Habe meinen Vater verloren...

  • Hallo Miteinander,

    tja, wo fange ich an... am Samstag vor 3 Wochen, am 8. Januar 2022 ist mein Papa gestorben. Er hat mit 66 Jahren den Kampf gegen das Leben verloren. Und ich den Kampf um meinen Papa.

    Ich bin 40 Jahre alt, 1981 im November geboren... absolutes Papakind und werde wohl nie begreifen, warum der Alkohol so mächtig war, dass mein Vater zugelassen hat, alles - auch mich - zu verlieren. Seit 2007 hatten wir nur noch sporadisch Kontakt - Selbstschutz meinerseits. Viel Kampf, viel Liebe, viel Enttäuschung... viel Schönes...

    Jetzt ist er gestorben.
    Ich habe all die Jahre immer mal überlegt, in eine Selbsthilfegruppe für Angehörige zu gehen... Oder oder oder... Habe natürlich auch eine Therapie hinter mir - was enorm dazu beigetragen hat, den Schritt des Kontaktabbruchs zu gehen. Was immer unterbewusst geblieben ist, ist die Frage W A R U M??? Was führt dazu, dass Jemand zulässt alles zu verlieren???? Wie schafft der Alkohol das?

    Vielleicht finde ich hier die ein oder andere Erklärung?!

    Würde mich freuen, "aufgenommen" zu werden...

    Liebe Grüße
    Steffi

  • Willkommen Steffi,

    Mein Beileid zu deinem Verlust. Endgültigen und bitteren Verlust, bereits seit Jahren wegen seiner Entscheidung für den Alkohol.

    Ich schätze, das kann man nicht verstehen.

    Aber Du bist nicht alleine!

    Hier gibt es ein Bereich für Erwachsenen Kinder von Alkoholiker Eltern.

    Der Austausch kann dir möglicherweise helfen. Dich stärken. sortieren, positiv nach vorne zu blicken. Wenn man es auch nicht schafft zu verstehen, dann zu verarbeiten.

    LG

    Stern

  • Hallo Steffi,

    willkommen im Forum.

    das "Warum" wird immer ein verdammt kompliziertes Etwas bleibendas man nicht wirklich greifen kann.

    Das ist das Wesen der Sucht :( ich weiss eine sehr unbefriedigende Antwort.

    Wenn du dich weiter austauschen möchtest kannst du dich unter:

    https://alkoholiker-forum.de/bewerben/

    melden um für die offenen Foren- Bereiche freigeschaltet zu werden.

    Grüße

    Barthell

    Train to survive

    survive to train

  • Guten Morgen liebe Steffi,

    ich hab Dich für den offenen Bereich freigeschaltet und Dein Thema auch direkt dort hin verschoben. Wenn das nicht ok sein sollte, sag bitte Bescheid. HIER geht es also für Dich weiter :)

    Es tut mir sehr leid, dass Dein Papa gestorben ist. Ich weiß, wie Du Dich fühlst, denn mein Vater ist auch vor wenigen Tagen gestorben und wir beide sind ungefähr in einem Alter, ich bin 43.

    Allerdings hat mein Vater nicht getrunken und ich kann mir vorstellen, dass es besonders schwer ist, dabei zusehen zu müssen, wie ein Mensch sich selbst zerstört und man muss dabei zusehen. Das tut mir wirklich sehr leid.

    Du wirst hier einige EKA, Erwachsene Kinder von Alkoholikern „kennenlernen“. Der Austausch wird Dir sicherlich gut tun!

    LG Cadda

  • Guten Morgen Ihr Lieben,

    vielen Dank für Eure Worte! Puh... ich überlege jetzt, ob ich hier in diesem Thread nochmal näher erzählen bzw. fragen sollte, oder ob ich einen neuen eröffne? Bin da nicht so "firm".

    Am Liebsten würde man sich die ganze Geschichte von der Seele schreiben, aber sie ist halt auch schon so oft durchgekaut.

