Jada - Mein Vater ist Alkoholiker

  • Hallo Jada, ich antworte mal bei dir im Tagebuch, um es nicht aus dem Kontext zu reißen.

    Darf ich fragen ,wer sich letztendlich um deinem Vater gekümmert hat ?

    Du bist glücklicherweise ausgestiegen aus der Verantwortung.

    Wer ist dann "eingesprungen"?

    Die ehrliche Antwort ist, ich weiß es nicht, vermutlich niemand. Natürlich gab es diese Momente, in denen ich ein schlechtes Gewissen hatte oder dachte, ich sollte mich vielleicht doch kümmern. Es gab immer mal einen Mitbewohner oder eine Freundin in seinem Leben, aber die Familie hatte sich bereits lange abgewendet bzw. auf sich selbst fokussiert.

    Das klingt so herzlos, aber ich weiß heute, dass ich ein sehr warmherziger mitfühlender Mensch bin, deshalb kann ich es auch so offen sagen. Nach meiner Entscheidung damals, habe ich aufgehört mir sein Leben und Leiden vor zu stellen. Es muss Unmenschlich und grausam gewesen sein, denn es war schon gruselig und schrecklich, bevor ich den Kontakt abbrach und berg auf ging da ja nie mehr irgendwas.

    Das wollte ich nicht mit ansehen. Und ich finde auch das niemand es verdient hat, tatenlos zusehen zu müssen, wie jemand aus freien Stücken so elendig verreckt. Es ist grausam, das den Menschen an zu tun, die man irgendwann (hoffentlich) einmal geliebt hat.

    Die Grenze, was man sich selbst zu traut mit ansehen zu können, ist natürlich individuell. Leider kann aber an einem Tag diese Grenze gewahrt sein und am nächsten findet man einen zusammengebrochenen geliebten Angehörigen in einem Zustand, den man nie mehr vergessen kann.

    Ich wünsche dir, liebe Jada, den Mut und die Klarheit deinen Weg zu gehen. Seine Gedanke hier auf zu schreiben, sich sortieren, der Austausch… alles kann dir dabei etwas Erleichterung verschaffen. Du bist nicht allein mit diesen Problemen und egal wofür du dich entscheidest, du darfst für dich selbst frei entscheiden und Handeln.

    Alles liebe, Lea

  • Hallo Jada,

    ich bin zurzeit in der gleichen Situation wie du.

    Ich stehe vor der Entscheidung den Kontakt zu meinem Vater vollständig abzubrechen und ihm selbst seinem Schicksal zu überlassen. Auch er hat niemanden mehr außer mich.

    Aber weil ich mich dann herzlos fühle und Angst habe, dass er dann ganz alleine vor sich hinvegetiert (so muss man es in seinem Fall leider mittlerweile sagen), habe ich den Schritt bisher nicht gewagt.

    Es gibt immer heftige Auseinandersetzungen zwischen uns, wenn er trinkt, sobald er kurz nichts mehr trinkt, renne ich hin und besorge ihm Lebensmittel etc. Nun habe ich bereits ein paar Tage nichts gehört und fühle mich wieder dafür verantwortlich nach ihm schauen zu gehen.

    Aber wie Lea gesagt hat, hat auch mein Vater mir schon zu viele glückliche Lebenszeit geraubt und ich habe ebenfalls Angst, dass mir das ganze kostbare Lebenszeit raubt, zumal nicht absehbar ist, wie lange das ganze noch läuft.

    Es ist einfach zum Verzweifeln.

  • Lea

    Das klingt gar nicht herzlos,wenn man sich zurückziehen möchte.

    Aber ich weiß, wie es sich anfühlt ,wenn man sich nicht verantwortlich fühlen will für den,der trinkt.

    Da zerreißt es einem fast das Herz.

    Im Kopf bleibt dieser Gedanke "was passiert, wenn ich nicht helfe ?"

    Es ist ein Spagat zwischen: ich will mein Leben leben und ich sorge für mich...und wenn die Sorge fürs eigene Leben gelebt wird ,bleibt trotzdem dieses mulmige angstbesetzte schuldhafte Gefühl und oft auch ein schlechtes Gewissen.

