Eismann, 46, Alkoholiker

  • Hallo Eismann,

    ich weiß nicht, ob man die Reaktion mit der von „militanten Ex-Rauchern“ vergleichen kann. Du gehst ja nicht „militant“ missionieren, sondern du stellst nur für dich in deinem eigenen Bereich fest, was das Thema mit DIR macht. Ich finde, dass das ein Unterschied ist.

    Ich stelle für mich nach und nach immer mehr fest, dass das Thema ernster ist, als ich es früher geglaubt habe. Ich habe selbst zwar eine fürchterliche Kindheit und Jugend erlebt, weil ich in einer Alkoholikerfamilie aufgewachsen bin, in der der Alkohol eine äusserst zerstörerische Wirkung hatte, aber als Erwachsene hatte ich da eine Trennung zwischen mir und meinem Vater gezogen. Ich war nicht wie er, meine Umgebung war nicht so wie damals, also war alles ok. Ich glaubte lange, lange Zeit, dass mein Alkoholkonsum ok sei.

    Unsere Gesellschaft führt ja überall vor, dass Alkohol dazu gehört. Keine Feier ohne Alkohol. Kein Film oder Serie im Fernsehen, in der nicht Alkohol konsumiert wird. Keine Fußball-Übertragung ohne Bier-Werbung. Und so weiter.

    Und nun beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema, begreife, was Alkohol bei mir angerichtet hat und nicht nur bei mir, und das macht natürlich etwas in mir.

    Mittlerweile fällt mir sogar auf, wie sich mein Mann und andere im Laufe eines Abends verändern, wenn sie Alkohol konsumieren, und es behagt mir nicht. Ich frage mich, ob ich mit Menschen, die gerne Alkohol trinken und deren Gespräche sich währenddessen verändern, meine Zeit verbringen möchte oder mich lieber mit Menschen umgebe, die wie ich keinen Alkohol trinken und mit denen die Gespräche gleichbleibend interessant bleiben.

    Kurz und gut, ich denke, dass dein Gehirn das Thema Alkohol nicht mehr für so harmlos hält, wie es das mal getan hat, und so reagiert dein System mit Gegenwehr auf das Programm im Fernsehen. Bei mir ist das grundsätzlich nicht viel anders.

    Ich werde deswegen jetzt nicht missionieren gehen, aber ich nehme für mich selbst sehr viel ernster, was ich möchte oder eben nicht möchte.

    Viele Grüße

    AufderSuche

  • Hallo Eismann,

    mir ging es auch ähnlich. Plötzlich springt einen der Alkohol in jeder Ecke an. In Zeitungen, im Fernsehen oder im Supermarkt. Bei mir ist es weniger geworden und ich nehme die alkoholischen Getränke nicht mehr so unangenehm wahr. Wenn doch, nehme ich es eher als Warnung für mich. Nach dem Motto: "Pass auf dich auf!"

    Viele Grüße

    Seeblick

  • Passend dazu war ein Computertraining Teil meiner Therapie. Dadurch soll die Empfänglichkeit für visuelle Reize durch alkoholische Getränke herabgesetzt werden. Durch Studien belegt ist wohl eine Minderung des Rückfallrisikos um etwa sieben Prozent bei den Teilnehmern. Klingt erstmal nicht viel, könnte aber das I- Tüpfelchen sein, das mir am Ende den Arsch rettet. Nehme im Anschluss noch an einer Studie Teil die untersucht, ob ein fortgesetztes Training nach der Therapie messbare Effekte hat.

  • Was ich dir noch sagen wollte,

    es ist eigentlich nicht meine Art per Brief Schluss zu machen aber für mich ist es einfach besser, wenn wir beide Abstand halten

    …..

    Ich zitiere mal nur den Anfang.

    Hallo Eismann,

    boa, was für ein Abschiedsbrief :thumbup:

    Ich musste ihn gerade 2x lesen und bin echt sehr angetan davon.

    Respekt!

    Angetan bin ich auch von der Wirkung, die dieser Abschiedsbrief gerade in mir auslöst.

    Ich muss nachdenken gehen.

    Vielen Dank dafür.