    Ich habe zum Glück einen lieben Mann (hätte nie gedacht, dass ich es mal so lange in einer Beziehung aushalte), einen 7-jährigen Sohn (der die Mama aktuell ganz ganz viel weinen sieht und ganz viele Fragezeichen in seinen Äuglein hat) und eine Mutter, die sich schon vor 36 Jahren von meinem alkoholkranken Vater getrennt hat - und sich immer wieder vorwirft, dass sie mir das, was ich die letzten Jahrzehnte durchgemacht habe und auch jetzt fühlen muss, nicht ersparen konnte.

    :!: DIe größte Frage, die bleibt - und vielleicht kann Jemand, der selbst getrunken hat, oder trinkt... mir versuchen das zu erklären:
    Warum hat er sich gegen ein Leben mit uns, in Gesellschaft, mit Liebe und Geborgenheit und für ein Leben mit Alkohol, Schulden, enormen gesundheitlichen Problemen und letztendlich den Tod entschieden? :?: :?: :?:

    Also gestorben ist er ja vor 3 Wochen - an einem schweren Herzinfarkt. Als er sich endlich durchgerungen hat - das weiß ich nur von seiner Lebensgefährtin - und der Notarzt kam, war sein Rücken (die Nieren) schon blau und die Füße auch. Er hat STUNDENLANG nicht den Notarzt gerufen - trotz starker Herzinfarkt-Symptome. Als er dann in die Klinik eingeliefert wurde, hat es das Herz nicht mehr geschafft...

    Am Tag vorher hatte er sich tatsächlich noch durchgerungen zum Kardiologen (mit Überweisung vom Hausarzt) zu gehen - dort wurde er weggeschickt, weil er keinen Covid-Testnachweis dabei hatte. SIE HABEN IHN WEGGESCHICKT!!! WEGEN EINEM SCHEISS CORONA TEST, den jeder FRISEUR VOR ORT MACHEN KANN NOTFALLS - aber kein ARZT!?????????? Er war wohl nicht geimpft, weil er sich - zum Glück wisst Ihr warum - Außenstehende verstehen das ja oft nicht - sowieso nie oder selten zum Arzt getraut hat.

    Habt alle einen guten Tag... mit vielleicht dem ein oder anderen Sonnenstrahl :*

  • Hallo Steffi,

    Du kannst einfach hier in Deinem Tagebuch bleiben und berichten, wovon Du möchtest. Achte allerdings ein bisschen drauf, dass Du keine realen Namen nennst oder so, hier können ja auch viele mitlesen, aber das weißt Du sicherlich. Es ist jedenfalls übersichtlicher, wenn man alles in einem Thread lässt. Natürlich kannst Du auch bei anderen Leuten schreiben, jederzeit... dafür ist das Forum ja da. Aber wenn Du etwas loswerden möchtest, was Dich betrifft, dann bleib am besten hier und öffne keinen neuen Thread, sonst kommt es so durcheinander.

    Ich kann Deine Wut und Verzweiflung so sehr verstehen. Das ist alles wirklich nicht schön abgelaufen. Zum Einen der Termin beim Arzt (ich begreife das auch nicht, was Du da geschrieben hast), dann das späte Reagieren, von dem seine Lebensgefährtin berichtet hat (ich hätte ihn übergangen und den RTW gerufen). Aber das sind alles Dinge, die Du nun nicht mehr ändern kannst. Das ist schwer, aber es geht nicht.

    DIe größte Frage, die bleibt - und vielleicht kann Jemand, der selbst getrunken hat, oder trinkt... mir versuchen das zu erklären:
    Warum hat er sich gegen ein Leben mit uns, in Gesellschaft, mit Liebe und Geborgenheit und für ein Leben mit Alkohol, Schulden, enormen gesundheitlichen Problemen und letztendlich den Tod entschieden? :?::?::?:

    Ich möchte versuchen, das zu beantworten. Man entscheidet sich nicht bewusst gegen das Eine und für das Andere. Das macht die Sucht. Die Sucht lässt einen Trinken, so wie die Sucht einen Menschen rauchen lässt beispielsweise. Jeder Mensch, aber auch wirklich JEDER... weiß, dass Rauchen schädlich ist. Warum entscheidet sich nicht JEDER Raucher gegen ein Leben mit dem Rauchen und FÜR die Gesundheit? Weil die Sucht einen daran hindert.

