• Hallo zusammen,

    ich bin männlich, 35 Jahre alt, habe seit einem halben Jahr eine Partnerin mit Kind und seit fünf Jahren einen Job auf Leitungseben. Ich trinke nun seit dem 01.05.2021 keinen Alkohol mehr.

    Dass mit meinem Trinkverhalten etwas nicht in Ordnung ist, weiß ich schon seit vielen Jahren. Alkohol gehörte seit meinem 15. Lebensjahr fest zu meinem Leben. Bei uns am Dorf war es normal, dass man sich jedes Wochenende mindestens an einem Abend völlig betrinkt. Ich weiß noch, dass mir immer mal wieder durch den Kopf ging, dass ich das Trinken nicht 100%ig im Griff hatte. Während Freunde von mir scheinbar sehr leicht nach nur einem Bier nach Hause gehen konnten, war das für mich völlig unverständlich. Mit der Aussicht auf nur ein Bier habe ich lieber gar nichts getrunken. Soll nicht heißen, dass es immer in einem Vollsuff endete, aber oft genug. Irgendwie habe ich die "Gratwanderung" immer geschafft, jedenfalls habe ich mir das eingeredet. Es passierte im betrunkenen Zustand nie etwas Schlimmes, ich konnte unter der Woche ganz selbstverständlich nüchtern bleiben, ohne darüber nachzudenken und ich merkte keine Nachteile für mich.

    In den letzten Jahren meines Studiums (ca. vor 9 Jahren, so genau kann ich den Zeitpunkt aber nicht mehr festlegen) änderte sich mein Trinkverhalten. Durch die räumliche Trennung mit meinem Freundeskreis haben wir uns oft online zu Spieleabenden getroffen. Da fing ich an, "allein" vor dem Computer zu trinken. Das waren die ersten Male, in denen ich trank und nicht unter Gesellschaft war, abgesehen von den Stimmen meiner Freunde im Ohr. Ziemlich schnell bin ich in dieser Zeit auch von Bier auf Wein umgestiegen. Schleichend gelangte ich zu dem Punkt, ab dem ich mehrmals die Woche eine Flasche Wein am Abend trank, immer öfter auch ganz allein, ohne mit meinen Freunden zu sprechen oder zu spielen.

    Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass ich seit 2014 mindestens an fünf von vier Tagen in der Woche jeweils eine 0,5er Flasche Bier und einen Liter Wein getrunken habe, quasi meine Ration. Das war also das nächste Level meines Trinkverhaltens, welches ich aber eisern eingehalten habe. Es gab keine Abende, an denen ich mehr getrunken oder zu Höherprozentigem gegriffen habe. Damit möchte ich es nicht gutreden, ganz sicher nicht. Irgendwie hab ich dieses Level eben eingehalten, damit alles andere noch halbwegs funktioniert, das restliche Leben eben. In diesen Jahren mit diesem höheren Konsum habe ich interessanterweise auch gar nicht mehr in Gesellschaft getrunken. Ich habe mich stattdessen eingeigelt und meine Zeit allein verbracht. Keine Partnerin, kaum Kontakt zur Familie und zum Freundeskreis. Natürlich haben die Personen, die mir Nahe stehen, gelitten und sie ahnten auch schon etwas. Darauf angesprochen, habe ich aber immer Ausflüchte gesucht und weiter gemacht. Selbst die Erkenntnis, dass mein Trinkverhalten absolut nicht in Ordnung ist und ich dringend aufhören muss, hat nichts gebracht. Ich hielt mal eine Woche ohne Alkohol durch und habe mir dann letztendlich doch wieder meine Ration gekauft.

