9Leben - Bin neu hier im Forum

  • Ich frage mich gerade: Wenn einem bewusst wurde, dass man in etwas Notwendigem für die psychische Gesundheit einen Mangel erfahren hat - kann man seinen Kindern dann trotzdem mehr geben als in einen selbst investiert wurde?

    Hier möchte ich nachfragen, 9Leben : Haben Deine Kinder Defizite?

    Oder was ist der Auslöser für Deine Überlegungen?

    LG Elly

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    Mancher wird erst mutig, wenn er keinen anderen Ausweg mehr sieht.

    - Trocken seit 06.01.2013 -

  • Ich denke, man kann vorgelebte Strukturen durchaus unterbrechen. Auch welche, die sich durch mehrere Generationen ziehen. Das braucht vielleicht Zeit, vom Erkennen, bis zum Willen es zu ändern.

  • Ich habe gerade nochmal nachgelesen.

    Bist Du der Meinung, dass Du hättest etwas entscheidend anders machen können bei

    der Erziehung?

    LG Elly

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    Mancher wird erst mutig, wenn er keinen anderen Ausweg mehr sieht.

    - Trocken seit 06.01.2013 -

  • Mein Gedanken wurden dadurch angestoßen, dass die Familienstrukturen, in denen ich aufwuchs, sich von meinem Mann in zentralen Punkten sehr unterschieden haben. Er Scheidungskind, ich nicht. er mit tätlicher Gewalt als Erziehungsmaßnahme aufgewachsen, ich nicht. Einzige Gemeinsamkeit, wir haben beide keine alkoholbelasteten Elternteile.

    Einen Faktor meines Co-Verhaltens sehe ich darin, dass ich mich irgendwie verpflichtet sah, mehr (er-)tragen zu müssen, ich hatte ja von Haus aus besseres Rüstzeug. Daher hoffe ich sehr, dass ich damit den Kindern nichts versaut habe und sie weder Co- noch Abhängigkeit entwickeln.

  • Bist Du der Meinung, dass Du hättest etwas entscheidend anders machen können bei

    der Erziehung?

    Liebe Elly,

    ein anderes Vorbild leben und nicht bis zum bitteren Ende bei ihrem alkoholkranken Vater ausharren wäre eine reale Option gewesen.

    Denn das finanzielle Fundament für uns vier kam durchgehend meinerseits.

    Nun ist es anders gelaufen. Komischerweise hatte ich zunächst die Ansicht, ja also mit Kindern muss man sich doch gerade so früh wie möglich von einem Trinker trennen. Das habe ich dann ersetzt durch: Ne, also gerade wegen der Kinder muss eine Trennung gut überlegt sein. Rückblickend würde ich sagen, dass ich mich als ich diesen Standpunkt fortan vertrat, häuslich eingerichtet hatte in der Täuschung, es ist doch gar nicht soo schlimm, er arbeitet noch, die KInder haben ihre Strukturen Schule und Hort - geht schon.

    Aus heutiger Sicht habe ich einen guten Zeitpunkt einfach meinetwegen zum Nachteil der Kinder verpasst.

    Natürlich weiß ich nicht, wie es nach einer Trennung so gelaufen wäre, wenn erst mal gar kein männliches Rollenvorbild für die Jungs mehr gewesen wäre oder irgendwelche Patchworkstrukturen gegriffen hätten.

    Aber wenn Co nicht lässt, sieht man ja was ganz klar das Ergebnis ist: Dauerleid und Stress für die Kinder und in meinem Fall auch Tod des Abhängigen.

  • Ich denke, man kann vorgelebte Strukturen durchaus unterbrechen. Auch welche, die sich durch mehrere Generationen ziehen. Das braucht vielleicht Zeit, vom Erkennen, bis zum Willen es zu ändern.

    Genau darauf hoffe ich auch bei meiner Tochter. Beide Eltern in Suchthaushalten geprägt. Ich hab das Co-Verhalten quasi in die Wiege gelegt bekommen. Verlassensängste, Selbstwertsteigerung durch die Abhängigkeit des Partner von mir usw.