    So ist es auch beim Saufen. Wie oft habe ich mir gesagt, dass ich das alles nicht mehr will, Weil es alles kaputt macht. Immer wieder redet das Suchtgedächtnis einem ein, dass es das eine Mal doch noch geht. Dass es diesmal bei wenigen Gläsern bleibt. Wenn man psychisch abhängig ist, kann man nicht mehr bewusst mitentscheiden und wenn dann noch die körperliche Abhängigkeit hinzukommt, dann sowieso nicht mehr. Dann musst man trinken, damit man nicht zusammenbricht. Der Gang, sich dann Hilfe zu holen und entscheiden, mit dem Trinken aufzuhören... das wiederum lässt eben die psychische Abhängigkeit nicht zu oftmals. Manche schaffen den Absprung, wenn sie unten angekommen sind, manche aber auch nicht.

    Steffi, ich habe eine wundervolle Familie um mich herum gehabt, tolle Freunde und ganz tolle - damals noch kleine - Kinder. Glaubst Du, ich habe da gesessen und mich für ein Leben mit Alkohol und mit der Sucht entschieden und gegen ein Leben mit Zufriedenheit und für meine Kinder? Nein... Ich liebe meine Kinder über alles und ich habe trotzdem getrunken. Das Eine schließt das Andere nicht aus. Es ist ist die Sucht, die das entscheidet. Das hört sich ganz banal an, aber so ist es auch.

    LG Cadda

  • Liebe Cadda,

    vielen lieben Dank für Deine Nachricht und Deine Hilfe dabei, zu verstehen, was in einem Menschen, der trinkt, vorgeht. Es leuchtet absolut ein, dass einem das Suchtgedächtnis einredet, "Ach komm, das eine mal noch..." - ich nehme an es ist unmittelbar gekoppelt an "Ich mach das alles wieder gut" - oder "Es ist noch so viel Zeit, dieses eine mal schadet doch nicht". Zumindest in gewisser Weise nachvollziehbar.

    Danke auch dafür, dass Du so offen darüber sprichst, wie es Dir ergangen ist. Seit Deiner Antwort sind 2 Wochen vergangen - seitdem durfte das ein oder andere schon etwas heilen. Es bleiben die schönen Erinnerungen, die sich zur Trauer gesellen. Sie kommt immer mal wieder in "Geröll-Lawinen" und dann schaue ich mir tapfer jeden einzelnen Stein und Felsbrocken an, und sortiere ihn - arbeite auf. Versuche zu verstehen. Ich vermisse ihn unfassbar doll - obwohl ich seit Jahren den Kontakt auf ein Minimum reduziert hatte - immer mit der heimlichen Hoffnung, dass doch noch alles gut wird.

    Ich bin mir sicher, wir sehen uns wieder - und da wo er jetzt ist, gibt es keinen Schmerz und keine Sucht mehr.

    Ganz liebe Grüße

  • ... Man entscheidet sich nicht bewusst gegen das Eine und für das Andere. Das macht die Sucht. Die Sucht lässt einen Trinken, ...

    Es ist ist die Sucht, die das entscheidet. Das hört sich ganz banal an, aber so ist es auch.

    Hallo zusammen.

    Das mag zwar stimmen, doch ist die Frage damit nicht zur Gänze beantwortet.

    Was führt uns zur Sucht? Klar, man trinkt hin und wieder mal Alkohol, dann öfter … "weil er hilft" .

    Da muss die Antwort / Frage beginnen. Warum ziehen wir es vor, uns lieber zu betäuben, den Folgen trotzend (Folgen am nächsten Tag: Übelkeit, Kopfschmerz) am Anfang der Alkoholikerkarriere.

    Das dann irgendwann der Gewöhnungseffekt auftritt, die Dosis erhöht wird usw. ist alles klar.

    Die Meisten wissen, was Alkohol mit einem macht/ machen kann … warum tun wir es trotzdem?

  • Guten Steffi, guten Morgen Achelias,

    Was führt zur Sucht? Da gibt es sicherlich individuelle Antworten. Mir hat das Trinken von Alkohol mehr Selbstbewusstsein in dem

    Moment gegeben. Andere können angetrunken besser einschlafen, wiederum Andere finden das Betrunkensein und die dazugehörigen Gefühle eben berauschend und lustig. So gibt es bestimmt etliche Gründe, weshalb getrunken wird, BEVOR man süchtig ist. Wenn man aber erstmal schleichend reingerutscht ist und dann süchtig ist, dann „muss“ ich trinken. Das ist dann die Sucht, die mich trinken lässt.