    Wieso genau ich jetzt endlich damit aufhören konnte, zumindest die bisherigen sieben Wochen, weiß ich nicht. Ich schätze, ich hatte einfach genug von all den negativen Auswirkungen. Vielleicht spielt auch meine neue Partnerin eine Rolle. Ich bin eine Woche nach meinem letzten Schluck zur Suchtberatungsstelle gegangen und gehe dort alle zwei Wochen zu einem Beratungs-/Therapietermin. Bei einer Selbsthilfegruppe hier vor Ort war ich ebenfalls schon zwei Mal, allerdings haben mich diese Besuche so deprimiert, dass ich danach eher einen höheren Drang verspürte, wieder Alkohol zu trinken. Vielleicht sind alle Gruppen so, ich weiß es nicht, aber diese Gruppe wirkte sehr deprimiert und "am Boden zerstört". Vielleicht schaue ich mir noch ein paar andere Gruppen an. Auf dieses Forum bin ich gestoßen, als ich nach Alternativen zu diesen offline Gruppen suchte. Ich schreibe gern und habe schon viele Seiten gefüllt, um mich mit meiner Sucht und dem Nüchtern-Sein auseinanderzuetzen. Vielleicht ist hier ja auch ein guter Platz für mich, um mich auszutauschen und meine Erfahrungen zu teilen.

    Ich habe gelesen, dass man sich freischalten lassen muss?! Geschieht das automatisch?

    Ich freu mich auf die Zeit hier, denn ich bin fest davon überzeugt, dass ich es ganz allein viel schwerer haben würde...

    Liebe Grüße

    Tellerrand

  • Hallo Tellerrand,

    schön, dass du dich hier austauschen willst. Das Freischalten erfolgt durch ein Moderatorenteam.

    Inzwischen will ich dich aber schon mal willkommen heißen. Ich freue mich auf den Austausch mit dir. Ich bin w, Anfang 50, trocken seit einigen Jahren und sowohl in einer „offline“ als auch in dieser virtuellen Selbsthilfegruppe. Ich finde den Austausch mit anderen Alkoholikern und auch Angehörigen sehr hilfreich, nach wie vor.

    Vielleicht probierst du auch noch eine oder zwei andere „analoge“ Gruppen zusätzlich aus. Vielleicht passt eine andere besser für dich.

    Jetzt aber erstmal willkommen hier - wenn du gerne schreibst, dann passt diese Gruppe hier bestimmt. :) .

    Grüße, Thalia

  • - habe seit einem halben Jahr eine Partnerin mit Kind

    - seit fünf Jahren einen Job auf Leitungsebene

    - Ich trinke nun seit dem 01.05.2021 keinen Alkohol mehr.

    - Ich schreibe gern

    Ich freu mich auf die Zeit hier, denn ich bin fest davon überzeugt, dass ich es ganz allein viel schwerer haben würde...

    Lieber Tellerrand - herzlich willkommen hier!

    Du hast ideale Voraussetzungen für eine vielversprechende Zukunft, falls du weiterhin dauerhaft am Alkohol vorbei kommst. Mit deiner Vorgeschichte ist das keine Kleinigkeit. Trotzdem hast du dich am 1. Mai entschieden, deine Sucht, verbunden mit zeitweiligem Kontrollverlust, einzutauschen gegen

    ein Leben, in vollem Bewusstsein und Perspektive für dich, Partnerin, Familie, Freundeskreis und generell Personen, die dir Nahe stehen.

    Bleib dabei - kein Alkohol - du kannst bestehen, wenn du dich in manch Bodenlosigkeit doch getragen fühlst, durch dein eigenes Wollen!

    Deine Eingangstext wirkt abgeklärt, wohl überlegt und schlüssig - gleichzeitig zeigt er eine Distanz des Verfassers zur beschriebenen Person. Ich vermisse Nähe - wie kommst du generell mit Nähe klar, zu dir selbst und zu anderen Menschen. Magst du die von dir beschriebene Person, oder hast du sie sogar ein wenig gerne? Würdest du bei dieser Person anklopfen wollen, um ein wenig bei ihr, mit ihr, zu leben?

    Auch dein Label „Tellerrand“ ist besonders - lässt sich als Synonym für Grenzgänger interpretieren - passt gut zu deiner Geschichte. Du läufst am Rande eines Abgrundes, ausgestattet mit vielen Talenten im besten Alter, wo noch alles drin ist, wenn du dir Sorge trägst; andernfalls - ja du weißt schon, wo es auch enden könnte mit dir.