    Meine Tochter hat einiges mitgemacht. Aber sie hat auch erlebt, wie ihre Mutter immer wieder versucht hat aus ihrem Dilemma auszubrechen, es besser zu machen. Sich in verschiedenen Bereichen Hilfe gesucht hat. Nur wusste ich damals nicht, das die Co mein eigentliches Problem schon immer war. Das hätte uns allen einiges ersparen können. Das arme Kind hat leider eine Essstörung entwickelt. Aber in Bezug auf Alkohol und Drogen ist sie sehr gefestigt. Und ich hoffe, dass sie nun sieht, wie ihre Mutter auch das bewältigt und nimmt sich daran ein Beispiel für ihren eigenen Weg. Auch raus aus ihrer Essstörung und durchbrechen des Suchtsystems. Ich sehe da große Chancen. Auch für Ihre Kinder einmal.

  • Bei der Rückschau auf mein Co-Verhalten kommt es mir jetzt so vor, als ob ich an vielen Stellen rational das Wort "Ausgang" gesehen habe.

    Immer wenn ich eine Stelle "Ausgang" gedanklich am Wickel hatte, habe ich auch dorthin gesehen. Aber die Stellen waren emotional für mich immer mit einem Nebel des Ungewissen verhangen. ich fühlte mich trittsicherer auf dem Weg, auf dem ich ging. An den Ausgangspunkten vorbei.

    Weil ich an diesen Punkten die erforderliche Überschreitung meiner emotionalen Belastbarkeitsgrenze nicht als Fundament für meine rationale Betrachtungsweise verfügbar hatte.

    Und mit meinem Mindset habe ich mich dann auf dem Weg gehalten. Erst ganz zuletzt habe ich neue Abgrenzungen für mich genutzt als erste Schritte der Distanzierung. Und da hatte ich dann gemerkt, wie gut mir die getan haben. Ich weiß noch, wie ich damals die Absicht hatte, die Abgrenzungsmaßnahmen zu erweitern. Auch mit dem Gedanken Trennung/Scheidung hatte ich doch wieder vermehrt "gespielt", weil ich mich zuletzt so dermaßen ausgelaugt gefühlt hatte, und ich ja wusste, aus welchem Zusammenhang.

    Der Tod meines Mannes war dann die letzte, dafür verbindliche Ausgangsstelle.

    Hatte einer von Euch auch so ignorierte Ausgangspunkte? Oder einen fixen, ähnlich wie der berühmte Tiefpunkt für den Alkoholabhängigen, an dem Ihr nicht mehr vorbei konntet? War das bei Euch auch hauptsächlich von Emotion gesteuert? Oder habt ihr die bewusst hintenan stellen können?

  • Hatte einer von Euch auch so ignorierte Ausgangspunkte? Oder einen fixen, ähnlich wie der berühmte Tiefpunkt für den Alkoholabhängigen, an dem Ihr nicht mehr vorbei konntet? War das bei Euch auch hauptsächlich von Emotion gesteuert? Oder habt ihr die bewusst hintenan stellen können?

    Du kannst gerne mal bei den anderen lesen. Das sind einfach Erfahrungen, die unser Forum anbietet.

    Hinter allen Absprüngen stecken 2 Leben, 2 Visionen/Versionen. Einmal des Alkoholikers, in seiner Komfortzone. Und des leidenden Co Abhängigen.

    Es ist wichtig, Du sollst nicht zweifeln. Schau Dir die Erfahrungsberichte hier an!

    Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt. – Mahatma Gandhi

  • Haĺlo 9Leben,

    ich weiss nicht, ob ich "ignorierte Ausgangspunkte" hatte, ich ignorierte,

    sehr lange die Realität, die Gegenwart (jetzt Vergangenheit).

    So wohl als Co./EKA, als auch als Alkoholiker, bei mir waren es immer Gehühle (Hoffnung, Mitgefühl, Mitleid, Liebe?, Angst, ...) die meine Vernunft behinderten oder verhinderten.

