Und dann plötzlich, ohne Vorboten, Peng
Wenn der / die Co-Abhängige trotz seiner Antennen, welche sich da entwickelt haben, vorher nichts mitbekommt, dann heißt das eigentlich nur, das sich vermutlich die Strategien des Trinkers an die Antennen angleichen und die Strategie sich etwas ändert. Ich bin der Meinung, dass man dem/ der Co-Abhängigen da keinerlei Vorwürfe machen kann. Weil er/ sie einfach noch etwas anderes zu tun hat im Leben als Warnsignale zu analysieren. Und es ist nicht seine/ ihre Aufgabe. Diese Analyse obliegt dem Alkoholiker um etwas zu verhindern.
Du hast ja schon öfter geschrieben das er so nicht tickt, Strategien entwickeln um zu täuschen...also gab es wohl keine für Dich ersichtlichen Vorzeichen.
Es passiert völlig überraschend, keine Zeit um evtl. noch zu reagieren, was auch immer da möglich gewesen wäre wenn Du vorher etwas bemerkt hättest. Ich denke sowiso nicht das Du etwas verhindern hättest können. Warum ich dieser Meinung bin steht weiter unten.
Die Version für den Alkoholiker sehe nämlich ich etwas klarer. Ich kann selbstverständlich nur aus meiner Sicht schreiben, wie ich es sowohl an mir oder auch bei Anderen erlebt habe.
Es gibt diese Vorzeichen. Bei dem Alkoholiker. Im Kopf und im Bauch, im Denken, Handeln und Fühlen. Unsichtbar für die Umwelt. Für den Partner, die Kinder oder den Chef. Wer auch immer. Selbst ein Arzt kann da nicht reinschauen. Aber es ist da. Definitiv. Vorher.
Ich glaube nicht an die absolute Unzurechnungsfähigkeit, das handeln in Trance vor dem ersten Schluck. Ich hatte gerade erst die Frage gestellt ob Ihr noch Alkohol im Haus habt. Kleine Wege im Falle des Falles. Also war das kein Blackout, oder eine Sekundenentscheidung ohne Selbstkontrolle, denn es war ja nichts greifbar.
Der Rückfall endet ja mit dem ersten Schluck. Angefangen hat das ja schon früher. Diese Zeit vorher sagt einiges über den Umgang mit der Sucht aus. Viele Stunden oder auch Tage, keinesfalls nur Minuten oder Sekunden.
Es wird geplant, besorgt, organisiert und durchgeführt. Ich habe an anderer Stelle mal geschrieben, das selbst die Zeit an der Kasse, wenn der Alk auf dem Laufband liegt, darüber nachgedacht wird was gleich passiert. Tatsächlich immernoch Zeit um zu reagieren. Wenn gewollt.
Ihr habt soviel durch. So oft darüber geredet. Über Konsequenzen gesprochen und Du hast ganz sicher dargelegt wie sehr Dich das verletzt und mitnimmt. Oft und noch öfter.
Und jetzt taucht unweigerlich eine Frage auf :
Warum hat er sich vorher nicht an Dich gewendet und um Hilfe gebeten? An den Mensch seines Vertrauens, den ständigen und auch wohlwollenden Begleiter ? Oder warum hat er nicht jemanden aus einer SHG angerufen, oder sogar mit einem Arzt oder einer Klinik Kontakt aufgenommen? War das ein Stunden- oder gar Tagelanger Blackout?
Eine spontane Strategie entwickeln gegen den ersten Schluck auf den Moment geschneidert. Menschen reden ja miteinander. Wäre das nicht möglich gewesen?
Du hättest vermutlich einiges versucht, um zu verhindern was sich androht, wenn er Dich denn um Hilfe ersucht hätte. Wenn es denn Hilfe versprochen hätte, gegen den fürchterlichen alles vernichtenden ersten Schluck, wärest Du wohl dagewesen im Rahmen Deiner Möglichkeiten glaube ich.
Was hat er wohl gedacht was jetzt passieren würde? Oder sagst Du, das er so weit nicht denkt nach alldem was schon passiert ist?
Ich bin der Meinung, das die Entscheidungen wieder zu trinken und das danach bewusst getroffen werden. Sämtliche Bilder und Konsequenzen laufen im Zeitraffer wieder vorbei und werden gedanklich mit weißer Farbe übermalt und entkräftet. Mögliche Hilfsangebote und/ oder Möglichkeiten dazu werden auf den Abtritt gelegt, weggeschoben und schöngedacht. Suchtdenken.
Alle - im wieder abstinenten reumütigen Katzenjammer danach - ausgearbeiteten Strategien werden ausgeblendet. Es wird billigend in Kauf genommen was danach passiert; weil es schon so oft passiert ist weiss der Alkoholiker auch was passiert. In Ihm und sichtbar um Ihn herum.