    In diesem Forum gibt es so viele unterschiedliche, ehrliche und lebendige Schreiberlinge, die in irgendeiner Weise vergleichbares wie du erlebt haben bzw. erleben und sind dadurch oft eine vortreffliche Stütze auf einem begonnen Weg; vielleicht auch für dich als trockener Alkoholiker.

    Schön, dass du hier beginnst - beste Grüße Ste

  • Hallo und willkommen Tellerrand,

    Ich habe gelesen, dass man sich freischalten lassen muss?! Geschieht das automatisch?

    Um freigeschaltet werden zu können gehst du oben im Dashboard auf "Vorstellen", da gibt es die Option, in der du dich für den offenen Forumsbereich bewerben kannst.

    Lieber Gruß

    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Ich habe gelesen, dass man sich freischalten lassen muss?! Geschieht das automatisch?

    Hallo und willkommen im Forum,

    bevor dich hier für die Freischaltung offener Bereich bewirbst, habe ich noch eine Frage.

    Bewerbung - Alkoholiker Forum (alkoholiker-forum.de)

    nun tauschen sich hier nur bekennende Alkoholiker, die eine lebenslange Abstinenz anstreben, aus. Ist das bei dir auch so? Ich lese zwar von deinem Trinkverhalten ansonsten nichts von Alkoholiker. Oder habe ich da was überlesen ?

    Gruß Hartmut

    ------------------

    Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet Gründe!

  • Hallo und willkommen im Forum,

    bevor dich hier für die Freischaltung offener Bereich bewirbst, habe ich noch eine Frage.

    Bewerbung - Alkoholiker Forum (alkoholiker-forum.de)

    nun tauschen sich hier nur bekennende Alkoholiker, die eine lebenslange Abstinenz anstreben, aus. Ist das bei dir auch so? Ich lese zwar von deinem Trinkverhalten ansonsten nichts von Alkoholiker. Oder habe ich da was überlesen ?

    Hallo Hartmut.

    Ich glaube, das ist eine Berufskrankheit. Ich komme aus dem Sozialwesen und vermeide schon fast automatisch Beschreibungen, die nur einen Teilaspekt einer Person ausmachen. Also z.B. sowas wie "Behinderter". Darüber kann man stundenlang diskutieren.

    Ich bin Alkoholiker und ich will ein Leben ohne Alkohol führen, ja. Definitiv und ohne Aber. Vermutlich werde ich das Wort trotzdem selten benutzen. Das ist aber wirklich nicht als fehlende Bekennung gemeint.

    Hallo Ste.

    Ich mag Texte, die mich zum Nachdenken anregen. Danke dafür:)

    Ich wähle schon immer sorgsam aus, wen ich nahe an mich heran lasse. Und ich bin auch tatsächlich im Privaten eher zurückgezogen, habe dennoch einen großen Freundeskreis, naja...hatte. Meine engen Freunde sind dann aber auch sehr eng und bleiben das auch. Denen habe ich auch meine Sucht gestanden und meinen nun nüchternen Weg. Zu meiner Familie ist es eher ein distanzierteres Verhältnis, was auch gerade ein großes Thema in der Suchtberatung ist. Meine Familie und meine Partnerin waren die ersten, denen ich es gesagt habe.

    Zu mir selbst bin ich sehr offen würde ich sagen. Ich habe mich jedenfalls immer für sehr selbstreflektiert gehalten. Darüber denke ich gerade viel nach, denn wie konnte ich nur in so eine Situation kommen. Wie konnte ich mich durch den Alkohol nur so verändern und so lange Zeit nicht damit aufhören, obwohl ich es ja so deutlich gemerkt habe...

    Ich mag mich und ich glaube auch, dass mich die meisten Menschen mögen, mit denen ich in Kontakt komme. Ich bin meistens zu Scherzen aufgelegt, hab immer ein offenes Ohr und bin gern für andere da. Das spiegelt wohl auch meine Berufswahl wider. Ich kann aber auch anecken. Meine Meinung vertrete ich manchmal sehr viel härter, als es angebracht wäre:) Ecken und Kanten hat ja jeder. Aber so allgemein würde ich mich als sehr umgänglichen Menschen beschreiben.

