• Hallo zusammen,

    seit über fünf Jahren bin ich jetzt dankbar dafür, ohne das Gift Alkohol ein zufriedenes Leben führen zu dürfen. Bis zu meinem fünfzigsten Lebensjahr war der Alkohol weit über dreißig Jahre ein ständiger Begleiter.

    Ich konnte aber immer wieder sozusagen über Nacht Trinkpausen einlegen. Die Dauer dieser Pausen war von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten. Das war mein 1. Grund mir einzureden, ich hätte doch kein Alkoholproblem. Ich war (und bin zum Glück) immer noch mit meiner lieben Frau verheiratet. Wir haben 3 Kinder, zwischenzeitlich erwachsen, sind also eine Familie. Beruf und Führerschein sind vorhanden. Das war mindestens der 2. Punkt, warum ich doch kein Alkoholiker sein kann. Ein 3. Grund für mich: Mit dem Rauchen konnte ich auch sofort aufhören, als ich das vor über 25 Jahren wirklich wollte. Alkohol kann ich dann, wenn ich erst will, genauso aufhören. Die Liste meiner Ausreden lässt sich noch eine ganze Weile fortsetzen, trockene Alkoholiker kennen das sicher.

    Prinzipiell war ich ein Spiegeltrinker, mein Bier (am Ende bis zu 10 x halber Liter täglich) hat mir gereicht. Aber zu bestimmten Zeiten – meistens dann, wenn Schnaps ins Spiel kam – durfte es auch gerne ein richtig fetter Vollrausch sein.

    Warum konnte ich im Juni 2016 aufhören? Nach einem durchsoffenen verlängerten Wochenende war ich mir nicht mehr sicher einfach so, wie schon so oft, aufhören zu können. Meine Frau wollte meinen Konsum nicht mehr tolerieren. Trotzdem habe ich es nicht geschafft wenigstens eine Trinkpause einzulegen. Innerhalb von relativ wenigen Stunden habe ich erkannt: „ohne Alkohol kann ich nicht mehr und mit Alkohol will ich nicht mehr leben.“ Meine Entscheidung fiel auf die zweite Option – nicht mehr leben wollen.

    Zum Glück habe ich es nicht geschafft mir das Leben zu nehmen. Ich war eine Woche „verschwunden“. Ich hatte viel Zeit nachzudenken. Am Ende dieser Woche wusste ich nicht mehr, ob ich noch eine Frau und eine Familie habe. Auch meiner Arbeit war ich mir nicht mehr sicher. Aber ich wollte leben und das ohne Alkohol. Ich wusste auch, dafür brauche ich Hilfe. Diese Hilfe habe ich gesucht, gefunden und auch angenommen. Damit begann am 29.06.2016 mein neues Leben ohne Alkohol.

    Warum melde ich mich (nach so langer Zeit) hier an? Im offenen Bereich habe ich schon lange immer mal wieder gelesen. Mir gefällt an diesem Forum, dass „bei Gefahr“ nicht um den heißen Brei geredet wird und trotzdem der Ton immer angemessen und allermeist auch einfühlsam und emphatisch ist.

    Dank der äußeren Umstände gehe ich derzeit davon aus, dass ich meine reale Selbsthilfegruppe in der nächsten Zeit (kann dauern) wieder nicht oder zumindest nicht regelmäßig besuchen kann.

    Und damit ich weiter ein trockenes und zufriedenes Leben führen kann, würde ich mich gerne hier mit Euch austauschen.

    Liebe Grüße

    Christian

  • Hallo Christian,

    herzlich Willkommen oder Willkommen zurück. :)

    Unter welchem Usernamen warst du denn damals hier angemeldet?

    Lieber Gruß, Linde

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Hallo Christian,

    wilkommen im Forum.

    Seit 2016 trocken, das ist toll. Glückwunsch zu deiner Entscheidung.

    Mich persönlich interessiert immer das Thema Rückfall. Wenn ich es richtig deute, hast du bisher keinen gehabt. Gibt es Situationen oder Zeiten, in denen dir deine Abstinez schwer gefallen ist (also kurz vorm Rückfall sozusagen)? Und wenn ja, wie konntest du damit umgehen?

    Ich bin selbst fast 19 Monate "ohne" und höre mir gern an, was ich noch lernen kann. Dinge, die ich noch nicht so bedacht habe.