Selbst dann, wenn es sogar schonmal schlecht ausgegangen ist (Krampfanfall, Lebensgefahr ), wird das irgendwie zeitweise ignoriert. Einer geht noch. Morgen höre ich wieder auf, nix passiert. Alles wie immer. Oder auch schlimmer. Egal.
Alk. Jetzt.
Du bekommst da als Zuschauer praktisch wieder die volle Wucht der Suchtkeule um die Ohren gehauen. Fassungslos, hilflos und ohne es zu verstehen.
Eine eigene Wohnung heißt noch lange lange nicht, dass ich es schaffe auch los zu lassen. Ich habe jetzt schon Bilder um Kopf, wie er halbtot im Haus liegt. Wahrscheinlich fahre ich dann andauernd hin nachgucken.
Jeder Süchtige kämpft für Sich auf eigenem Terrain. Er kann Deine Schmerzen nicht nachfühlen oder sich damit identifizieren. Du kannst seine inneren Kämpfe und Schmerzen nicht nachfühlen und entsprechend reagieren. Das einzige was beide Parteien sicher sehen ist das, was davor oder auch danach sichtbar passiert.
Diese emotionalen Kämpfe, welche sich zuerst einmal in Kopf und Bauch abspielen, das ständige Versuchen in einen anderen Kopf zu blicken um Unheil zu verhindern, ist kräftezehrend und gleichzeitig von unzähligen Fehlinterpretationen begleitet. Und das passiert wohl auch unbewusst, selbst wenn man sich das verbietet.
Der Alkoholiker hat diese Probleme so extrem nicht. Trinken oder nicht, was das mit dem Umfeld macht ist erstmal nicht in dem Maße wichtig wie bei dem/ der Co. Das Schlimme kommt dann hinterher, wenn es darum geht die Trümmer aufzufegen und wieder zusammenzukitten. Katzenjammer, Scham, vorübergehende Erkenntnisse, Schwüre und Eide das soetwas nie mehr passiert.
Leider verblasst das innerhalb einer Probantenspezifischen Zeit wieder und wird relativiert. Dem Teufel wird wieder Platz gegeben bis zu dem Punkt wo es tatsächlich heisst: So schlimm war es ja nicht, einer geht noch. Diesen vernichtenden Gedankengang hätte der Alkoholiker kurz nach der letzten Phase selbst nicht für möglich gehalten und den auch weit von Sich gewiesen.
Ich fühle mich gelähmt. So müde. So klein. So alleine.
Wenn Du Dich mit dem Alkohol anlegst, die Schwerter aufnimmst, trifft das gefühlt leider so zu. Wenn Du über die Folgen seines Konsums nachdenkst, stimmt das gefühlt ebenso.
Ich habe das Leid gesehen, welches ich angerichtet habe bei den Menschen die mich geliebt haben. So viele Jahre. Das geht mir manchmal heute noch nach. Gelähmt, gebrochen, verzweifelt, alles voller Schmerzen.
Ich habe damals vor fast 20 Jahren bis heute beschlossen, dass ich das nicht mehr zulassen werde im Falle des Falles. Weil es so fürchterlich sinnlos war.
Niemand würde mehr aktiv mitleiden wenn ich wieder trinken sollte. Sämtliche Türen würden sofort verschlossen, keine Hilfe von außen gewollt oder möglich. Ich muss mir dann aktiv Hilfe suchen oder daran zugrunde gehen. Etwas anderes gibt es nicht mehr. Erfahrungen.
Nach dieser langen Zeit mit unzähligen Vorkommnissen, und weil Du Ihm viel bedeutest, Du Ihm oft vermittelt hast wie es in Dir aussieht, sollte er in Etwa auch so denken und dann folgerichtig gehen. Aus eigener Entscheidung. Und Du solltest das dann auch zulassen wenn er das beschließen sollte. Und wenn ich mich recht erinnere kam der Vorschlag von Ihm ja schon.
Im Moment liest es sich so, als wenn Du diese Entscheidung triffst und gehst. Ich bin mir nicht ganz sicher ob das der richtige Weg ist. Natürlich steht der Abstand im Vordergrund und es werden natürlich auch situationsbedingt praktische und sinnvolle Entscheidungen getroffen.
Aber bleibt da nicht ein größeres Schuldgefühl wenn etwas passiert? Zumindest mehr als wenn es andersherum laufen würde? Würdest Du die erwähnten Kontrollfahrten machen oder in Erwägung ziehen, wenn er in eine andere Umgebung ziehen würde?
...und was soll das jetzt dauernd mit dem "verblüffend". Ist das ein anderer Ausdruck für: wie blöd kann man sein?
Da diese Wortwahl wohl unglücklich war, entschuldige ich mich dafür. So sollte das natürlich nicht interpretiert werden, und so war es auch sicher nicht gemeint. "Überraschend" wäre da vermutlich geschickter gewesen.
lG WW