    Jedenfalls hoffe ich, dass ich noch so sein kann. Die meisten meiner positiven Eigenschaften wurden sehr zurückgedrängt in den Jahren des Trinkens. Ich wurde immer schlechter gelaunt, hatte Gefühle, die ich früher nie so stark hatte, vor allem negative Gefühle (z.B. Neid, oder auch Eifersucht). Ständig dieser Kater, diese Unausgeglichenheit. Ich habe mich selbst verloren und gerade suche ich nach mir.

    In den ersten Wochen ohne Alkohol hatte ich so ein Hoch-Gefühl. Ich hatte schon ein paar Mal versucht aufzuhören, verband das aber immer mit einem Verlust. Das ist dieses Mal anders. Ich trauere nichts nach (nie wieder Spaß, weil nüchtern), zumindest bisher noch nicht, sondern freue mich, dass ich etwas sein lasse, was mich negativ verändert und mir geschadet hat. Dieses Hoch ist jetzt seit drei Wochen aber nicht mehr da. Ich trauere zwar dem Alkohol nach wie vor nicht nach, aber....schwer zu beschreiben....es ist als hätte ich Schleusen geöffnet. Ständig so viele Gedanken und Gefühle, die ich jahrelang gar nicht hatte. Es gab ja keine Zeit für Nachdenken. Arbeit und abends betrunken sein, das war der Alltag.

    Ich glaube, ich bin gerade einfach überfordert. Ich habe zum Thema Alkoholismus viele Bücher gelesen, mir Videos angeschaut, Podcasts gehört, hier im Forum gelesen und habe irgendwie versucht all das aufzunehmen und umzusetzen, anstatt erst mal zu schauen, was für mich persönlich denn gut ist oder sein könnte. Musst du in ne Gruppe? Musst du deine Ernährung gesünder gestalten? Such dir Hobbies! Mach Sport! Meditation hilft! Und, und, und...

    Gepaart mit all den neuen (alten?) Gedanken und Gefühlen ist das alles ein wenig viel. Vor allem die Erkenntnis, zu wem ich geworden bin und die Angst, ich könnte vielleicht nicht mehr "der Alte" werden. Und all das, was man so während der Trinkzeit gemacht hat...allein die Logistik, volle Flaschen zu beschaffen und leere Flaschen möglichst unauffällig verschwinden zu lassen. Da schäme ich mich einfach in Grund und Boden, was manche Dinge betrifft.

    Puuhhh...länger geworden als ich dachte. Nun mach ich für heute mal Schluss.

    Hallo und willkommen Tellerrand,

    Um freigeschaltet werden zu können gehst du oben im Dashboard auf "Vorstellen", da gibt es die Option, in der du dich für den offenen Forumsbereich bewerben kannst.

    Lieber Gruß

    Aurora

    Danke und ebenfalls Hallo;)

  • ....es ist als hätte ich Schleusen geöffnet. Ständig so viele Gedanken und Gefühle… Ich glaube, ich bin gerade einfach überfordert.

    • Ich habe zum Thema Alkoholismus viele Bücher gelesen, mir Videos angeschaut, Podcasts gehört, hier im Forum gelesen und habe irgendwie versucht all das aufzunehmen und umzusetzen, anstatt erst mal zu schauen, was für mich persönlich denn gut ist oder sein könnte. Musst du in ne Gruppe? Musst du deine Ernährung gesünder gestalten? Such dir Hobbies! Mach Sport! Meditation hilft! Und, und, und...

    Gepaart mit all den neuen (alten?) Gedanken und Gefühlen ist das alles ein wenig viel. Vor allem die Erkenntnis, zu wem ich geworden bin und die Angst, ich könnte vielleicht nicht mehr "der Alte" werden.

    Hallo Tellerrand

    Puuhhh...länger als als ich erwartet habe :)

    Das mit den Schleusen scheint es zu treffen, fast schon ein Dammbruch… aber okay - cool down, denn das was du angehst ist ein großes Abenteuer auf neuen Pfaden, gönne dir dazu die nötige Ruhe. Mir scheint generell, du willst ALLES sofort und jetzt in die Wege leiten, nur fort aus diesem Jetzt.

