Guten Morgen vom Starnberger See,
hmmm...wo fange ich an, wo höre ich auf mich vorzustellen. Nun, ich bin 59 Jahre alt und getrunken habe ich schon immer. Kontrolliertes Trinken wie ich inzwischen gelernt habe. Wobei ich schon immer ein sehr "durstiger" Mensch war. Aber immer gesellig, nie aggressiv. Lustig. Gut drauf. Ein gern gesehener Gast.
Mein Leben war von Anfang an nicht einfach. Gewalttätiger Vater, zusehende Mutter, körperliche und psychische Mißhandlung. Mit 17 ausgezogen und trotz alledem etwas aus mir gemacht. Leitende Position, Vorstand von einem Sportverein, Freunde, die mich lieben.
Im Nachhinein betrachtet begann es vor 11 Jahren. Ich wachte eines morgens neben meiner fast toten Lebensgefährtin auf. Sie hatte eine Überdosis Morphium genommen. Nur noch Schnappatmung. Sie wurde zwar widerbelebt, aber das Morphium hatte ihr Gehirn durch stundenlangen Sauerstoffentzug zu 95 % vernichtet. Sie lag 10 Jahre in Koma und ist letztes Jahr gestorben. Ich zog meinen Sohn ( damals 12 ) alleine groß ( die Ex-Frau wollte nichts von ihm wissen ), managte Beruf, Sohn und den Alltag. Meine Ex-Frau kam zur Besinnung und wir teilen uns das Sorgerecht. Auf seinen Wunsch hin, lebte er 1 Monat bei mir und dann 1 Monat bei meiner Ex-Frau. Alles lief gut.
Aber doch begann ich unbemerkt mehr zu trinken und der Alkohol beeinflusste mein Leben immer mehr. Ich hatte tagsüber nie einen Gedanken an Alkohol, nie getrunken, aber in dem Moment wo ich die Türe zu meiner Wohnung aufschloß, war der erste Griff zur Flasche. Heute weiß ich, dass die Wohnung mein Problem war. Die Socken meiner Freundin lagen immer noch da, wo sie vor 10 Jahren lagen. Ich konnte nichts verändern. Immer mehr schloß ich mich zu Hause ein, war nicht mehr fähig, außerhalb der Arbeit etwas zu tun. Der Alkohol begann mein Leben zu beherrschen. Ich freute mich tagsüber schon auf das nach Hause kommen, um trinken zu können. Ich vernachlässigte meine Wohnung und ich am Schlimmsten mich selbst. Ich war nicht mehr fähig, Zähne zu putzen oder zu duschen. 7 Monate lang !!!! Dann gegannen die Entzugserscheinungen und fürchterliche körperliche Schmerzen. Angststörungen, Panikattacken, tagelanges Grübeln. Und immer mehr trinken, denn dann war alles erträglich. Mein Leben bestand dann am Wochenende oder freien Tagen nur noch aus Aufstehen, trinken, schlafen, trinken, schlafen, trinken.
Kurz darauf an einem Montag erlebte ich in der Arbeit einen Nervenzusammenbruch. Ich fuhr nach Hause, trank und alles war plötzlich wieder gut. Das war der Moment, wo mir klar wurde, dass ich Alkoholiker bin. Ich gestand es mir zum ersten Mal ein. Körperlich und psychisch war ich aber schon ein Wrack. Ich informierte meine Freunde, dass ich Alkoholiker bin und ihre Hilfe brauche. Ich suchte im Internet nach Hilfe und fand die "Betty-Ford-Klinik". 2 Wochen später wurde ich dort aufgenommen. Die Ärzte stellten dabei fest, dass es fünf Sekunden vor 12 für mich war. Leberwert bei 2095, Bauchspeicheldrüse in einem schlimmen Zustand. Und so weiter. Es folgte die Entgiftung und dann die Entwöhnung. Durch die intensive Betreuung der dortigen Psychologen konnte ich von meinem Trauma ( Freundin ) befreit werden und auch von meinen Depressionen. Ich spürte wieder Regen auf meiner Haut und sah, dass die Bäume grün sind.
Während meines Aufenthaltes dort, hat mein Sohn meine Freunde zusammen getrommelt und sie haben meine Wohnung komplett renoviert. Sie haben alles was drin war, weg geschmissen, sie komplett neu eingerichtet. Überall Laminat verlegt, die Wände gestrichen, alles geputzt, neu möbliert. Ich habe geheult wie ein Hund, als ich nach Hause kam. Vor Freude.
Nun bin ich seit 6 Monaten trocken und habe mein Leben wieder zurück. Ich verspüre nur selten Suchtdruck, und wenn dann nur für ein paar Sekunden. Ich habe Notfallnummern und Kontaktpersonen, die mir nahe stehen, wenn der Druck mal zu hoch werden sollte. Ich bin wieder glücklich und erlebe alles in seiner Schönheit und vor allem wieder Intensiv.
Vor 1 Monat war ich zu einer Präventionswoche wieder in der Betty. Mir wurde noch mal dringend ans Herz gelegt, mich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. Und ich spürte, dass sie Recht haben. Bisher war ich der Meinung, dass das nicht notwendig sei. Aber meine Angst ist doch, dass der "Alkohol" mit der Zeit zu weit in den Hintergrund rückt und die Gefahr eines Rückfalles größer wird. Und das will ich auf keinen Fall. Ich möchte das nie mehr wieder erleben und erleiden müssen.
So, aus der gewünschten kurzen Vorstellung ist doch nun ein Roman geworden.....lach. Aber ich möchte mich so gerne mit Euch austauschen, das Thema "am Leben" halten und vor allem, anderen Leidgenossen versuchen zu helfen, oder wenigsten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.