  • ich glaube, das Leben ist einfach nicht so logisch....so mit ignorierten Ausgangspunkten

    der Mensch neigt dazu, immer 5 nach 12 zu reagieren....heißt aber im Umkehrschluss....5 nach 12 ist die neue 12....es dauert alles so lange wie es dauert.....bis zu dem Punkt wo es halt nicht mehr geht.....man muss eben so oder so oft hintergangen gedemütigt usw sein...bis man reagiert....und das ist auch alles so kompliziert....da spielt Liebe (auch zu seinen Kindern) mit...Vernunft Hoffnung, Unwissenheit...man lebt sein Leben ja auch (aus meiner Sicht) das erste mal....woher soll man wissen wann und wie man reagieren soll...und dann noch die vielen Gefühle....wenn man dann wirklich nicht mehr weiter weiß, reagiert man halt...zB hier im Forum nachferagen, sich Hilfe suchen...Probleme die man schon so lange hat auch auszusprechen....und herrausfinden, dass man sein Leben beeinflussen kann....der Topf läuft halt erst über....wenn er wirklich voll ist....

    Lieben Gruß

    mexico

  • Hallo mexico,

    das sehe ich wie Du. ich reflektiere jetzt ja auch für mich aus dem Rückblick auf etwas, das gelaufen ist. Um bei Deinem Topfbild zu bleiben, es musste eben immer noch mehr bei mir hinein gestopft werden. Vielleicht war es in meinem Fall auch eher ein Eimer mit Abflussloch ;-).

    Beim Rückblick erinnere ich, dass ich -immer im Abstand von einigen Jahren- mindestens zwei Punkte hatte, an denen sozusagen der Kopf schon längst auf "Ende" war und die Emotion in diese Nähe gerückt war - aber eben nur in der Nähe war und nicht in Übereinstimmung. An diesen Punkten hatte ich mir überall Rat gesucht, u.a. hier im Forum.

    achelias

    Doch jedesmal hatte ich das Gefühl, mit dem, was ich gewöhnt und was mir vertraut war, "gut" weiterleben zu können - eben in Einklang mit meinen Werten und Hoffnungen.

    Und weil es an früheren Ausgangspunkten für mich noch nicht passte, mich von meinen Werten und Hoffnungen zu lösen, habe ich die Beratungssuche auch immer wieder unterbrochen.

  • Liebe 9Leben,

    herzlich willkommen im Forum! Ich lese deine Beiträge mit sehr viel Interesse. Dein Reflektionen sind so scharf (wie präzise), das ist beeindruckend und ich erkenne sehr vieles wieder (es sind doch immer dieselben Muster).

    Hatte einer von Euch auch so ignorierte Ausgangspunkte? Oder einen fixen, ähnlich wie der berühmte Tiefpunkt für den Alkoholabhängigen, an dem Ihr nicht mehr vorbei konntet? War das bei Euch auch hauptsächlich von Emotion gesteuert? Oder habt ihr die bewusst hintenan stellen können?

    Ich gehöre zu den Angehörigen (COs), die durch den Ausgang in die Freiheit gegangen ist. Noch nicht lange her und ich habe noch eine sehr genaue Erinnerung an meine Gefühle, als mein Verstand vorangegangenen ist.

    Weil ich an diesen Punkten die erforderliche Überschreitung meiner emotionalen Belastbarkeitsgrenze nicht als Fundament für meine rationale Betrachtungsweise verfügbar hatte.

    Das hat mich tief berührt. Denn ich muss zugeben, alleine hätte ich es eben auch nicht geschafft. Ich habe ale Hilfe angenommen, die ich kriegen könnte (u.a. dieses Forum hier). Und auch dann noch, hat sich dieser Schritt ein bisschen wie sterben angefühlt. Sind doch alle meine Ängste damit in Erfüllung gegangen. Die ultimative Verlustangst. Und dann ist das wunderbare passiert. Nämlich nix. Ich bin gegangen und ich bin nicht gestorben (emotional gesehen), sondern ich bin frei und kann jetzt richtig leben. Ohne diese Verlust- und Existenzangst.

    Es gab einen Tiefpunkt, aber trotz diesem, hat es nochmal knapp ein dreiviertel Jahr bis zur endgültigen Trennung gedauert. Der Weg ist ein Prozess. Einmal angefangen, geht es nur noch in eine Richtung: bergauf.

