Ihr Lieben, seit September 2015 bin ich mit einem Mann zusammen, der damals rund 1,5 Jahre trocken war, nach etwa 13 Jahren Bieralkoholikerkarriere und verschiedenen Entzügen. Wir sind beide 50+.
Da mir Alkohol noch nie geschmeckt hat, gibt es in unserem Haushalt auch keinen, mit meiner Familie haben wir offen geklärt, was los ist. Wenn wir weggehen, trinkt er Fanta und ich Cola, niemand fragt blöd (die Partylöwen sind wir eh nicht)
Seit 2018 arbeitet er in Vollzeit in meinem Buchführungsservice und macht sich eigentlich ganz gut, solange es ihm halbwegs gut geht. Die schlechten Zeiten hielt ich bisher für Depressionsprobleme, bin mir aber gerade nicht mehr sicher.
Nun arbeite ich im Interimsmanagement und bin immer mal tage- oder auch ganze Wochen lang weg, insbesondere bis zum Lockdown war ich quasi fast täglich unterwegs... da habe ich teilweise ausgesprochen unerfreuliche WhatsApptexte mit Vorwürfen von ihm bekommen - an solchen Tagen lag er dann bei meiner Heimkehr (gegen 18 Uhr!) schlafend im Bett, es roch etwas streng im Schlafzimmer nach Bier. Auf meine Frage, ob er getrunken hätte, bekam ich eine 1A-Vorstellung, wie ich auf so etwas käme, das wäre ja die absolute Unterstellung. Das habe ich mir zwei, drei Mal angehört und dann habe ich mir ein Atemalkoholgerät bestellt. Die nächste haltlose Unterstellung zeigte schlanke 1,3 Promille und natürlich war ich schuld, weil ich alles kaputt mache.
Ich möchte mir nicht ausmalen, was abging, als ich anderthalb Jahre lang absehbar von Montag bis Donnerstag in Leipzig war und nicht mal eben heim kommen konnte... seine verwaschene Stimme kann von seinen Psychopharmaka/Schlafmedikamenten kommen (sagt er), aber ob ich das glauben kann/soll?
Er kommt aus einer Alkoholikerfamilie, ist seit vielen Jahren durchgehend in Behandlung wegen Depressionen und Suchprävention, es gibt also ein paar verschiedene Baustellen.
Mein akutes Problem, warum ich hierher gefunden habe, war eigentlich ein ganz anderes, aber ich muss etwas weiter ausholen.
Im Mai 2020 stolperte ich durch Zufall darüber, dass er in mehreren Datingportalen Suchanzeigen geschaltet hatte und mit diversen Frauen gechattet hat. Gefühlt hatte der Sprengsatz für meine heile Welt etwa 5 Tonnen... ich fiel aus allen Wolken. Natürlich habe ich ihn zur Rede gestellt. Als er sich endlich vom Leugnen zum Reden vorgearbeitet hatte, hieß es, dass er ja nur schreibt und höchstens telefoniert, aber zu den verabredeten Treffen wäre er nie hingegangen.
Als jemand, der ihn über eine Datingplattform kennengelernt hat und im Vorfeld schon reichlich Kontakt zu dieser Spezies hatte, habe ich ihm versucht zu erklären, was das für die Frau bedeutet - denn abgesagt hat er auch nie. Er behauptete, sich darüber nie ernsthaft Gedanken gemacht zu haben, aber das würde er nie wieder tun. Hat mich angewinselt, ihm zu vergeben, gezittert am ganzen Leib, er war ein absolutes Wrack. Wir haben auf meinen Wunsch hin jedes einzelne dieser Profile und alle Anzeigen gelöscht und ich hatte tatsächlich die Hoffnung, dass ihm nur die Empathie gefehlt hat. Aus den Kontakten wollte er Selbstbestätigung gewinnen, hat er gesagt.
Letztes Jahr starb unsere Katze, wir begruben sie auf dem Grundstück meiner Eltern. Auf dem Heimweg meinte er nur, dass er jetzt darum bittet, dass ich nicht diskutiere, er würde sich jetzt Bier kaufen, das bräuchte er jetzt einfach. Die vier oder fünf Flaschen hat er in einem Tempo hintergekippt, das hätte ich nicht mal mit Leitungswasser geschafft. Danach war aber erstmal gut, wir flogen kurz danach in den Urlaub und er hat definitiv nicht getrunken.
Mitte letzter Woche ging ich zu ihm auf den Balkon, wo er raucht. Wie ein Bekloppter tippte er auf seinem Telefon, um aus WhatsApp auf den Startbildschirm zu kommen, Gesichtsausdruck, als hätte ihn seine Mutter beim Onanieren erwischt. Natürlich ging die Alarmlampe samt Sirene an... siehe da, fünf Chats mit fremden Frauen in seiner Desktopversion von WhatsApp, eindeutig flirty, inklusive Verabredungen (es war nicht erkennbar, ob die Treffen stattfanden). Auf meine Frage, ob es jetzt wieder losgehe, hat er wieder seine Show abgezogen - wie ich auf sowas komme, wie ich ihm sowas unterstellen würde... hab ihm blöderweise gesagt, wie ich darauf komme. Er meinte nur, da wäre doch nichts, nur schreiben... siehe oben.