    Bedenke - das, wie du geworden bist, gilt nur für den Moment in einem fortwährenden Wandel, dem wir zum Glück alle unterworfen sind und … hinter dem Horizont gehts weiter - du wirst also nie mehr „der Alte“ sein können, denn es gibt kein Zurück, nur ein Vorwärts; aber dein letzter Text ist vielversprechend. Es ist viel Seele darin und ich spüre, der Verfasser steht zu dieser Person, von der er schreibt - im Gegensatz zum ersten.

    Es heißt ja auch nicht, dass alles was dir lieb war an dir verloren ist, es ist wird sich finden in einem neuen Kontext mit deinen Mitmenschen in Raum und Zeit. Ängste, was wir alles auf unserem Weg schon morgen von uns verlieren oder nicht wieder finden könnten, raubt uns den Moment, indem wir gerade stehen und somit das Jetzt, das wirkliche Leben.

    Gruss Ste

  • Vor allem die Erkenntnis, zu wem ich geworden bin und die Angst, ich könnte vielleicht nicht mehr "der Alte" werden.

    Hallo Tellerrand,

    du musst ja auch nicht wieder „der Alte“ werden. Du kannst dich doch entwickeln und andere Wege gehen. Das Vergangene kannst du nicht ändern.

    Was dir in deiner Abstinenz hilft, musst du für dich herausfinden: Sport, Meditation, neue Hobbys oder auch alte, die dir früher einmal Spaß gemacht haben. Probiere es aus. Die Zeit, die du früher mit dem Trinken, der Beschaffung und Entsorgung der Flaschen, des Katers und der Antriebslosigkeit verschwendet hast, kannst du ja nun nutzen.

    Viele Grüße

    Seeblick

  • Ihr habt recht, man entwickelt sich natürlich immer weiter. Ich hoffe nur, ich habe viele der positiven Eigenschaften von früher noch in mir und sie kommen wieder zum Vorschein. Die Leichtigkeit ist irgendwie weg...ich fühle mich einfach nicht mehr so positiv wie früher.

    Es war auch eine harte Woche. Nach der Euphorie zu Beginn, muss ich mich wahrscheinlich erst mal damit auseinandersetzen, dass das hier ein langer und harter Weg wird.

  • Ist das eigentlich etwas, was vorüber geht, oder bleibt das Gefühl, etwas zu verpassen? Also weil man "für immer" sagt und einem ja bewusst wird, dass andere dieses Problem nicht haben und sich ohne Gefahr betrinken können...

  • Hallo Tellerrand,

    das geht vorüber! Mir hat es geholfen, gar nicht so an das „für immer“ zu denken. Ich trinke heute/jetzt nicht. Du wirst sehen wie groß die Vorteile der Abstinenz sind. Ich denke häufiger „zum Glück muss ich das nicht mehr“. Und damit ist das gesamte Paket gemeint: Die Gedanken, ob man genug zu trinken da hat, die Beschaffung/Entsorgung der Flaschen, wieviel „darf“ ich heute trinken, der Kater, die Antriebslosigkeit, die Hoffnungslosigkeit, das schlechte Gewissen, usw. Es ist auch viel Stress, der einfach wegfällt.

    Andere haben kein Problem mit Alkohol. Dafür haben andere Diabetes, Allergien, Unverträglichkeiten und die müssen auch auf sich achten. Und: Es gibt auch Menschen, die einfach keinen Alkohol trinken mögen, ohne dass sie ein Problem haben. Da muss man eigentlich gar nicht neidisch sein.

    Viele Grüße

    Seeblick

  • Hallo Tellerrand,

    nun möchte ich dich auch endlich in dieser Online-SHG begrüßen.

    Ich kann dir nicht sagen, wie es bei DIR wird, aber ich kann dir von meinen Erfahrungen erzählen, vielleicht macht es dir Mut.

    Ich trauere zwar dem Alkohol nach wie vor nicht nach, aber....schwer zu beschreiben....es ist als hätte ich Schleusen geöffnet. Ständig so viele Gedanken und Gefühle, die ich jahrelang gar nicht hatte.

    Als ich das bei dir gelesen habe, kam mir das ziemlich bekannt vor.