    Der oder die Angehörige wird dann damit konfrontiert und denkt vielleicht an die zuerst von mir beschriebenen „Gründe zu trinken“ und fragt sich verzweifelt, wieso nicht einfach aufgehört wird zu trinken, um sich das Leid zu ersparen. Zu dem Zeitpunkt ist es dann aber vermutlich schon ganz banal gesagt eben die Sucht, die Einen trinken lässt.

    Steffi, bewahre diese Erinnerungen, die sich zur Trauer gesellen. Das ist so wichtig. Ich erlebe das auch gerade. Bei der Trauer um meinen Vater kommt zwar keine Wut hinzu, weil er nicht getrunken hat und in meinen Augen somit nichts falsch gemacht hat. Hätte er das aber, indem er Alkoholiker gewesen WÄRE, dann würde ich versuchen mir wirklich mein Gedankenkarussell zu stoppen, indem ich mir ganz klar und kurz sage „Es war die Sucht. Punkt.“

    LG Cadda

  • Ich bin bei dem Thema übrigens gerade unglaublich froh, dass ich trocken bin und den Absprung geschafft habe. Ich möchte nicht, dass meine Kinder irgendwann einmal in der Situation sein müssen, wo so eine Verzweiflung auftritt, wegen dieser schei…. Sauferei und das noch zusätzlich zu der Verzweiflung, die man eh wegen eines geliebten Menschen hat.

    Ich kann Dich wirklich gerade sehr gut verstehen, Steffi.

    Aber Du hilfst Dir selbst, indem Du z.B. hier bist und Dich sortierst. Das ist gut so!

    LG Cadda

  • Hallo Steffi, mein Beileid.

    Es ist gut, dass du zu uns gefaunden hast und etwas für dich tust.


    Hallo zusammen.

    Das mag zwar stimmen, doch ist die Frage damit nicht zur Gänze beantwortet.

    Muss es auch nicht! Es geht nicht immer um das tiefenpsychologische Ergründen der Sucht, um sie zu verstehen. Manchmal ist ein Baum nur ein Baum.

    Was führt uns zur Sucht? Klar, man trinkt hin und wieder mal Alkohol, dann öfter … "weil er hilft" .


    Da muss die Antwort / Frage beginnen. Warum ziehen wir es vor, uns lieber zu betäuben, den Folgen trotzend (Folgen am nächsten Tag: Übelkeit, Kopfschmerz) am Anfang der Alkoholikerkarriere.


    Das dann irgendwann der Gewöhnungseffekt auftritt, die Dosis erhöht wird usw. ist alles klar.


    Die Meisten wissen, was Alkohol mit einem macht/ machen kann … warum tun wir es trotzdem?

    Ich weiß jetzt nicht, inwieweit das auch hilfreich für einen Angehörigen ist, der seinen Vater durch die Sucht verloren hat? Die Suchtgeschichte eines Alkoholikers kann auch nur er für sich selbst aufarbeiten.

    Ich musste mir nicht diese Fragen stellen, die mich zufrieden trocken werden ließen. Ich hatte es akzeptiert, dass ich ein Süchtiger bin. Eventuell kannst du dafür einen eigenen Thread dazu eröffnen?

    Steffi , ich kann dir nur so viel aus meinen Erfahrungen als Familienvater sagen, dass ich in zwei Welten gefangen war, die ich verkrampft versucht hatte, zu verbinden. Das eine die Liebe zu meinen Kindern und den Zwang trinken zu müssen.

    Sich zusammenzureißen, um dann zu erkennen, dass es nicht möglich ist. Ich wünsche dir, dass du für dich notwendige Antworten bekommst und du die Zusammenhänge für dich verstehen kannst.

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Ich bin 40 Jahre alt, 1981 im November geboren... absolutes Papakind und werde wohl nie begreifen, warum der Alkohol so mächtig war, dass mein Vater zugelassen hat, alles - auch mich - zu verlieren. Seit 2007 hatten wir nur noch sporadisch Kontakt - Selbstschutz meinerseits. Viel Kampf, viel Liebe, viel Enttäuschung... viel Schönes...