    Deine Beiträge können für viele ein Augenöffner sein. Weil du so genau beschreibst, wo du als Angehörige an deiner Angst nicht vorbeigekommen bist. Ich hoffe ich kann jemanden ermutigen diese Angst zu überwinden. Es lohnt sich!

    LG,

    Kintsugi

    PS also ich konnte die Emotionen nicht bewusst "hinten anstellen" aber ich konnte diese schlimmen Gefühle bewusst lernen auszuhalten (auch mithilfe von therapeutischer Begleitung).

    Alles was man über das Leben lernen kann, ist in 3 Worte zu fassen: es geht weiter.

  • Vielleicht war es in meinem Fall auch eher ein Eimer mit Abflussloch ;-).

    ich sehe auch, dass das Eimerbeispiel hinkt....ein Alkoholicker läßt es so lange überlaufen, bis er im wahrsten Sinne darin ersäuft....und der/die Co, ist ständig wieder am aufwischen

    sich Hilfe zu holen ist schon der beste Weg

    Lieben Gruß

    mexico

  • Hallo 9Leben!

    Ich lese deine Beiträge mit sehr viel Aufmerksamkeit, erinnert doch so vieles an meine Geschichte (und die Geschichten vieler in diesem Forum)

    Die Frage nach den ignorierten Ausgangspunkten beschäftigt mich gerade sehr. Und rückblickend betrachtet gab es davon viele. Der erste war wohl bei mir, als mein Mann nach drei Monaten Beziehung zum zweiten Mal seinen Führerschein verloren hat.

    Ich bin gerade dabei, die gesamte Zeit unserer Beziehung zu rekapitulieren und muss feststellen, das Alkohol schon immer ein großes Thema war. Als ich meinen Mann kennen gelernt habe, war ich selbst ziemlich kaputt. Ich steckte mitten in einer Essstörung, trank selber nicht wenig, auch alleine, um mir die Welt und mein Leben schön zu trinken. Ich war dankbar, dass ich einen Partner gefunden hatte, der mich mit all den Problemen nimmt, und sich zusammen mit mir das Leben schön trinkt. Immer mal wieder gab es Momente, in denen er deutlich übertrieb, beim abendlichen Feiern aggressiv wurde, Momente, in denen ich mich für ihn geschämt habe. Bei meiner Familie und meinen Freunden wurde sich schon darüber lustig gemacht. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit trank er so viel, dass er richtig besoffen war. Ich blieb, ignorierte weiter. Nach dem Motto: ich bin ja auch nicht besser…

    Wir heirateten. Ein paar Jahre später kam der Kinderwunsch. Und ich dachte, wenn wir erstmal eine Familie sind, wird es schon alles werden. Was die Essstörung anging, war ich endlich an einem Punkt angekommen, an dem ich merkte: ich will das nicht mehr! Ich will so nicht weiterleben. Ich nahm es in Angriff, schaffte es mit Hilfe einer SHG und einer Therapie raus. Nach 16! Jahren.

    Ich wurde schwanger, hörte auf zu trinken. Mein Mann leider nicht. Und erst ab diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass sein trinkverhalten nicht normal ist. Hier begannen die ersten streitereien. Ich weiß noch, dass ich einmal hochschwanger auf dem Balkon saß, und nur noch weinte. Unser Sohn kam auf die Welt, dass wurde natürlich mit seinen Kumpels gefeiert. Während ich also im Krankenhaus lag und mich von der Geburt erholte, betrank er sich. Was soll’s, dachte ich. Gehört ja irgendwie dazu. Ich ignorierte wieder mein schlechtes Bauchgefühl. So ging es die nächsten zwei Jahre weiter. Es kam das Gespräch auf nach einem zweiten Kind. Wir wollten beide, der Gedanke war so fest in meinem Kopf, dass ich das trinken wieder ignorierte. Und ich ignorierte, dass er häufig zu betrunken war, um intim zu werden. Nein, ignorieren ist das falsche Wort. Ich merkte es, wir stritten uns, ich machte ihm Vorwürfe. Aber ich schob den Gedanken, dass er abhängig sein könnte, ganz weit von mir weg. Warum stieg ich hier nicht aus?

    Wir gingen auf häusersuche, fanden ein Haus, kauften es. Mittlerweile war ich mit dem zweiten Kind schwanger.