    Als ich eine Weile abstinent war, ging mir das nämlich ähnlich. Mein Arzt, der mich auch etwas therapeutisch begleitet - ich leide u.a. an Depressionen -, erklärte mir, dass mein Gehirn nun, da ich keinen Alkohol mehr trinke, wacher würde. Er meinte auch, es könne gut sein, dass mich die eine oder andere Situation - und sei sie noch so harmlos - triggern könnte. Er nahm mir damit allerdings auch die Angst davor, denn ich freute mich darüber, dass mein Gehirn wacher wird, und, was die Trigger betraf, wollte ich aufmerksamer für mich und meine Befindlichkeiten und Bedürfnisse werden.

    Vom Prinzip ist es ja nun jetzt so: Bislang haben meine Handlungen mich dahin gebracht, dass ich Alkohol als „Medizin“ brauchte, um mich zu betäuben, mir Druck zu nehmen, mich gut fühlen zu lassen. Wohin diese „Medizin“ führt und dass sie mir letztlich überhaupt nicht gut tut, hab ich ja schließlich gemerkt. Das war ja auch der Grund, warum ich dauerhaft abstinent werden wollte.

    Das neue Ziel sollte nun also lauten, so für mich zu sorgen, dass ich mich gar nicht betäuben muss, dass ich gar nicht dermaßen unter Druck gerate, dass ich mich einfach so gut fühle.

    Und so empfand ich dieses Wacher-Werden als Chance und die „Trigger“ als wichtige Signale.

    Klar hat mich das anfangs überfordert und es tat weh, teilweise ziemlich weh.

    Ich hab in der ersten Zeit auch viel gelesen und mich viel mit dem Thema beschäftigt. Auch für mich war das erstmal zu viel Input. Bei mir ist das typisch, dass ich mich in ein Thema oder eine Aufgabe sehr vertiefe, wenn ich dafür „brenne“.

    Ich lernte in dieser ganzen Zeit aber auch, mehr auf mich zu achten. Wenn’s mir nicht gut ging, tat ich für mich das, was ich gerade brauchte. Das konnte Rückzug bedeuten, Aufschreiben, was mit mir los ist, eine Meditation machen oder mit meinen Hunden spazieren gehen.

    Ist das eigentlich etwas, was vorüber geht, oder bleibt das Gefühl, etwas zu verpassen? Also weil man "für immer" sagt und einem ja bewusst wird, dass andere dieses Problem nicht haben und sich ohne Gefahr betrinken können...

    Das kann ich dir so pauschal nicht beantworten. Ich selbst habe, weil ich das vom Rauchstopp kannte, von Anfang an daran gearbeitet, bei mir nicht den Gedanken aufkommen zu lassen, ich würde etwas vermissen.

    Ich wusste, dass sich mein Suchtgedächtnis irgendwann, am besten zu einer für mich ungünstigen Zeit, melden würde, wenn ich in mir den Gedanken zulassen würde, ich würde auf etwas, das ein Teil von mir als gut empfunden hat, verzichten.

    Ich verzichte als nicht auf Alkohol, sondern ich empfinde meine Abstinenz als Freiheit von Alkohol und allem, was an Negativem dazu gehört, und als Freiheit zu einem ganz neuen Leben, in dem es so Vieles zu entdecken gibt.

    Es geht mir inzwischen so gut ohne Alkohol, dass ich einfach nur regelmäßig glücklich darüber bin. Solche Momente versuche ich mir besonders einzuprägen. Ich kann von mir wirklich sagen, zufrieden abstinent zu sein.

    Deine Frage kann ich also nur so beantworten: Es verschwindet, wenn du entsprechend an dir arbeitest.

    Alles Gute dir auf deinem weiteren Weg!

    AufderSuche

    Einmal editiert, zuletzt von AufderSuche (29. Juni 2021 um 10:14)

  • Hallo Hartmut ,

    ich hatte 10 Tage Auszeit an der Ostsee. Bin wieder online nun. Andere Themen habe ich bisher auch nur gelesen. Ich wollte noch nicht außerhalb meines eigenen Themas schreiben, weil ich erst so frisch hier angekommen bin. Aber ich lese fleißig.


    das geht vorüber! Mir hat es geholfen, gar nicht so an das „für immer“ zu denken. Ich trinke heute/jetzt nicht.