    Jetzt ist er gestorben.

    Liebe Steffi,

    es hat mich sehr berührt, was und wie du geschrieben hast und ich habe darauf letzte Nacht in mehreren Stunden versucht dir etwas zurückgeben, das vielleicht helfen könnte zu begreifen. Schlussendlich hatte ich in knappen 10 Linien etwas Text beisammen, der allerdings alles andere als tröstlich war, geschweige den das Ganze für dich begreifbarer machen könnte - also habe ich alles gelöscht. Gleichwohl war es nicht für nichts, mindestens für mich - ich, der zuweilen glaubt, dass es auf alles Antworten gibt; habe sie für dich nicht gefunden - trotz Insiderwissen. Ich hatte nämlich einen Onkel, der vor über 20 Jahren, in vergleichbarem Alter auf gleiche Art und Weise verstarb, er als Vater von 6 Mädchen und einem Knaben, der sich mittlerweile ebenfalls zu Tode gesoffen hat.

    Noch heute habe ich ein extrem ambivalentes Gefühl, wenn ich an ihn denke - ich glaube, mein Onkel kam in seiner Welt und mit sich einfach nicht zurecht und fühlte sich trotz grosser eigener Familie schrecklich einsam, denn er war meist nur sehr schweigsam, ausser er war betrunken. Seine Töchter letztmals darauf angesprochen, sprachen von einem mittlerweile Fremden, den sie gerne geliebt hätten, wenn es nur möglich gewesen wäre und so hätten sie es mindestens versucht, was möglich war.

    Ich weiss, das ist kein Trost für dich und hilft kaum das Elend zu begreifen - für dich bleibt vielleicht nur die Trauer, dass er so war wie er war und es wird möglicherweise eine neue Sicht von dir auf deinen Vater notwendig sein, wenn du „Frieden“ finden willst - LG Ste.

  • Ich bin bei dem Thema übrigens gerade unglaublich froh, dass ich trocken bin und den Absprung geschafft habe. Ich möchte nicht, dass meine Kinder irgendwann einmal in der Situation sein müssen, wo so eine Verzweiflung auftritt, wegen dieser schei…. Sauferei und das noch zusätzlich zu der Verzweiflung, die man eh wegen eines geliebten Menschen hat.

    Ich kann Dich wirklich gerade sehr gut verstehen, Steffi.

    Aber Du hilfst Dir selbst, indem Du z.B. hier bist und Dich sortierst. Das ist gut so!

    LG Cadda

    Alleine, das zu lesen, hilft schon so ungemein! Weil es einfach zeigt, dass es auch alkoholkranke Eltern gibt, die es schaffen und ihren Kindern DAS ersparen können... Und ja, es ist wirklich eine Art "doppelte Trauer"... Wie gesagt die eigentliche Trauer und dann ganz schwer die Trauer um das was man alles nicht hatte, wegen der Sauferei... Ich habe so oft mit meinem Mann darüber gesprochen, wie sehr ich mir wünsche, mit meinem Papa einfach mal in einer Pizzeria zu sitzen (früher ging das noch) - oder ihm all die kleinen und großen Entwicklungsschritte seines Enkels zu zeigen.

    Vor 3 Wochen war ich mit meinem Mann in dem Ort, in dem mein Vater Ende der 90er seine (einzige) Entziehungskur gemacht hat und wo er dann auch sesshaft wurde. Ich nenne solche Orte/Straßen "Memory Lane".

    Vor der (Entzugs-)Klinik saßen 3 Männer in der Sonne auf einer Bank und alberten herum... Sie strahlten so viel Hoffnung aus, man konnte den Neuanfang förmlich in der Luft spüren und ich weiß noch wie wichtig diese Zeit damals auch für mich war - ich war 14 - und saß mit meinem Vater öfters auf eben dieser Bank. Ich wohnte damals bei meiner Mutter, rund 60 km vom "Kurort" entfernt. Mindestens 3 x pro Woche bin ich nach der Schule mit Bus und Bahn hingefahren um meinem Papa zu zeigen, dass es sich lohnt, dass ich da bin. Und er war so stolz. Rund 5 Jahre war er trocken.