    Und auch Respekt dafür, dass du nun schon 4 einhalb Monate nüchtern durch‘s Leben gehst.

    Viele Grüße

    Stern

    ⭐️

    Wenn du heute aufgibst, wirst du nie wissen, ob du es morgen geschafft hättest.

  • So, das Leben hat mich wieder. Meine Therapie ist beendet und ich bin seit zwei Tagen wieder zu Hause. Nach dem Schongang in der Klinik mit Seeblick war ich nach dem ersten Tag ganzschön geplättet, stand zeitweise etwas neben mir. Langsam komme ich wieder in der Realität an. Bei den vielen vertrauten Eindrücken um mich herum bekommt natürlich auch das Suchtgedächtnis mehr Futter und klopft hin und wieder an. Es sind keine drängenden Gedanken. Ich nehme sie zur Kenntnis und sage mir 'Das bin nicht ich. Das ist ein Gedanke.' Sie verschwinden nach kurzer Zeit wieder.

  • Hallo Eismann,

    ich kann nachvollziehen, wie es dir zunächst zuhause ergangen ist, auch wenn ich nicht wegen Suchttherapie in einer Klinik war, sondern wegen Depressionen.

    Ich hab damals zunächst dafür gesorgt, einen möglichst reizfreien Raum einzurichten, in den ich mich ggf. zurückziehen konnte. Ich war von den vielen Reizen zuhause zunächst völlig überfordert.

    Wie sorgst du sonst zuhause im Moment für dich?

    Hast du schon weitere Ideen, wie du dich ggf. umprogrammieren kannst? Ich meine, Ideen dafür, das, was das Suchtgedächtnis bei dir weckt, zu verändern.

    Viele Grüße

    AufderSuche

  • Hallo Eismann,

    also dein Brief hat mir sehr gut gefallen....

    ich habe am Anfang versucht keine Angst vor der Realität zu haben (und die kommt) ich habe mich in eine Beobachterposition versetzt, und beobachtet was es in mir auslöst und habe es erst mal, als was neues akzeptiert und auch beobachtet welche Gefühle ich dabei habe zB Angst, Unsicherheit, Wut, Suchtgefühle und es als solches hingenommen. damit konnte ich es aus einer gewissen Ferne ansehen. und wenn mich so ein Gefühl doch überwältigt....bloß weg da... am schlimmsten war die Zeit...davon war unendlich viel da, ich habe immer gehofft, dass die Kinder bald aus der Schule kommen..... Eis essen und so vieles was ich mit den Kindern nachholen konnte..... außer wenn ich arbeiten ging, war alles normal ... wenn ich nicht weiter wusste habe ich viel im Forum gelesen und geschrieben....gab mir so eine friedliche Sicherheit

    ich wünsch dir viel Erfolg im trockenem Leben

    Lieben Gruß

    mexico

  • Hallo Eismann,

    auch von mir noch ein spätes Hallo. Ich freu mich, dass du hier im Forum mitschrieben willst. Gratulation auch noch zu deiner mehrmonatigen Abstinenz!

    Neulich schriebst du dies hier:

    Zitat

    Zu guter Letzt habe ich ja lange heimlich getrunken. In der Vergangenheit habe ich eigene Fehler auch gerne vertuscht. Da ist die Sorge nicht weit hergeholt, bei einem Rückfall auch wieder in diese Heimlichtuerei zu verfallen.

    Das hat mich angesprochen, denn auch ich war heimliche Trinkerin, und genau diese Angst hatte ich auch, dass ich wieder in die (innere!) Lügerei verfallen könnte. Und dann auch in die äußere, natürlich.

    Für mich war es / ist es daher eine meiner wichtigsten „Trockenübungen“ (im Sinne der Trockenarbeit, du verstehst), ehrlich zu sein. Möglichst auch keine Notlügen mehr zu gebrauchen. Auch wenn es unbequem ist, im Zweifel lieber immer bei der Wahrheit bleiben, auch wenn es sozial aneckt.

    Ich wollte nicht mehr lügen. Und ich wollte mich nicht mehr als Lügnerin fühlen.