    Viele Grüße und einen guten Austausch

    Seeblick

  • hallo Barfuss,

    willkommen im Forum...

    ich freue mich, wenn ich lesen kann, dass es jemand noch gerade so geschafft hat, bevor wirklich alles wg bzw verloren ist.....Frau, Kinder und Arbeit...oder sogar sein Leben....ich gehöre auch zu den Leuten, die warum auch immer die Kurve gerade so noch bekommen haben...wenn ich darüber nachdenke oder die vielen Beiträge lese, ist das nicht so oft...irgendwie großes Glück gehabt....über 5 jahre ist auch schon eine beachtliche Zeit....

    viel Spass bveim Austausch

    lieben Gruß

    mexico

  • Hallo Christian!

    Ich lebe seit dem dem 01.05.2015 unfallfrei abstinent.

    Du weist durchaus Parallelen zu mir auf.

    Job, Familie und Führerschein waren die ganze Zeit vorhanden. Saufpausen waren zur Selbsttäuschung möglich. Nur ganz am Ende, im April 2015 konnte ich nicht mehr ohne. Da wurde mir der eigene Suff peinlich.

    Die Qualmerei konnte ich ebenfalls schon mehrere Jahre vorher von jetzt auf gleich aufgeben. Da redete ich mir noch ein, irgendwann höre ich genau so leicht das Saufen auf. Ganz so einfach war es dann nicht, es bedurfte schon eines gewissen Drucks durch die Familie. Es ist halt oft so, dass der Anstoß, endlich was zu tun, von außen gesetzt wird, z.B. durch Familie, Arbeitgeber, Führerscheinstelle...

    Nur muss dann im Kopf ein Prozeß einsetzen. Man muss für sich und nicht nur zum Gefallen Dritter aus der Sucht aussteigen. Das ist dann noch schwer genug.

    Darf ich fragen, ob Du eine Therapie gemacht hast?

    Gruß

    Carl Friedrich

  • Hallo Carl Friedrich,

    natürlich darfst Du fragen und alle anderen natürlich auch.

    Kurzfassung: Hausarzt, Suchtberatung, 8 Wochen stationäre Therapie, 1 Jahr 1x wöchentlich Nachsorge in der Suchtberatung und von Anfang an bis März 2020 einmal wöchentlich Selbsthilfegruppe, seit Corona leider fast nur Online-Meeting.

    Ausführlicher dann gerne demnächst

    Christian

  • Also bei Dir das große Orchester, bei mir war es das kleine (ambulante Therapie), zuzüglich dieses Forum und Fachliteratur.

    Eine analoge SHG habe ich auch mal für ca. 16 Monate nach meiner Therapie besucht, aber das war nichts für mich.

    Am Ende meiner ambulanten Therapie gab man mir den Rat mit auf den Weg: "Den ersten Schritt in Richtung Rückfall macht man, wenn man sich nicht mehr regelmäßig mit der Krankheit befasst."

    Wie das Befassen aussieht, ist jedem selbst überlassen. Dazu genügt mir dieses Forum hier voll und ganz.

    Gruß

    Carl Friedrich

  • Mich persönlich interessiert immer das Thema Rückfall. Wenn ich es richtig deute, hast du bisher keinen gehabt. Gibt es Situationen oder Zeiten, in denen dir deine Abstinez schwer gefallen ist (also kurz vorm Rückfall sozusagen)? Und wenn ja, wie konntest du damit umgehen?

    Hallo Seeblick,

    ja bis heute darf ich meinen Weg ohne Rückfall gehen. Wirklichen Suchtdruck kann ich an einer Hand abzählen, wofür ich sehr dankbar bin. Ich habe aber auch einiges dafür getan und weiss was mir hilft, wenn der Gedanke an Alkohol aufkommt (viel trinken, telefonieren, bewusst machen, dass der druck meistens schnell wieder weg ist...).

    Zwischenzeitlich fühle ich mich recht stabil, weiss aber genau, dass ich nicht leichtsinnig werden darf.

    Alles Gute

    Christian

  • Hallo Christian,

    hier geht es jetzt weiter.

    Ich wünsche dir einen guten Austausch.

    Liebe Grüße

    Aurora

    Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.


    chinesische Weisheit

  • Warum konnte ich im Juni 2016 aufhören? Nach einem durchsoffenen verlängerten Wochenende war ich mir nicht mehr sicher einfach so, wie schon so oft, aufhören zu können. Meine Frau wollte meinen Konsum nicht mehr tolerieren. Trotzdem habe ich es nicht geschafft wenigstens eine Trinkpause einzulegen. Innerhalb von relativ wenigen Stunden habe ich erkannt: „ohne Alkohol kann ich nicht mehr und mit Alkohol will ich nicht mehr leben.“ Meine Entscheidung fiel auf die zweite Option – nicht mehr leben wollen.