    In seinen Sachen habe ich die Tagebücher aus der Entzugszeit gefunden - sie schließen ab mit dem Text:
    "Papa", sagte Steffi, "du schaffst es bestimmt, ich weiß es genau. Ich bin immer für Dich da, egal was passiert"..

    Vielen Dank lieber Hartmut, für deinen Beitrag, es fühlt sich an wie das ein oder andere Puzzleteil, das dadurch hinzukommt. "Gefangen in zwei Welten" - ja, so muss es gewesen sein. Bis er sich der einen irgendwann hingegeben hat, so ganz. Und dass es ein Zwang ist... Auch was Cadda beschreibt... Dieses "langsame reinrutschen in die Sucht"... Wahnsinn. Ich trinke auch gern mal ein Weinchen... so fangen wahrscheinlich viele Suchtgeschichten an...

  • ...zu dem Thema "Was führt uns zur Sucht..." gab es ja auch schon die ein oder andere Antwort.. Wenn ich die Lebensgeschichte meines Papas nachvollziehe, habe ich auch eine Ahnung "wie es dazu kam".

    Vater und Großvater waren schon Alkoholiker, Mutter psychotisch (durch Kriegstraumata) und während seiner Kindheit mehrere Male für Monate in der Psychiatrie, er ist ein mittleres Kind von 5, hat laut meiner Oma "von allen am wenigsten Liebe bekommen" - weil meine Tante nur 11 Monate später direkt hinterher auf die Welt kam.. Bundeswehr, Saufgelage nach der Arbeit in der Werkstatt... Eine Mischung aus Seelenschmerzen, Veranlagung, sehr niedrigem Selbstwertgefühl...

    Obwohl er einen Entzug gemacht hat und 5 Jahre trocken war, in denen er mir immer erzählte, er könne nicht mal ein Yes-Törtchen essen, er wäre sonst gleich wieder "drin in der Sucht" ... verleugnete er nach dem Rückfall bis zum Schluss seine Sucht. Er trinke doch nur mal ein Bierchen nach der Arbeit. Salopp zusammengefasst.

    Warum tun wir es trotzdem... Es muss hier eine Form von Betäubung gewesen sein..

  • Liebe Steffi,

    es hat mich sehr berührt, was und wie du geschrieben hast und ich habe darauf letzte Nacht in mehreren Stunden versucht dir etwas zurückgeben, das vielleicht helfen könnte zu begreifen. Schlussendlich hatte ich in knappen 10 Linien etwas Text beisammen, der allerdings alles andere als tröstlich war, geschweige den das Ganze für dich begreifbarer machen könnte - also habe ich alles gelöscht. Gleichwohl war es nicht für nichts, mindestens für mich - ich, der zuweilen glaubt, dass es auf alles Antworten gibt; habe sie für dich nicht gefunden - trotz Insiderwissen. Ich hatte nämlich einen Onkel, der vor über 20 Jahren, in vergleichbarem Alter auf gleiche Art und Weise verstarb, er als Vater von 6 Mädchen und einem Knaben, der sich mittlerweile ebenfalls zu Tode gesoffen hat.

    Noch heute habe ich ein extrem ambivalentes Gefühl, wenn ich an ihn denke - ich glaube, mein Onkel kam in seiner Welt und mit sich einfach nicht zurecht und fühlte sich trotz grosser eigener Familie schrecklich einsam, denn er war meist nur sehr schweigsam, ausser er war betrunken. Seine Töchter letztmals darauf angesprochen, sprachen von einem mittlerweile Fremden, den sie gerne geliebt hätten, wenn es nur möglich gewesen wäre und so hätten sie es mindestens versucht, was möglich war.

    Ich weiss, das ist kein Trost für dich und hilft kaum das Elend zu begreifen - für dich bleibt vielleicht nur die Trauer, dass er so war wie er war und es wird möglicherweise eine neue Sicht von dir auf deinen Vater notwendig sein, wenn du „Frieden“ finden willst - LG Ste.