    Ich bin nach wie vor (bin seit Ende 2013 trocken) innerlich davon unangenehm berührt, wenn ich das Gefühl habe, nicht 100% ehrlich sein zu können. Solche Situationen gibt es ja nun einmal. Aber ich bin dankbar für diesen inneren Kompass, den ich inzwischen spüre und dem ich inzwischen auch vertraue. Eine Restunsicherheit bleibt, aber Angst ist es nicht mehr.

    Komm weiterhin gut in deinem neuen trockenen Alltag an, und ich freue mich, wenn du hier weiter berichtest, wie es dir ergeht.

    Viele Grüße

    Thalia, 52, trockene Alkoholikerin

  • Hallo und vielen Dank,

    die ersten Tage im echten Leben haben ein straffes Programm mit sich gebracht. Es ist ja in der letzten Zeit einiges liegen geblieben. Ich bin es ruhig und entschlossen angegangen und konnte einiges abarbeiten ohne mich zu verausgaben. Der erste SHG Termin und ein Wiedereingliederungsgespräch beim Arbeitgeber liegen hinter mir. Vor letzterem hatte ich etwas Muffengang. War aber ganz entspannt und mit den Möglichkeiten die sich für mich ergeben bin ich zufrieden.

    Für die Zeit, die ich noch zu Hause bin, habe ich mir einen Plan gemacht, der natürlich genügend Luft für Entspannung, Sport und schöne Unternehmungen mit meiner Frau lässt <3

    Für mich selbst habe ich kleine Belohnungsrituale entwickelt. Dazu gehören das Eis oder ein Stück Kuchen zum Kaffee (da ich nicht saufe, kommt es nicht mehr so auf die Kalorien an), mein abendlicher Tee oder die kleine, gut gekühlte Limonade im Kühlschrank. Das alles bewusst nicht als Alkersatz sondern als etwas schönes und besonderes nur für mich.

    Die nächste Nagelprobe ist dann mein Wiedereinstieg im Job nächste Woche.

    Viele Grüße

    Eismann

  • Hallo,

    hatte für einen geplanten Reifenwechsel mein Auto in der Werkstatt. Erhebliche Mehrkosten sind ungeplant dazu gekommen. Als ich danach die ersten Kilometer gefahren bin, leuchtete die Motorkontrolllampe. Ich habe mich sehr geärgert und hatte natürlich Angst, das mir die Kosten aus dem Ruder laufen.

    Das wäre vor einem halben Jahr ein guter Grund für eine Stressbewältigungsflasche gewesen. Meine negativen Gefühle wären für den Moment betäubt gewesen. OK. Ich hätte aber an dem Tag nix mehr auf die Reihe gekriegt, wäre verkatert aufgewacht und meine Probleme hätten gesagt 'Da sind wir wieder. Und wir haben noch jemanden mitgebracht!'

    Also habe ich mir lieber bewusst meinen Ärger und meine Angst eingestanden und auch meiner Frau davon erzählt. Sie sagte, sie hätte sich in der Vergangenheit oft gewundert, dass ich mit schlechten Nachrichten scheinbar so gelassen umgehe.

    Suchtgedanken hatte ich nicht. Ich war an dem Tag noch einkaufen. Erst im Nachgang ist mir bewusst geworden, dass ich mich damit unnötig in Gefahr begeben habe. Da muss ich noch ganzschön meine Aufmerksamkeit trainieren.

    Mein Autoproblem konnte am nächsten Tag in fünf Minuten gelöst werden.

    Viele Grüße

    Eismann

  • Hallo Eismann,

    Erst im Nachgang ist mir bewusst geworden, dass ich mich damit unnötig in Gefahr begeben habe. Da muss ich noch ganzschön meine Aufmerksamkeit trainieren.

    Wieso hast du dich in Gefahr begeben? Verstehe ich nicht. Sind doch ganz normale Alltagsprobleme.


    Suchtgedanken hatte ich nicht.

    Das ist doch gut.

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo Hartmut,

    hab gelernt, das eine unausgewogene Lebenssituation am Anfang der Rückfallkette steht. Also u. U. auch negative Gefühle. Ich hätte meinen Einkauf im Sinne einer Risikominimierung durchaus verschieben können. Darüber habe ich aber gar nicht nachgedacht. Kommt dir vielleicht übertrieben vor aber es sind halt meine ersten Schritte.