    Die meiste Zeit denke ich auch gar nicht an das "für immer". Am schlimmsten sind die Momente, in denen ich auch die größte Lust habe, etwas zu trinken. Dann muss ich mich schon sehr zwingen, die Gedanken wieder richtig zu lenken. Meist dann erst mal nur "Nein, heute nicht!"

    Dein Text macht sehr Mut. So wie die meisten Texte, die ich hier bisher von dir oder anderen gelesen habe. Danke:)

    Dass ich an mir arbeiten muss, wird mir immer klarer. Anders ausgedrückt: Ich kann erst jetzt, ohne Alkohol, an mir arbeiten und bemerke auch erst jetzt die Baustellen. Die Baustellen habe ich betrunken fleißig übersehen...

    Und ja, das ist schmerzhaft, aber auch irgendwie schön. Man findet wieder zu sich. Mir geht es ja jetzt auch schon besser, nach "nur" zweieinhalb Monaten. Ich musste mich z.B. in den letzten Jahren täglich nach der Arbeit hinlegen, weil ich einfach keine Kraft mehr hatte und müde war. Ich bin zwar immer noch etwas schlapp, aber das ist nicht dasselbe. Die "Arbeit an mir" und die Auseinandersetzung mit dem Thema macht ja auch irgendwie schlapp.

    Bei mir ist das typisch, dass ich mich in ein Thema oder eine Aufgabe sehr vertiefe, wenn ich dafür „brenne“.

    Bei dem Satz musste ich gerade lachen. Das bin sowas von ich:) Selbst während der Trinkerei hab ich mir so viele kleine und größere Projekte vorgenommen, konnte aber keinem davon wirklich nachgehen.


    Übrigens war mein Urlaub, trotz sehr wechselhaftem Wetter, super schön. Und ich hatte das erste mal mehrere Tage, an denen ich erst kurz vor dem Einschlafen überrascht festgestellt habe, dass ich überhaupt nicht an das Thema Alkohol gedacht habe. Wir haben gar nicht sooo viel unternommen und die Gegen kannte ich schon. Also hauptsächlich die Seele baumeln lassen, viel lesen, unterhalten, spielen, wandern. Ich hatte, wenn ich ehrlich bin, ein bisschen Angst davor, dass ich mir irgendwie selbst den Urlaub "versaue", indem mich das Thema überwältigt. Aber Pustekuchen...genau das Gegenteil war der Fall.

    Jetzt, wo ich wieder zu Hause bin, habe ich viel darüber nachgedacht, und ich denke, dass es der Alltag ist. Das Trinken gehörte zum Alltag. Nun habe ich es entfernt, aber es bleibt im Alltag noch viel, was mich an das Trinken erinnert oder was ich damit verbinde.

  • Hallo Tellerrand,

    bei mir war es eher so, dass ich mein Inneres verändert habe und mein Äußeres Leben sich diesen Umständen angepasst hat.

    Ich habe angefangen sehr viel für meine Trockenheit zu machen, das bringt dann auch automatisch eine Veränderung im Alltag mit sich.

    Viele neue Kontakte, viel Literatur, eine Morgenroutine etc.

    Diese ganzen Tools habe ich nach und nach in mein Leben integriert. Das kam nicht über Nacht. Es hat einige Monate gedauert. Ich habe ganz viel von dem was ich von anderen gehört habe, selber angewendet und gemerkt, dass es mich stabil trocken hält.

    Als ich angefangen habe diesen Beitrag hier zu schreiben, war der erste Satz: Mein Alltag hat sich gar nicht sooo sehr verändert.

    Aber wenn ich jetzt drüber nachdenke, doch er hat sich sogar sehr verändert.

    Immer in kleinen Schritten.

    Die kamen immer so nach und nach, dass ich es fast vergessen hätte.

    Das ist in etwa so, wie einem Kind beim Wachsen zuzusehen. Wenn du das Kind jeden Tag siehst, merkst du nicht so sehr, dass es jeden Tag wächst. Schaust du dir dann alte Fotos an, siehst du erst richtig wie groß es geworden ist.

