Grüße in die Runde!
Ich bin männlich, verheiratet, habe drei Kinder, ein schönes Zuhause, einen tollen Job, und wir sind alle gesund. Man sollte meinen, das reicht, um glücklich zu sein. Doch leider war über eine lange Zeit mein dunkler Begleiter sehr präsent: Alkohol oder dieses miese Nervengift, wie ich ihn jetzt oft bezeichne. Mit diesem miesen Nervengift habe ich mich über Jahre hinweg betäubt und vermeintliche Sorgen weggespült. Angefangen hat es wahrscheinlich wie bei vielen hier mit wöchentlichen Saufgelagen vor und bei diversen Partys. Die Woche über trank ich zu der Zeit nicht, das begann erst sporadisch während meines Studiums. Schleichend wurde es immer mehr, nicht von der Menge aber dafür zumindest in den letzten 10 Jahren nahezu täglich. Ich könnte wahrscheinlich die Tage einzeln benennen, an denen ich nicht getrunken habe. So hatte sich folgende Routine bei mir gefestigt: Jeden Abend, meist so gegen 18 oder 19 Uhr, öffnete ich mein erstes Bier. Drei mussten es mindestens sein, meistens vier oder fünf – selten mehr, dafür aber täglich. In letzter Zeit kamen dann immer auch ein bis zwei kleine Schnäpse dazu. Währenddessen habe ich diverse Serien geschaut. Mein ganzer Tag drehte sich um dieses abendliche Ritual, und ich war sehr gereizt, wenn etwas dazwischen kam.
Das alles sorgte natürlich auch innerhalb meiner Familie für Konflikte und unnötige Spannungen. Denn spätestens um 19 Uhr wollte ich meine Ruhe haben. Ich wollte nichts mehr vom Alltag sehen, hören oder fühlen. Ich verzog mich in meine vernebelte Welt und war dann auch immer sehr genervt, wenn mich jemand dabei störte.
Jeden Abend landete ich dementsprechend angetrunken im Bett. Einschlafen ging durch das Nervengift recht schnell, aber gegen 2 oder 3 Uhr wachte ich regelmäßig auf und wälzte mich dann unruhig hin und her. Morgens begann der Tag dann oft mit Kopfschmerzen, ich war sehr müde und hatte meistens schlechte Laune. Dennoch meisterte ich meinen beruflichen und privaten Alltag recht gut. Aber ich fühlte mich vor allem in der letzten Zeit immer erschöpfter, unmotivierter und ohne Antrieb.
Seit mindestens drei Jahren lese ich hier still im offenen Bereich mit. Ungefähr seit dieser Zeit ist mir bewusst geworden, dass ich ein massives Problem mit Alkohol habe. Trotzdem habe ich den Absprung nicht geschafft bzw. immer wieder verschoben. Ich redete mir ein, an „besonderen“ Tagen wie Silvester, Ostern oder meinem Geburtstag zu starten – doch es blieb (wenn überhaupt) nur bei kurzen Abstinenzphasen. Ich redete mir dann beispielsweise ein, dass ich nur noch am Wochenende trinke. Aber binnen kürzester Zeit war ich wieder im Hamsterrad gefangen. Ich konnte oder wollte mir einfach nicht eingestehen, dass ich den Konsum nicht im Griff habe. Immer hoffte ich, dass ich zu einem „normalen“ oder zumindest gesundheitlich unbedenklichen Konsum in der Lage wäre – vergeblich. Ich bin Alkoholiker.
Vor drei Wochen hat sich mein Leben dann schlagartig verändert. Ich war krank (Corona). Mir ging es einfach zu schlecht, um zu trinken. Ich konnte das Zeug nicht mal mehr riechen - im wahrsten Sinne des Wortes. Während ich ans Bett gefesselt war, habe ich unzählige Artikel über Alkohol gelesen, hier im Forum geschmökert und Videos auf YouTube geschaut. Und dann hat es Klick gemacht.
Seitdem habe ich dieses Nervengift nicht mehr angerührt und meine alte Routine komplett über Bord geworfen. Bisher hatte ich kaum Trigger-Situationen, da ich fast ausschließlich zu Hause innerhalb dieser unnützen Routine getrunken habe. Jetzt genieße ich die Zeit mit meiner Familie. Auch treibe ich jetzt wieder Sport – ein Lebensinhalt, der mir früher sehr wichtig war. Mir wird immer klarer, wie viel kostbare Zeit ich jeden Abend verschwendet habe. Es fühlt sich so befreiend an, aus dieser vernebelten Welt ausgestiegen zu sein.
Ich bin sehr zuversichtlich und habe mir felsenfest vorgenommen, nie wieder dieses miese Nervengift zu konsumieren. Ich weiß, dass ich nicht damit umgehen kann. Ich will klar sein. Für mich, für meine Familie und für ein freies, selbstbestimmtes Leben. Und das ist der große Unterschied zu früheren Abstinenzphasen von mir.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich mich hier vorstellen soll, und bin jetzt froh und erleichtert, mir das alles von der Seele geschrieben zu haben. Ich wünsche euch allen eine trockene, zufriedene und selbstbestimmte Zeit.
PS: Heute ist Tag 20 ohne!