    Ich danke Dir von Herzen! Jede einzelne Antwort auf meinen Beitrag ist in gewisser Weise tröstlich... Vielen Dank, dass Du versucht hat, es mir begreiflicher zu machen. Trotz aller Trauer habe ich mich meinem Vater seit Jahren nicht mehr so nah gefühlt, wie die letzten 6 Wochen, seit er gestorben ist. All die schönen Dinge, hatte ich jahrelang verdrängt, um mir den Nicht-Kontakt zu erleichtern. Vielleicht kommt der Frieden mit der Zeit... auch zu wissen, dass da Niemand mehr ist, um den ich mich im Innersten immer sorge, trägt etwas bei...

  • Liebe Steffi,

    dass du diesen Satz mit uns teilst, zeigt mir, dass er dich beschäftigt. Ich hoffe es ist ok, dass ich so direkt frage, aber wie hast du dich nach dem Fund gefühlt?

    In seinen Sachen habe ich die Tagebücher aus der Entzugszeit gefunden - sie schließen ab mit dem Text:
    "Papa", sagte Steffi, "du schaffst es bestimmt, ich weiß es genau. Ich bin immer für Dich da, egal was passiert"..

    Liebe Grüße,

    Theresa

  • Hallo Theresa,

    er hatte mir damals erzählt, dass er und die Mitpatienten diese Art von Tagebuch führen sollen während der Entzugszeit. Ich kannte auch einige Inhalte, es stand also für mich nicht viel "Neues" darin.

    Der Satz hat mich natürlich sehr berührt, als ich ihn nochmal gelesen habe. Für mich steht er für den Zusammenhalt, den wir damals hatten, für viel Hoffnung, für die bedingungslose Liebe damals... er zeigt mir aber auch, wie früh ich schon reifen musste und wie groß dann die Enttäuschung war, als er doch wieder angefangen hatte zu trinken. Gerade weil da so viel Kraft drinsteckte, ich hab ihn unterstützt so gut ich konnte - mit 14 Jahren. Als ich 19 war, hat er wieder angefangen.

    Ich bin erstaunlicherweise im Reinen damit, dass ich dieses "Ich bin immer für Dich da, egal was passiert..." nicht halten konnte. Es ging einfach nicht mehr. Ich musste mich retten und konnte die dauernden Enttäuschungen und den Schmerz, sowie den Anblick, die leeren Flaschen die aus Schränken quollen, die Aggressivität und Vorwürfe wenn er betrunken war, das vor verschlossenen Türen stehen (Schlüssel steckt von innen, Papa im Suffschlaf) nicht mehr ertragen.

    Als ich den Satz gelesen habe, noch mitten im Schock, tat es natürlich trotzdem sehr weh. Ich hatte die ersten Wochen das Gefühl ich bestehe nur aus Schmerz. Mittlerweile geht es besser, aber kommt wie gesagt in Wellen.

    Wie ist das bei Dir aktuell?


    Es ist völlig in Ordnung, dass Du fragst, denn ich habe noch nie Jemanden im "wahren Leben" getroffen, der das Gleiche oder Ähnliches erlebt hat. Obwohl es ja für mich Normalität war in gewisser Weise.

    Liebe Grüße

    Steffi

  • Hallo Steffi,

    auch ich verstand meinen Vater erst nach dem ich versuchte, IHN zu begreifen. Warum er trank.

    Auch er ein Kriegskind, das älteste, kam in Punkto Aufmerksamkeit und Liebe immer zu kurz in Kinder- und Jugendtagen.

    Er hatte es nie gelernt mit Gefühlen umzugehen. Auch später als meine Schwester und ich noch klein waren, war es schwer bis unmöglich zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen ...auch „schwach“ zu sein zu dürfen, Gefühle zuzulassen Er war immer im „Verteidigungsmodus“.

    Auf der einen Seite war er erfolgreich im Beruf, auch international (Filmbranche), in der Familie hingegen, war er zwar anwesend, doch scheute er immer die Nähe. Am Abend beflügelte dann der Alkohol seine Kreativität und vertrieb alle Sorgen. Die Sucht begann.

    Er war exzentrisch, cholerisch veranlagt, konnte nie über seine Gefühle sprechen, machte andere nieder (auch uns Kinder) , um besser da zustehen, sicherlich auch depressiv.