    Heute hat mein Leben und vor allem meine innere Einstellung nur noch recht wenig mit der Person von damals gemeinsam.

    Und das finde ich auch sehr schön so. :)

    Liebe Grüße

    Twizzler

  • Hallo Tellerrand,

    ich habe nicht alles komplett geändert. Anfangs habe ich einiges zur Ablenkung ausprobiert. Von Kochen, über Malen, Tagebuch schreiben, spazieren gehen usw.

    Nun hat man hat ja im Prinzip mehr Zeit, da man sich den Konsum und die Beschaffung spart und zusätzlich viel mehr Energie hat. So hat sich der Alltag (wie Twizzler beschrieben hat) so nach und nach in Kleinigkeiten geändert.

    Allerdings habe ich auch keine Hobbies, die ich automatisch mit Alkohol verbunden habe. Es gibt ja einige, die zum Beispiel nach dem Sport immer etwas getrunken haben. Oder Computer-Spiele = Alkohol, Essen kochen = Küchenwein, in der Werkstatt basteln = Bier.

    Dann würde ich ich schon dazu raten, etwas grundsätzlich zu ändern.

    Viele Grüße

    Seeblick

  • Das ist in etwa so, wie einem Kind beim Wachsen zuzusehen. Wenn du das Kind jeden Tag siehst, merkst du nicht so sehr, dass es jeden Tag wächst. Schaust du dir dann alte Fotos an, siehst du erst richtig wie groß es geworden ist.

    Das ist ein schöner Vergleich. So ähnlich geht es mir gerade auch. Mit dem Unterschied zu einem Kind, dass ich täglich neue Dinge in mir entdecke, die schon längst da gewesen sind, aber verschüttet waren.

    Ich freu mich auch gerade sehr über jeden Morgen, den ich ohne Kopfschmerzen aufwache. Es ist mir immer öfter völlig schleierhaft, wie ich so lange mit diesen Katern weitermachen konnte. Vor allem im Job.

    Es haben sich in meinem Alltag auch schon ganz neue Dinge eingeschlichen, z.B. seit zwei Wochen Sport. Aber auch verschiedene Routinen, die ich vorher gar nicht schaffen konnte, wie z.B. ein regelmäßiges Frühstück. Die Abende fallen mir allerdings immer noch schwer. Das passt auch zu dem, was du, Seeblick , gesagt hast: Ich habe während dem Trinken überwiegend dieselben Dinge getan. Computerspiele gehören dazu und vor allem das Musikhören. In den ersten abstinenten Wochen habe ich beides völlig sein lassen. Um ehrlich zu sein, habe ich abends so gut wie nichts getan, bin stattdessen sehr früh ins Bett, um den Tag als "geschafft" abzuhaken. Wenn ich mich in der letzten Zeit mal in Ruhe hingesetzt habe, um Musik oder ein Spiel anzumachen, wurde ich nach spätestens einer Stunde schon unruhig und habe aufgehört. Als könnte ich das nicht mehr genießen. Das macht mich schon irgendwie traurig. Spiele nahmen nur noch einen kleinen Teil meiner Freizeit ein. Die waren eher noch so ein Relikt aus Jugendzeiten, aber dennoch ein festes Hobby, was sich gehalten hat. Musik dagegen hatte schon immer eine sehr große Bedeutung für mich. Vielleicht kommt der Genuß ja wieder, aktuell ist es aber ein komisches Gefühl. Als hätte ich mir mit dem Alkohol zwei Beschäftigungen zerstört, die mir wichtig waren. Oder habe ich mich einfach weiterentwickelt und grundsätzlich daran nicht mehr so viel Spaß? Das will ich herausfinden.

    Mal abgesehen davon: Ich empfinde es schon als große Herausforderung, sich damit zu beschäftigen, was man denn eigentlich mit seiner Freizeit gern anstellen möchte, jetzt wo man mehr davon hat. Ist wahrscheinlich ein Luxusproblem. Wer bin ich? Was macht mir Spaß? Wer will ich sein? Es ist toll, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, gleichzeitig manchmal beängstigend.

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