaupt noch Dein Ziel ist.

    LG Cadda

  • Liebe Alba,

    Dankeschön für deinen Beitrag. Es hat mich beim Lesen ziemlich gegruselt - da erlebt jemand das gleiche wie ich. Allerdings bist du schon weiter auf deinem Weg und ich fühle mich, als hätte ich in meine Zukunft geschaut. Auch ich habe Angst, dass trotz Trockenheit ein "Misthaufen mit Zuckerstreuseln" übrig bleibt. Trotzdem macht mir deine Geschichte auch Mut. Die Hoffnung, dass man sich wohlgesonnen bleibt, egal wie es weitergeht, das wünsche ich mir am allermeisten. Vor allem wegen der Kinder.

    Habe ich das richtig verstanden: ihr seid formal getrennt und auch kein Liebespaar aber Freunde und Eltern?

    Liebe Grüße, Anni *das Baby schläft auch gerade, juhu*

    Alles was man über das Leben lernen kann, ist in 3 Worte zu fassen: es geht weiter.

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