    Und er trank weiter. Ich fand Dosen in seinem Auto, Flaschen in Schränken. Er trank heimlich, Wein und Schnaps.

    Und ich dachte wieder: okay, er ist viel auf der Baustelle, da wird getrunken. Doch endlich, nach und nach machte es Klick bei mir. Ich gestand mir endlich ein, dass ich mit einem alkoholiker verheiratet bin. Ich begann, ihn zu kontrollieren , Flaschen zu suchen.

    Er wurde krank, musste 3 Wochen ins Krankenhaus mit anschließender Reha. Ich begann, mit anderen zu reden, merkte, dass alle anderen schon Bescheid wussten. Ich genoss die Zeit, in der er weg war. Keine Verstecke suchen, keine Sorge darüber, ob er es da getrunken hat, wenn er nach Hause kommt. Keine Angst, dass er trinken könnte, wenn er alleine mit den Kindern ist.

    Als er aus der Reha kam, schien erstmal alles gut. Ich hatte die Hoffnung, dass endlich Schluss ist. Es dauerte ca 1 Monat, bis er das erste Bier wieder in der Hand hatte. Es folgte Wein, wieder Schnaps, erneut versteckte Dosen.

    So ist es bis heute.

    Wenn ich darüber nachdenke, und zwar ganz ehrlich, gab es viele Momente, in denen ich hätte sagen müssen: stopp, nicht weiter, steig hier aus. Doch ich ignorierte es, mein Gefühl blockierte mich. Immer wieder die Hoffnung, wenn wir erstmal Kinder haben, dann…wenn wir erstmal das Haus fertig haben, dann…wenn es weniger stressig wird, dann…

    Tja, hat leider nicht funktioniert. Mein Mann ist alkoholiker, punkt. Es gibt kein wenn, dann.

    Und ich hoffe, dass ich endlich auf dem Weg bin, dass ich den nächsten Ausgang nehme und ihn nicht wieder ignoriere.

    Liebe Grüße, Marli

  • Kintsugi ,

    meine volle Anerkennung für Dich, dass Du es geschafft hast, Deinem Kopf mit widerstrebendem Gefühl zu folgen und Dich auf der Ausstiegsspur zu halten!Weiterhin alles Gute für Dich und die Kinder auf Eurem neuen Weg!

    in der Tat ist auch die Angst ein maßgeblicher Faktor. ich habe mir beim Vorbeilaufen an meinen Ausgangspunkten die Angst immer größer gemalt, als sie real vermutlich zu fühlen gewesen wäre. ich denke, das war in meinem Fall alles dem inneren Monolog zwischen Kopf und Bauch geschuldet. Der Bauch hat für den Kopf das Vorbeilaufen gerechtfertigt bzw. entschuldigt.

    Ich denke, deshalb habe ich auch meine Beratungsbesuche bei verschiedenen Stellen seinerzeit nicht fortgesetzt. ich hatte immer den Eindruck, mein Kopf wird angesprochen. Für meinen Kopf war ja aber keine Beratung erforderlich; dem war ja klar, was Sache ist, welche Möglichkeiten es gibt und welche nicht. Emotional wollte ich auf Gleichklang mit dem Kopf gebracht werden. Natürlich wurde in Beratungsstunden auch reflektiert, dass es mir schlecht geht und es eine riskante Situation für die Kinder ist. Aber auch damit fühlte sich seinerzeit nur mein Kopf angesprochen.

    Und daher hatten bei mir dann der Faktor Angst, eigenes Wertekorsett, Selbsttäuschung durch Festhalten an Hoffnungsschimmern und der emotional beherrschte Wille, den Status quo fortzusetzen, für weitere Jahre die Oberhand.

    Marli ,

    ich habe mir Deine Geschichte durchgelesen. Mir scheint, Du hast genug Stärke in Dir, um Deinen Weg dann zu ändern, wenn es zu Dir passt. Ob Du es wie Kintsugi dann schaffst, mit dem Gefühl dem Kopf zu folgen, solange beides nicht in Einklang steht, werden Dir weitere Erlebnisse im Umgang mit Dir selbst, Deinem Mann und Euren Kindern zeigen. Es werden sicherlich weitere Ausgangspunkte kommen.

    ich kann auch alle "Abers" sehr gut verstehen, die Du anführst. Alle bzw. sehr ähnliche habe ich Jahre und Jahrzehnte auch für mich ins Feld geführt.

