Guten Morgen Evelin,
Und ich denke viel darüber nach, ob ich tatsächlich nie mehr in einen Club gehe, was ja heißen würde, ich würde mich entscheiden nie mehr tanzen zu gehen. Ich habe für mich noch keine Antwort gefunden und momentan ist es auch nicht relevant für mich. Aber auch wenn im Club immer etwas eine Rolle spielt, ist es denn nicht entscheidend, ob es für mich eine Rolle spielt?
Ich weiß, wie Du das meinst. Nur weil die Anderen um mich herum trinken oder etwas nehmen, muss ich das ja nicht auch tun und kann trotzdem dort tanzen. Das stimmt auch. Die Hand voll Menschen in einem Club, die da nur zum tanzen hingehen, ohne irgendetwas zu konsumieren, mag es ja auch geben und wenn Du irgendwan mal Lust hast, das zu tun, wenn Du gefestigter bist, dann ist das ganz allein Deine Sache.
Wer mein Tagebuch gelesen hat, weiß, dass ich am Anfang sogar noch mehr zu Veranstaltungen gegangen bin, als im Laufe der späteren Zeit, jetzt fast gar nicht mehr. Das war ein Prozess. Ich möchte es hier nur einfach nicht raten, denn es ist schon Fakt, dass das was mit einem macht!
Ich selbst habe mich zu keinem Zeitpunkt rückfallgefährdet gefühlt, alle die um mich herum waren, wussten zu 100%, dass ich Alkoholikerin bin und aufgehört habe zu trinken. MIr hätte niemand von meinen Leuten ein Getränk angeboten, im Gegenteil sie haben mich immer mit meinen alkoholfreien Getränken versorgt. Hätte ich plötzlich Suchtdruck bekommen und getrunken, dann hätte ich quasi einen Rückfall vor all meinen Freunden gehabt, das wäre sicherlich ein zusätzlicher Schutz gewesen, WENN ich denn mit den Situationen nicht zurecht gekommen wäre.
Aber, jetzt kommt das große Aber: Im Nachhinein betrachtet, kann ich nur sagen, dass es definitiv etwas mit einem macht, wie oben beschrieben. Auch wenn es für MICH keine Rolle gespielt hat etwas zu trinken, für alle anderen um mich herum aber schon und diese Atmosphäre die springt über, ob man will oder nicht. Die kann dann mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit eben dazu führen, dass das Suchthirn anspringt. Und selbst wenn das nicht der Fall ist und man keinen Suchtdruck bekommt, was übrigens nicht nur auf der Veranstaltung der Fall sein muss, sondern auch einige Zeit später aus dem nichts kommen kann, weil das Gehirn einfach das Erlebte verarbeitet, dann ist es zumindest in den Gedanken. Man erlebt ja nun mal den alkoholgetränkten Abend, egal ob man selbst trinken möchte oder nicht und der Kopf ist dabei und das Unterbewusstsein.
Nun kann ich für mich rückblickend sagen, dass es mir nicht in dem Sinne gefährlich geworden ist, dass ich jemals den Gedanken hatte, ob ich vielleicht mal wieder etwas trinken könnte. Aber habe ich es mir dadurch leicht gemacht? Sicherlich nicht.
Ich möchte Dir und anderen Mitlesern ein Beispiel nennen: Ich bin im letzten Sommer 6 Jahre trocken gewesen und habe mich nie auf wackeligen Beinen gesehen. Für mich steht zu 100 % fest, dass ich nie wieder in meinem Leben trinken werde. Meine Interessen haben sich verändert, ich gehe selten zu Veranstaltungen. Im letzten Sommer war ich auf einer Veranstaltung, wo eine Vertraute meiner Familie quasi die Hauptrolle spielte und bei sich zu Hause abgeholt wurde. Dort wurde gefeiert und ich war mit dabei, weil sie mir wichtig ist und weil ich auch Lust dazu hatte. Ich war mittendrin zwischen den Feierwütigen und die Stimmung war bombastisch gut. Alle kennen mich, jeder weiß, dass ich nicht trinke, wir hatten trotzdem Spaß, wie immer wäre niemand auf die Idee gekommen mir was anzubieten. Im Gegenteil, auch nach all den Jahren bekomme ich immer noch gesagt "ich bin stolz auf Dich, weiter so, ich finde es klasse, dass Du nicht trinkst".
Der Tag war toll. Irgendwann wurde es mir zu viel, ich ging nach Hause und legte mich auf meine Terrasse und bekam ein unfassbar mulmiges Gefühl. Als hätte ich einen Kater. Leicht depressive Verstimmung würde ich mein Gefühl beschreiben. Es ging mir nicht gut. Ich hatte aber keinen Grund, dass es mir nicht gut ging.
Kurze Zeit später rief mich jemand Anderes aus meiner Familie an, der ebenfalls nichts mehr trinkt und auch auf dieser Feier war. Er fragte mich, wie es mir geht. Ihm würde es irgendwie nicht so gut gehen, er wollte reden. Nach dem Gespräch, in dem wir uns darüber austauschten, dass die Feier eigentlich toll war, aber es irgendwie trotzdem ein blödes Gefühl hinterlässt ging es uns beiden besser.
Aber ich war wirklich erstaunt, was das Unterbewusstsein mit einem anstellt.
Das war nicht nach jeder Veranstaltung oder Feier so, auf der ich war. Ich war Monate zuvor mit meinen Söhnen auf einem open air, weil dort DJs auflegten, die ich mega finde. Dort war ich auch und habe stundenlang getanzt. Danach hat sich nichts bei mir gemeldet, es ging mir wunderbar und es sprang auch nichts an.
Was ich damit sagen will, auch Anderen, die hier mitlesen: Natürlich kann es sein, dass ihr ein Weggehen als einen tollen Abend verbuchen könnt. Aber fühlt Euch nicht zu sicher, wenn das so sein sollte. Es kann beim nächsten Mal ganz anders aussehen und auch viel später.
Ja und da muss dann eben erstmal ein gutes Grundgerüst vorhanden sein, um eben damit auch umgehen zu können mit diesen Gefühlen, die dann auftreten können.
Deshalb raten wir eben in der ersten Zeit davon ab und es ist einfach - egal wie man das Blatt dreht und wendet - sicherer, sich aus diesem Umfeld fern zu halten.
Oft ist es dann auch so, dass sich der Wunsch von selbst erledigt. Denn wenn man nicht nur einfach die Zeit abwartet und ansonsten nichts verändert, bis man endlich wieder in einen Club oder sonst wo hingehen "darf", dann wird das nichts bringen.
Wenn man aber etwas an seinem Umfeld ändert, etwas an seinen Gewohnheiten ändert. Dann wird der Drang automatisch eh nachlassen, weil die Interessen ganz andere sind.
"Nur nicht trinken" reicht nicht. Und wenn man sich dann einen anderen Alltag geschaffen hat, als zu Saufzeiten dann wird der Drang so etwas zu erleben auch automatisch weniger. Und vor allem wird die eigene Stabilität und Sicherheit größer, so dass man eben gefestigter ist und besser mit manchen Situationen umgehen kann.
Auch das ist natürlich keine Garantie, aber so ist zumindest meine Erfahrung.
Und wenn der Drang zu tanzen so riesig ist, dass man es kaum aushält: Mucke aufreißen, laufen gehen, im Wohnzimmer in Sportsachen abdancen was das Zeug hält zu lauter Musik. Hilft auch manchmal
LG Cadda