Dieses mal hat er sich mir nicht geöffnet, sondern die vermeintlich vorhandenen Datenquellen für mich gelöscht (WhatsApp auf dem PC). Natürlich hat es mir keine Ruhe gelassen... Ich habe u.a. ein mittlerweile gelöschtes Premiumprofil gefunden, eingerichtet am 22.07.22...gelöscht hat er es gestern, NACH unserer Versöhnung in meiner Abwesenheit.
in der Aussprache vor drei Tagen sagte er, er könne sich nicht mehr an den Namen der Webseite erinnern... stadt irgendwas (meinStadt.de, war jetzt nicht sooo schwer), Profil nicht gelöscht, aber die Zugangsdaten habe er verbrannt (war sein Standardpasswort, bestehend aus unseren beiden Vornamen und dem Tag des ersten Treffens - allein das war schon wie ein Schlag in die Magengrube)
Egal, Abkürzung - wir haben uns nach ein paar echt harten Tagen zusammengerauft, nachdem er wieder den sterbenden Schwan gab, am ganzen Leib zitterte, durch die Gegend schlurfte, mit Selbstmord drohte, mir versicherte, dass er nur mich liebe und wolle... und ich hab es irgendwann geglaubt.
Und dann habe ich vorhin im Schlafzimmer unter dem Bett aufgeräumt (hab eine Stauballergie und bin es leid, dauernd beim Schlafen keine Luft mehr zu kriegen) - dabei fiel was im Nachtschrank um. Es war eine Wodka-Flasche, Füllstand bei etwa 20%. Ich wusste nicht einmal, dass er jemals Schnaps konsumiert hätte - er meinte immer, es hätte ihm nicht geschmeckt. Dieses Gefühl jedes mal, wenn das Blut in den Ohren rauscht, einfach furchtbar.
Er ist gerade unterwegs...
In einer ersten Reaktion habe ich den Schnaps wegekippt und mit Wasser aufgefüllt, etwas später mit reichlich Salz nachgewürzt, damit ich mitbekomme, wenn er das nächste Mal einen tiefen Schluck trinkt - er lügt mir ja eh die Hucke voll, fragen brauche ich ihn also nicht.
Bis dahin gebe ich mich ahnungslos und warte ab - vielleicht steht die Flasche ja schon länger? Dann kann sie gern stehen bleiben. Wenn es ihn beruhigt, dass was da ist - gut. Wenn er trinken sollte, wird es ihm wahrscheinlich den Magen umkrempeln. Da ich derzeit eher selten auswärts arbeite, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich in diesem Moment daheim bin.
Ich habe seine Therapeutin die ganze Zeit per email auf dem Laufenden gehalten, erst, weil ich ihren Rat brauche, wie ich mich trenne, ohne dass er seine Selbstmorddrohung wahr macht (gemeinsame Wohnung auf meinen Namen, sein Job bei mir - es hängt seine gesamte Existenz an meiner Person), heute habe ich ihr ein Foto der Buddel geschickt und ihr geschrieben, dass sie wissen sollte, dass sie einen Schauspieler da sitzen hat. So hat sie die Möglichkeit, seine Aussagen ganz anders zu bewerten und entsprechend zu reagieren. Bedauerlicherweise ist sie derzeit im Urlaub, sonst hätte ich schon einen gemeinsamen Krisentermin ausgemacht. Sein nächster Termin ist in etwa zwei Wochen, ich denke, sie wird sich vorher bei mir melden.
Als positiver Mensch mit einem eigentlich unerschütterlichen Urvertrauen stehe ich gerade vor den Scherben von so vielem - meine Menschenkenntnis, die gesamte Vertrauensbasis unserer Beziehung (die wirklich toll ist, wenn nicht gerade solche Probleme auftauchen), absolute Ratlosigkeit beherrscht gerade meine Seele.
Ich habe jemanden gefunden, mit dem ich meine Gedanken bezüglich der Datingportale austauschen kann, ohne dass da irgendwelche Ansprüche entstehen, aber die Geschichte mit dem Alkohol mag ich da nicht auch noch ins Spiel bringen - für jemand Außenstehenden wäre der Drops definitiv gelutscht, die Entscheidung herrlich einfach - Schlussstrich, gut isses.
Meine Kinder, meine Familie möchte ich nicht involvieren - das ist die einzige Familie, die er noch hat - seine ist nahezu komplett auf dem Alkohol über den Jordan geschwommen, die einzige überlebende Schwester hat vor Ewigkeiten den Kontakt abgebrochen.
Momentan fühle ich mich wie ein frisch ausgebranntes Tongefäß... rabenschwarz und leer. Vorhin hatte ich noch ein Teelicht drin vermutet, weil es gerade wieder gut anlief, jetzt weiß ich nicht, ob ich mich nicht nur verguckt habe.
All das kann ich nicht so richtig einordnen. Hängen die beiden Handlungsstränge zusammen? Als Grund für das Flirten dieses Mal gab er "Erfolgserlebnisse" an, weil er ja an der Arbeit dauernd Fehler machen würde (nicht mehr als jeder andere Buchhalter, aber er nimmt jeden Zahlendreher persönlich). Ist das der Gegenpol zum Alkohol oder ist es ein Erfolgserlebnis, wenn er mich mal wieder erfolgreich hintergangen hat?
Danke für Eure unendliche Geduld, den Roman zu lesen!