    Viele Grüße

    Eismann

  • Hallo Eismann,

    ich finde es gut, dass du damit so umsichtig umgehst. Und Hartmut stimmt dir darin sicher auch zu.

    Eine Sache aber, an die ich selbst bei Hartmuts Antwort denken musste:

    Es könnte dich gegebenenfalls auch triggern, wenn du zu übervorsichtig bist bzw. eine Alltagssituation vor dir selbst dramatisierst.

    Warst du im Supermarkt denn ernsthaft gefährdet oder war dass Einkaufen für dich eigentlich normal?

    Ich selbst hatte am vergangenen Wochenende ziemlichen Druck, weil in meinen Kopf doch gesickert war, ich müsste auf etwas verzichten.

    Verstehst du, was ich meine?

    Viele Grüße

    AufderSuche

  • Also habe ich mir lieber bewusst meinen Ärger und meine Angst eingestanden und auch meiner Frau davon erzählt. Sie sagte, sie hätte sich in der Vergangenheit oft gewundert, dass ich mit schlechten Nachrichten scheinbar so gelassen umgehe.

    Suchtgedanken hatte ich nicht.

    Genau das ist doch eine aufschlussreiche Erfahrung, findest du nicht?

    Wie hat es sich für dich angefühlt, deiner Frau deinen Ärger und deine Angst zu gestehen?

    Wo sind die anschließend geblieben?

    Was hast du gedacht und gefühlt, als sie dir gesagt hat, dass sie sich früher über deine Gelassenheit bei schlechten Nachrichten gewundert hat?

  • Hallo Eismann,

    hab gelernt, das eine unausgewogene Lebenssituation am Anfang der Rückfallkette steht. Also u. U. auch negative Gefühle. Ich hätte meinen Einkauf im Sinne einer Risikominimierung durchaus verschieben können. Darüber habe ich aber gar nicht nachgedacht.

    Jetzt verstehe ich es.

    Ich hatte keine Therapie und kenne die Vorgehensweise, von den Therapeuten angenommene oder vorgebende Kausalitätskette nicht. Ich gehöre zu den Praktiker, die sehr akribisch den Weg der Grundbausteine gegangen ist . Das alleine mit den Erfahrungen von langjährigen trocken Alkoholikern.

    Kommt dir vielleicht übertrieben vor aber es sind halt meine ersten Schritte.

    Nein, nichts was dir bei deiner Trockenheit dient ist übertrieben. Es muss dir helfen nicht mir.

    Wenn es jedoch zu einem innerlichen Druck führt, etwas „falsch" gemacht zu haben, wäre für mich zumindest kontraproduktiv. Es geht auch um ein zufriedenes trockenes Leben.


    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo Hartmut

    Alles gut. Hatten Wochenendbesuch und das Telefon ist in der Ecke verstaubt. Gestern hatte ich mein erstes Grillen mit Limonade. Komisch, dass man plötzlich mit drei Getränken über den Abend kommt. Ich hatte viel mehr von der Zeit mit Family & Friends.

    Allen eine schöne Woche

    Eismann

  • Hallo Eismann,

    das kenne ich. Wenn ich jetzt "satt" bin, brauche ich keine weiteren Getränke. Früher hätte ich weiter Alkohol getrunken, auch wenn der Bauch schon vollgefuttert war. Mit leerem Glas zu sitzen fand ich doof.

    Viele Grüße

    Seeblick

  • Hallo Eismann,

    das kenne ich. Wenn ich jetzt "satt" bin, brauche ich keine weiteren Getränke...

    Ging ja bei mir noch weiter. Da ich heimlich getrunken hab musste ich immer auf die Gläser der anderen schielen, ob ich mir schon ein neues Getränk holen kann oder ob ich aus der Rolle falle. Zwischendurch immer mal wieder in den Keller sprinten zur Druckbetankung. Und dann nicht mehr an Gesprächen beteiligen, damit das Genuschel nicht auffällt. Die pure Lebensfreude...

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