Hallo zusammen,
ich bin männlich, 35 Jahre alt, habe seit einem halben Jahr eine Partnerin mit Kind und seit fünf Jahren einen Job auf Leitungseben. Ich trinke nun seit dem 01.05.2021 keinen Alkohol mehr.
Dass mit meinem Trinkverhalten etwas nicht in Ordnung ist, weiß ich schon seit vielen Jahren. Alkohol gehörte seit meinem 15. Lebensjahr fest zu meinem Leben. Bei uns am Dorf war es normal, dass man sich jedes Wochenende mindestens an einem Abend völlig betrinkt. Ich weiß noch, dass mir immer mal wieder durch den Kopf ging, dass ich das Trinken nicht 100%ig im Griff hatte. Während Freunde von mir scheinbar sehr leicht nach nur einem Bier nach Hause gehen konnten, war das für mich völlig unverständlich. Mit der Aussicht auf nur ein Bier habe ich lieber gar nichts getrunken. Soll nicht heißen, dass es immer in einem Vollsuff endete, aber oft genug. Irgendwie habe ich die "Gratwanderung" immer geschafft, jedenfalls habe ich mir das eingeredet. Es passierte im betrunkenen Zustand nie etwas Schlimmes, ich konnte unter der Woche ganz selbstverständlich nüchtern bleiben, ohne darüber nachzudenken und ich merkte keine Nachteile für mich.
In den letzten Jahren meines Studiums (ca. vor 9 Jahren, so genau kann ich den Zeitpunkt aber nicht mehr festlegen) änderte sich mein Trinkverhalten. Durch die räumliche Trennung mit meinem Freundeskreis haben wir uns oft online zu Spieleabenden getroffen. Da fing ich an, "allein" vor dem Computer zu trinken. Das waren die ersten Male, in denen ich trank und nicht unter Gesellschaft war, abgesehen von den Stimmen meiner Freunde im Ohr. Ziemlich schnell bin ich in dieser Zeit auch von Bier auf Wein umgestiegen. Schleichend gelangte ich zu dem Punkt, ab dem ich mehrmals die Woche eine Flasche Wein am Abend trank, immer öfter auch ganz allein, ohne mit meinen Freunden zu sprechen oder zu spielen.
Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass ich seit 2014 mindestens an fünf von vier Tagen in der Woche jeweils eine 0,5er Flasche Bier und einen Liter Wein getrunken habe, quasi meine Ration. Das war also das nächste Level meines Trinkverhaltens, welches ich aber eisern eingehalten habe. Es gab keine Abende, an denen ich mehr getrunken oder zu Höherprozentigem gegriffen habe. Damit möchte ich es nicht gutreden, ganz sicher nicht. Irgendwie hab ich dieses Level eben eingehalten, damit alles andere noch halbwegs funktioniert, das restliche Leben eben. In diesen Jahren mit diesem höheren Konsum habe ich interessanterweise auch gar nicht mehr in Gesellschaft getrunken. Ich habe mich stattdessen eingeigelt und meine Zeit allein verbracht. Keine Partnerin, kaum Kontakt zur Familie und zum Freundeskreis. Natürlich haben die Personen, die mir Nahe stehen, gelitten und sie ahnten auch schon etwas. Darauf angesprochen, habe ich aber immer Ausflüchte gesucht und weiter gemacht. Selbst die Erkenntnis, dass mein Trinkverhalten absolut nicht in Ordnung ist und ich dringend aufhören muss, hat nichts gebracht. Ich hielt mal eine Woche ohne Alkohol durch und habe mir dann letztendlich doch wieder meine Ration gekauft.
Wieso genau ich jetzt endlich damit aufhören konnte, zumindest die bisherigen sieben Wochen, weiß ich nicht. Ich schätze, ich hatte einfach genug von all den negativen Auswirkungen. Vielleicht spielt auch meine neue Partnerin eine Rolle. Ich bin eine Woche nach meinem letzten Schluck zur Suchtberatungsstelle gegangen und gehe dort alle zwei Wochen zu einem Beratungs-/Therapietermin. Bei einer Selbsthilfegruppe hier vor Ort war ich ebenfalls schon zwei Mal, allerdings haben mich diese Besuche so deprimiert, dass ich danach eher einen höheren Drang verspürte, wieder Alkohol zu trinken. Vielleicht sind alle Gruppen so, ich weiß es nicht, aber diese Gruppe wirkte sehr deprimiert und "am Boden zerstört". Vielleicht schaue ich mir noch ein paar andere Gruppen an. Auf dieses Forum bin ich gestoßen, als ich nach Alternativen zu diesen offline Gruppen suchte. Ich schreibe gern und habe schon viele Seiten gefüllt, um mich mit meiner Sucht und dem Nüchtern-Sein auseinanderzuetzen. Vielleicht ist hier ja auch ein guter Platz für mich, um mich auszutauschen und meine Erfahrungen zu teilen.
Ich habe gelesen, dass man sich freischalten lassen muss?! Geschieht das automatisch?
Ich freu mich auf die Zeit hier, denn ich bin fest davon überzeugt, dass ich es ganz allein viel schwerer haben würde...
Liebe Grüße
Tellerrand