    Durch kein einziges Aber ist die Krankheit besiegt oder sind damit verbundene Probleme gelöst worden, was ich mir mit meinen Abers erhofft hatte, ganz im Gegenteil.

    Das mit dem befreiten Gefühl, wenn der Mann nicht nur die paar Stunden zur Arbeit, sondern tage/wochenweise außer Haus ist, kenne ich gut. Das wäre -außer für Co ;-)- für jeden ein Anlass, sich zu sagen, dass in der Beziehung etwas gewaltig schief läuft, wenn man sich über die Abwesenheit des Partners insgesamt mehr freut als über seine alkoholbeeinflusste Anwesenheit .

    Allerdings, wenn die Abwesenheit wieder einer stationären Entgiftung geschuldet war, dann hatte ich mich auch immer gefreut, ihn wieder zu haben, weil dann ja noch die fast euphorische Hoffnung "jetzt wird alles besser" dazu kam. Tatsächlich konnte ich jedes Mal einen Countdown zählen, ab wann die durch die Entgiftung lediglich unterbrochenen Trinkgewohnheiten wieder aufgenommen wurden.

    ich wünsche Dir die Kraft, den für Dich frühestmöglichen Ausstiegspunkt zu finden und konsequent zu durchlaufen.

    Alles Gute für Euch!

    9Leben

  • Cadda hat gerade beschrieben, was einem das Alleinleben nach Trennung von einem seine Alkoholkrankheit beharrlich pflegenden Partner bringt.

    Ruhe und Frieden für die eigene Seele. Für mich noch Freiheit und Erleichterung.

    Obwohl ich mir das rational alles schon während des Zusammenlebens mit meinem Mann vorstellen konnte und mir auch konstante Ruhe (und Harmonie) gewünscht habe, stand darüber außer der Angst und ein fester Glaube, dass Ruhe und Frieden doch auch gemeinsam und miteinander möglich sein müssen. Wenn nicht durchgehend, weil Differenzen in einer Partnerschaft ab und an ja durchaus dazugehören, dann wenigstens etappenweise. Aus diesem Glauben habe ich meine feste Entschlossenheit generiert, trotz der Alkoholkrankheit auch Ruhe und Frieden in der Beziehung mit meinem Mann wahrnehmen zu wollen.

    Der qualitative Unterschied dabei war nur: ich habe mein Bedürfnis nach Ruhe und Frieden für mich nahezu immer von seinem Zustand abhängig gemacht. War es mit ihm nett, dann waren das meine Inseln Ruhe und Frieden. War es mit ihm schrecklich, dann gab es eben keine Ruhe und keinen Frieden. Aus diesem Hin und Her habe ich sehr, sehr lange Zeit in meiner Bedarfsbilanz dann kurzerhand gemacht: "Das, was dein Mann dir gibt, das genügt auch, mehr ist eben nicht möglich!"

    Was mir dabei auch nicht möglich war: Meinen Mann als Einheit mit seiner Krankheit zu sehen, sie als seine unablösbare Haut zu betrachten. ich hatte von der Krankheit eher das Bild einer dunklen Wolke, um die Hoffnung zu halten, dass sie vorüberziehen oder man sie mit einer Kombination aus verlässlicher persönlicher Zuwendung und Entgiftung/Therapie aktiv wegpusten kann.

    Vielleicht hätte mir das Haut-Bild geholfen, eher einen Weg aus der Beziehung heraus zu finden und mich auf meine eigenen Bedürfnisse zu fokussieren - vielleicht....

    Das sind für mich zwei Faktoren, mit denen ich mir meine eigenen Bedürfnisse verleugnet hatte. Nach dem Motto: "Es kann nicht sein (=du bleibst in deinen Bedürfnissen auf der Strecke), was nicht sein darf (=um sich um dich selbst kümmern zu können, musst du aus dieser Beziehung heraus, damit wird die Familie zerstört).

