Ein herzliches Hallo allen,
ich bin Ava. Ich bin Ü40 und bringe einen Stammbaum zum Thema Alkohol mit.
Mein Vater, meine Großmutter, meine Tante sind/waren Alkoholiker. Ich bin seit meiner Kindheit mit dem Geruch von Alkohol und Tic Tac in der Handtasche vertraut.
Mein Vater hat aus einer belastenden Lebenssituation heraus begonnen pathologisch zu trinken; ich hatte die Möglichkeit, da schon in der Pubertät, mich abzugrenzen. Auch, weil ich es schlicht nicht vertrage (Husten, Rötungen, Schwellungen, Verspannungen und Katergefühl bei winziger Menge) ist der Kelch im wahrsten Sinne des Wortes bisher an mir vorüber gegangen. Unbeeinflusst gelassen hat es mich nicht, ich bin mit einem Mann zusammengekommen, der mein Zuhause und die damit anhängige Vertrautheit geboten hat - auch er ist in meinen Augen Alkoholiker oder hat mindestens einen hochpathologischen Konsum. Ich wurde aus anderen Gründen zwischenzeitlich hochtraumatisiert mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung in Folge. Er wurde dazu aggressiv, steigerte den Konsum und ich habe ihn mit unserem Kind verlassen. Es gab keinerlei Unterstützung für uns, ich musste den Kontakt zu nahezu allen meinen Familienmitgliedern abbrechen und wurde dort nahtlos durch ihn ersetzt. Erklärt wurde dies mit der Tatsache "Ich sei psychisch erkrankt und verrückt". Damit konnten alle besser leben. Es mag auch daran liegen, dass ich ein Leben ohne Alkohol und Illusion für andere bevorzuge und mir immer bewusst war, beginne ich im Trauma aufgrund der Symptome zu trinken, war es das. Auch Tabletten waren nie eine Option und ich hätte beruflich gesehen alle Möglichkeiten, eine Apotheke zu ordern. Ich bin stabil, frei und zufrieden, traumatisches Wachstum gibt es, auch wenn man im Leben sicher kein Trauma braucht. Ich versuche, meinen Sohn vor dysfunktionalen, schädlichen Familienstrukturen zu schützen, er wird aber von Expartner und Familie als Waffe gegen mich missbraucht und manipuliert. Es ist in meiner Familie nicht erlaubt, seinem eigenen Glück zu folgen, meine Mutter lebt ihre Co-Abhängigkeit und er hat nie überwunden, dass die schwache Frau sich von ihm trennt. Das ist aber gar nicht mein Hauptthema, ich bin mit all den Verlusten und Veränderungen im Leben im Reinen, nur etwas fällt mir akut gerade wieder auf die Füße und ich frage mich, ob es je endet und ich noch irgendwie angreifen kann.
Ich habe viel zu mir reflektiert, therapeutisch aufgearbeitet und kenne meine Muster und Warnflaggen. In der Beziehungssuche bin ich mir meiner Geschichte bewusst und höre auf mein Bauchgefühl, wenn es anschlägt. Bindung und Vertrautheit, Elterngefühl, Zuhause wird für mich immer auch mit Bier, Nikotingeruch und anderen Gewohnheiten verknüpft sein.
Ich bin nun -ohne mein Zutun- von jemandem angesprochen worden und wir befinden uns in einer Kennenlernphase. Er wohnt auf dem Land, betreibt Landwirtschaft hobbymäßig, ist gut aufgestellt und wir spüren eine wohltuende Nähe, die nichts mit schwierigen Mustern zu tun hat. Ich weiß, dass der Umgang mit Alkohol auf dem Land ein anderer ist, das kann man nicht leugnen. Die notwendige Nähe, das Sich helfen auf den Höfen geben in der Woche schon eine Anzahl von Geburtstagsfeiern, Veranstaltungen, Geburten, Fasching, Feste vor. Vermutlich ist der Konsum alleine dadurch für mich schon alles andere als normal, aber gesellschaftlich in dem Kontext in der Gegend komplett normal. Ich tue mich schwer. Dazu kommt allerdings Feierabend-Bier, Bier nach Ernte-Tag/für die Helfer, Bier zur Entspannung, Bier bei Stress. Die Wohnung ist ein typischer Haushalt mit Gläsern für Alkohol in der Vitrine, Weinflaschen in der Küche an der Wand, Sixpack-Geschenk zum 50. im Flur. Bierkasten im Haushaltsraum.
Es schmerzt, dass mein Bauchgefühl schon sagt, es wird keine Beziehung entstehen (dürfen). Freunde sagen noch, erst anschauen, mit ihm sprechen. Sie sehen das normaler als ich an, aber ich komme nun mal aus einem Haushalt, wo man auch nicht sofort verwahrlost ist im Konsum und es ähnlich begann.
Ich habe aus Nachrichten, Fotos etc. von den letzten Monaten ein Profil erstellt zum Konsum, weil ich es für mich einordnen musste. Es war sogar mehr, als gelistet wurde, weil ich nur handfestes notiert habe. Ich bin mir daraus nicht sicher, ob es überhaupt einen Tag ohne Alkohol gibt. Er hat komplett kein kritisches Bewusstsein für seinen Konsum, auch nicht, dass er aus Gründen konsumiert, die nicht sein dürfen in dem Kontext, Stress, Druck in Gesellschaft usw. Ein Feierabendbier dürfte täglich sein. Ich habe mich entschieden, ihn nicht heute und morgen, aber irgendwann auf das Thema anzusprechen, ggf. ihm zu schreiben und ihm seinen Konsum aus unserem Chat-Verlauf nur neutral ohne Interpretationen hinzulegen. Was mich auf eine Art und Weise nachhaltig verstört, ist, dass es schon wieder unerwartet begrenzt Thema in meinem Leben ist. Er ist völlig anders als mein letzter Partner oder Vater, trotzdem falle ich hier wieder über das Thema. Alles andere ist stimmig, aber das ist für mich ein Grund, keine feste Beziehung auch nur zu riskieren. Ich bin zu alt und zu erfahren, um mir im Leben noch Belastungen aktiv einzukaufen, ein Partner darf ergänzen und ich ergänze gerne, aber ich mag keine Abhängigkeiten, Therapeuten/Mutterrolle und Pflegefachkraft für Vermeidbares später sein. Ich mag auch tatsächlich nicht privat in dem Ausmaß täglich konfrontiert werden, unterstelle man mal, dass ich übertreibe und er noch 20 Jahre so in Gewohnheit weitermachen könnte. Es schmerzt.
Ich freue mich über die ein oder andere Meinung dazu, ich bin tatsächlich ein wenig verunsichert, ob ich aus meiner Achtsamkeit und Wachsamkeit nun beginne, für andere generell zu übertreiben oder ob mein sensibilisiertes System nur besser trainiert ist als das des Unbedarften in unserer Gesellschaft, der niemals ein Problem darin sehen würde. Ich versuche auch, meine private emotionale Haltung von dem zu trennen, was ich z.B. einem meiner Patienten beruflich dazu gesagt hätte. Vielleicht mag jemand mal rückmelden, wie es auf ihn wirkt, rein aus den Zeilen hier. Lieben Dank