    Zum Glück habe ich es nicht geschafft mir das Leben zu nehmen. Ich war eine Woche „verschwunden“. Ich hatte viel Zeit nachzudenken. Am Ende dieser Woche wusste ich nicht mehr, ob ich noch eine Frau und eine Familie habe. Auch meiner Arbeit war ich mir nicht mehr sicher. Aber ich wollte leben und das ohne Alkohol. Ich wusste auch, dafür brauche ich Hilfe. Diese Hilfe habe ich gesucht, gefunden und auch angenommen. Damit begann am 29.06.2016 mein neues Leben ohne Alkohol.

    Hier möchte ich gerne über meinen Entschluss Hilfe anzunehmen erzählen.


    Juni 2016: Nach meinem Absturz am vorangegangen Wochenende bin ich statt zur Arbeit an einen See mit schönem Badestrand gefahren, wollte mein Bargeld versaufen und mir dann das Leben nehmen.  


    Eigentlich war ich mir meiner Sache sicher. Es war Samstag später Abend, schon Nacht. Ich habe mir haufenweise Bier und mindestens eine Flasche Schnaps reingeschüttet. Es hat wie aus Eimern geregnet, ich saß in meinem Auto, in der einen Hand die offene Schnapsflasche und in der anderen Hand ein Messer. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr und weiß nicht, wie lange ich so dagesessen bin und immer wieder aufs Neue das Messer an- und doch wieder abgesetzt habe. Irgendwann habe ich es weggepackt und mich heulend in mich selbst verkrochen. Ich fühlte mich als absoluter Versager, mein Leben bringe ich nicht mehr auf die Reihe und nicht mal Sterben schaffe ich.  


    Von dem folgenden Sonntag weiß ich nicht mehr allzu viel, außer dass es durchgehend geregnet hat, ich mich vom allerfeinsten selbst bemitleidet habe und meine letzten Alkoholreserven aufgebraucht habe. Montag früh bin ich in den nächsten Supermarkt und habe mir vom Pfand und letzten Bargeld mein letztes Bier (2 Sechserpack) gekauft.  


    Halbwegs klar in der Birne stand ich vor dem Problem wie es jetzt weitergehen soll. Ich habe über eine Woche unentschuldigt an der Arbeit gefehlt. Wird mich mein Chef hochkant rausschmeißen? Meine Frau und meine Familie wusste ebenfalls nicht, was mit mir los ist. Gibt es noch irgendeine Möglichkeit hier wieder zusammen zu kommen? Schaffe ich es überhaupt ein normales Leben – ohne Alkohol – zu leben?  


    Nach einer weiteren Nacht und viel gedanklichem Hin und Her habe ich mich am Dienstag 28.06.2016 entschlossen, zumindest zu probieren weiter zu leben und bin am Nachmittag kurz nach dem letzten Bier nach Hause gefahren.  


    Ich wollte das Saufen aufhören, auch wenn mich meine Frau nicht mehr aufgenommen hätte und auch wenn mein Chef mich rausgeworfen hätte. Und ich wollte Hilfe. Zum Glück hat sich alles zum Guten gewendet.  


    Mittwoch der 29. Juni 2016 war dann mein erster Tag ohne Alkohol.

    Einmal editiert, zuletzt von Linde66 (27. November 2021 um 16:43) aus folgendem Grund: Schrift vergrößert

  • Lieber Christian, vielen Dank, dass Du hier Deine bewegende Geschichte teilst. Für mich ist das sehr wertvoll - auch mein Expartner, wegen dem ich nun hier bin, hat immer wieder mit Selbstmordgedanken gekämpft und es wäre auch einmal dann fast schiefgegangen -- Endstation Intensivstation.

    Es ist fürchterlich und ich freue mich für Dich und gratuliere Dir dazu, dass sich die Dinge seither für Dich und Deine Familie zum Guten gewendet haben! Weiterhin ganz viel Kraft und gutes Durchhalten!

    "I choose to live." -- M. J. Keenan

  • Auch von mir Dank für Deinen Mut und für Deine Ehrlichkeit. Das ist natürlich eine traurige Geschichte, aber vielleicht hilft es, sie einfach mal für sich und andere hinzuschreiben.