    Als die gesundheitlichen Auswirkungen der Alkoholkrankheit immer drastischere Formen annahmen, habe ich mehr Inseln an Ruhe und Frieden in dadurch gehabt, dass mein Mann ein zunehmendes Schlaf- und Ruhebedürfnis hatte. Ich erinnere ein gewisses Frustrationsempfinden, wenn die von mir geschätzte Ruhezeit kürzer als erhofft ausfiel.

    Jetzt habe ich festgestellt, wie gut mir das Alleinleben tut und ganz konkret, das Leben in Freiheit von Alkoholkrankheit.

  • Liebe 9Leben ,

    Dieser thread ist für mich gerade so hilfreich. Gerade in der Metapher mit den Ausgangspunkten finde ich mich total wieder. Bis gestern war mir noch ganz klar, dass ich diese Tür nach draußen jetzt nehmen muss. Da war ich auch gerade akut belastet. Dann habe ich mit meinem Freund gesprochen und er sagte dummerweise, dass er sich Gedanken gemacht habe und ihm klar sei, dass er es in der letzten Zeit übertrieben habe. Er machte sogar ein paar konkrete Vorschläge wie er schaffen will weniger zu trinken (aber eben nur weniger nicht nichts). Es war dann alles sehr emotional. Und ich war erleichtert den Ausgang nicht nehmen zu müssen. Jetzt gehe ich den Weg weiter und spüre, dass er schon jetzt nicht so ist wie ich gehofft habe. Ich bin nicht beruhigt sondern fühle mich kraftlos, ängstlich und klammernd. Habe mich sogar krankgemeldet.

    Wo ich gestern noch so klar war und wusste was meine Grenze ist bin ich heute schon wieder mitten drin in der Abhängigkeit! Und ich hoffe sehr dass es ist wie mexiko sagt. 5 nach 12 ist das neue 12. Ich bin auf jeden Fall sicher, dass die selbstreflexion dabei hilft, nicht zu vergessen/zu verdrängen was gerade los ist und wie ich mich fühle. Und darin bin ich gut. Da erkenne ich mich total wieder, in dem was hier auch schon viel geschrieben wurde, nämlich dass ich meine Belastungsgrenze ganz oft zu spät erkenne weil ich mir einrede, dass meine Gefühle nicht berechtigt oder übertrieben sind. Dabei sind diese Gefühle ja ein total weiser Helfer und Ratgeber für ein erfülltes Leben. Im Moment sage ich mir: jetzt nochmal Durchhalten auf sivh schauen und abwarten, er hatte eine Einsicht und es kann besser werden. Das Durchhalten ist aber genau das was mich auszehrt...

    Wo ich mich auch wiederfinde und was ich hier auch gelesen habe ist, dass meine Freunde nur bedingt verstehen warum ich das alles so schlimm finde. Sie sind zwar auch der Ansicht, dass es entscheidend ist dass ich zufrieden bin was im Moment ja nicht möglich ist, fragen aber sehr viel skeptisch nach und erzählen Geschichten von ihren Partnern, die ja auch viel trinken. Ein anderer Freund hat das Problem verstanden aber war ganz entsetzt als ich sagte, dass ich jetzt auf mich achten müsste. Er war der Meinung ich müsste meinem Freund helfen und ich musste echt lange erklären, warum ich das nicht will und dass er dass vor allem selbst wollen muss. Wenn er auf mich zu kommt und um Hilfe bittet, bin ich natürlich da und das weiß er auch.

    Inzwischen bin ich davon überzeugt dass man immer abhängig ist. Ich tue viel für mich und vertusche nichts im Freundeskreis, nehme ihm nichts ab und teile ihm meine Bedürfnisse und wünsche mit etc. Aber doch bin ich abhängig, weil man das letztendlich einfach in jeder Beziehung ist. Nur hier mit der Sucht in einer sehr belastenden und negativen Art. Für mich war das ganz wichtig zu verstehen weil ich mir immer einreden will, ach es ist nicht so schlimm so lange du dich da nicht zu sehr reinziehen lässt. Aber dass das nicht geht erkenne ich jetzt langsam.

    Einmal editiert, zuletzt von Samora (27. Februar 2023 um 09:12)

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