    Der Alkohol versprach Linderung. Egal, ob Künstler oder Nicht-Künstler – wenn Menschen nie lernten mit Problemen umzugehen, greifen gern sie zum Medikament (nicht Arzneimittel), welches hilft. Viele haben Suchtpotenzial.

    Wir Kinder sehnen uns immer nach unseren Eltern und halten an den schönen Momenten fest, denn die machten uns stark.

    Auch mein Vater starb, auch ich wendete mich Jahre zuvor von ihm ab (Selbstschutz), ich konnte das Elend nicht länger ertragen. Heute weiß ich, das was meinen Vater einmal ausmachte bzw, was ich mir wünschte, starb schon lange bevor er nicht mehr lebte.

    Ich muss heute noch heftig schlucken, wenn ich daran denke … und beobachte auch immer sehnsuchtsvoll die anderen Familien, wo`s scheinbar funktioniert.

    Ich vergab meinem Papa seine Schwäche, sein Unvermögen mit der Welt nicht zurecht zukommen.

    Loslassen wird mich das nie, doch mit seinem Tot wurde dieses traurige Kapitel beendet, zumindest für meinen Vater.

    Ich weiß auch, trösten kann einen da niemand, da muß man durch … man kann aber lernen, damit umzugehen und versuchen bei seinen Kindern all die Fehler zu vermeiden, die bei unseren Vorfahren gemacht wurden...

    Zitat


    ... "denn ich habe noch nie Jemanden im "wahren Leben" getroffen, der das Gleiche oder Ähnliches erlebt hat."

    Leider gibt es so unsäglich viele, die Ähnliches erlebten und erleben, nur spricht kaum jemand darüber oder ist nicht in der Lage seine Gedanken, Gefühle in Worte zu kleiden. Weil`s eben so weh tut und die Auseinandersetzung damit auch nicht gerade schmerzfrei ist.

  • Hallo liebe Steffi,

    Ich bin erstaunlicherweise im Reinen damit, dass ich dieses "Ich bin immer für Dich da, egal was passiert..." nicht halten konnte. Es ging einfach nicht mehr.

    Du hast direkt gemerkt, was mich interessiert hat ;). Das zu lesen freut mich sehr. Für mich hat dieser Satz, auch wenn ich genau wie du durch meine Therapie viel besser in der Selbstreflektion geworden bin, im ersten Moment auch einiges unterbewusst getriggert. Ich sehe es tatsächlich so, dass du es halten konntest. Wir waren für unsere Väter da, in dem wir für uns selbst da waren. Das zu schreiben, hilft mir gerade auch :)

    Bei mir hat mich die Beerdigung etwas mit ihm und mir versöhnt. Ich hatte ja genau wie du gute Erinnerungen an einen liebevollen Vater. Die waren überschattet vom sehr beschissenen letzten Jahr. Das mittlerweile trennen zu können, hilft wahnsinnig. Die Wellen kommen und gehen auch bei mir. Ich werde anfangen mein letztes Jahr in meinem Beitrag hier aufzuarbeiten. Mich endlich mit Leuten auszutauschen, die genau wissen, wovon ich schreibe, tut so gut, also vielen Dank für deine Nachfrage :).

    Liebe Grüße,

    Helena

  • Leider gibt es so unsäglich viele, die Ähnliches erlebten und erleben, nur spricht kaum jemand darüber oder ist nicht in der Lage seine Gedanken, Gefühle in Worte zu kleiden. Weil`s eben so weh tut und die Auseinandersetzung damit auch nicht gerade schmerzfrei ist.

    Als ich endlich die Krankheit meines Vaters in Worte fassen und als solche anerkennen konnte und mich meinem direkten Umfeld geöffnet habe, sind so viele meiner Freunde mit Geschichten von Alkoholikern aus der eigenen Familie rausgerückt. Schon faszinierend, dass es so häufig vorkommt und keiner von sich aus offen drüber redet. Seitdem spreche ich sehr offen darüber, denn diese Offenheit nimmt vielen die Unsicherheit und Scham, außerdem hätte mir selbst damals geholfen zu wissen, dass ich in meinem Umfeld nicht alleine bin.

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