    "Ich wollte das Saufen aufhören, auch wenn mich meine Frau nicht mehr aufgenommen hätte und auch wenn mein Chef mich rausgeworfen hätte."

    Ich glaube, das ist genau der Knackpunkt: Familie und Arbeitgeber können natürlich Druck aufbauen und helfen, aber solange nicht der Wille da ist, für sich selbst etwas zu ändern, dann reicht das alles nicht. Von der Reha habe ich auch noch so einige Mitmenschen in Erinnerung, die nur auf Druck des Arbeitgebers da waren und die Sache nicht so wirklich ernst genommen haben.

    Nochmal danke für Deine Zeilen.

  • Da gibt es zwei Möglichkeiten, Carl Friedrich: Entweder die Brille endlich mal wieder aufsetzen, sonst Strg-Taste gedrückt halten und mit dem Rausrad spielen. Mit Strg+0 geht's wieder zurück auf Normalgröße.

  • Hallo Christian,

    Schön, dass du dich hier austauschen willst. Ich bin seit einigen Jahren hier und parallel in einer SHG bei mir vor Ort, und finde, das ergänzt sich sehr gut. Und jetzt, wenn die SHGs teilweise (wieder) nicht in Präsenz stattfinden können, umso besser, dass es den Austausch hier im Forum gibt.

    Wie siehst du so der Adventszeit entgegen? Ist das für dich suchttechnisch eine schwierige Zeit?

    Ich hatte heute auf dem Weg zum Einkaufen erstmals in diesem Jahr den Geruch von Glühwein in der Nase, und das löste Erinnerungen aus. Gute wie schlechte.

    Viele Grüße

    Thalia

  • Da gibt es zwei Möglichkeiten, Carl Friedrich: Entweder die Brille endlich mal wieder aufsetzen

    Hanseat : Bezüglich meiner Brille mach Dir mal keine Gedanken. Mein Durchblick reichte bislang aus, mich seit Jahren unfallfrei abstinent zu halten.

    sonst Strg-Taste gedrückt halten und mit dem Rausrad spielen. Mit Strg+0 geht's wieder zurück auf Normalgröße.

    Das liest sich doch gleich freundlicher und zielführender.

    Aber das ist jetzt nicht mehr nötig, da die Schriftgröße verbessert wurde.

  • Hallo Christian,

    herzlich willkommen im Forum auch von mir. Hier bist du richtig! Was freu´ich mich, daß noch ein "alter Hase" hier bei uns angeklopft hat! Womit natürlich nicht unser Lebensalter, sondern unsere Trockenzeit gemeint ist :)

    Danke für deinen offenen Beitrag, in dem du deinen dramatischen Tiefpunkt schilderst. Auch wenn ich schon etwas länger trocken & nüchtern bin, fasst mich so eine Geschichte immer wieder an: sie zeigt, wo wir herkommen und was möglich ist, wenn wir den kleinen Ausgang zum Leben finden und nutzen!

    Ich freue mich, weiter von dir zu lesen!

    LG

    Peter

  • Hallo Zusammen,

    erstmal danke fürs "vergrößern" von meinem letzten Beitrag, in der Vorschau hat es normal ausgeschaut und Entschuldigung, dass ich es nicht richtig kontrolliert habe. Längere Posts schreibe ich immer erst separat, damit bei einem eventuellen Ausfall nicht gleich alles weg ist.

    Vielen Dank auch für alle Eure Willkommensgrüße.

    Das ist natürlich eine traurige Geschichte, aber vielleicht hilft es, sie einfach mal für sich und andere hinzuschreiben.

    Mir hilft meine Geschichte auf jeden Fall immer wieder mich daran zu erinnern, wohin ich nicht mehr möchte. Und so traurig oder auch tragisch die Woche auch war, gehe ich davon aus, dass sie notwendig war um zu erkennen, dass nur dauerhafte Abstinenz wirklich was bringt.

    Wie siehst du so der Adventszeit entgegen? Ist das für dich suchttechnisch eine schwierige Zeit?

    Adventszeit einschließlich Glühwein und auch die Weihnachtszeit sind für mich genauso leicht (oder schwer) wie das übrige Jahr, wenn´s um meine Trockenheit geht. Aufpassen muss ich immer.

    Wünsch uns allen eine gute, trockene Woche und Gesundheit

    Christian

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