    Auch wenn nichts mehr aktiv für den Alkoholiker getan wird (und somit die Co-Tätigkeit eingestellt wird ) bleibt im Kopf und im Herz die Sorge um den Menschen erhalten und das empfinde ich oft als einen sehr schweren Ballast.

    Manchmal empfinde ich auch Wut ,weil ich mich von den äußeren Umständen (Schwester)so vereinnahmen lasse,obwohl es mit MEINEM Leben nichts zu tun hat .

    Es macht mich so wütend, dass sie einen solchen Einfluss auf mein Leben hat und ich mich durch sie in meiner Freiheit beeinträchtigt fühle.

    Croissy

  • Im Kopf bleibt dieser Gedanke "was passiert, wenn ich nicht helfe ?"

    Bei mir hat es sehr lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich eben nicht helfe, wenn ich "helfe".

    Im Gegenteil, durch meine "Hilfe" unterstützte ich den Suff, ich räumte viele Unbequemlichkeiten aus dem Weg und erleichterte somit die Sauferei.

    Bei mir wars der Vater, der trank in seiner ständigen "Freizeit", in der er sich um nichts kümmern musste, nichts tun musste. Ich kümmerte mich, werkelte in bester Absicht, machte mir Sorgen .... was wäre wenn ... und bemerkte gar nicht, das ich es ihm sehr bequem machte.

    Ich kann den Alkoholiker nicht in Watte packen, ausser ich mache eine 24h-Betreunung.

    Auch mir schossen Gedanken durch den Kopf: was ist, wenn er sich im Suff das Genick bricht oder besoffen einen Unfall baut oder ... ?

    Ich konnte es nicht beeinflussen. Ein Erwachsener ist selbst für sich verantwortlich! Auch ein Säufer.

    Einmal editiert, zuletzt von achelias (19. März 2023 um 11:31)

  • Liebe Jada.

    Auch wenn es in meinem Beitrag nicht wortwörtlich erwähnt war und ich aus meiner Perspektive geschrieben habe und sich die Zeilen auf Leas Antwort bezogen, habe ich deine Geschichte nicht übersehen.

    Im Gegenteil.

    Ich fühle mit dir und wünsche dir ,dass du aus diesem Spagat irgendwie herauskommst, von dem ich geschrieben habe.

    Liebe Grüße

    Croissy

  • Hallo zusammen, ich danke euch alle für eure Antworten. Auch wenn ich nicht auf alles geantwortet habe, lese ich alle Beiträge und kann viel Hilfreiches für mich rausziehen. An manchen Tagen bin ich aber auch einfach froh, wenn ich mich mal mit anderen Dingen beschäftigen kann und keine Gedanken an das Thema verwenden muss.

    Jetzt holt mich das ganze aber wieder ein. Ich hatte gestern ein Gespräch zusammen mit meinem Vater und seinem Psychiater. Der Arzt hatte um den Termin gebeten. Nachdem ich meinen Vater fast 2 Monate nicht gesehen habe, hat er gestern ein erschreckendes Bild abgegeben. Völlig ungepflegt, Schrammen im Gesicht von den letzten Stürzen, er hatte Mühe überhaupt zu laufen. Der Arzt hat Ambulant Betreutes Wohnen und eine Entgiftung vorgeschlagen. Nachdem ich mir mindestens ein Jahr lang mit den selben Vorschlägen den Mund fusselig geredet habe, hat mein Vater gestern sofort zugestimmt. Es bleibt abzuwarten, ob er dabei bleibt.

    Der Arzt hat vorgeschlagen zuerst das Betreute Wohnen einzurichten, damit mein Vater Unterstützung bekommt, sich um die Entgiftung zu kümmern. Ein Vorgespräch sollte möglichst kurzfristig in der Arztpraxis zusammen mit mir und dem Arzt stattfinden. So weit, so gut. Ich habe ein wenig Hoffnung geschöpft, dass mein Vater endlich professionelle Hilfe erhält und ich mich mit gutem Gewissen etwas rausziehen kann.

    Aber heute dann die Rückmeldung aus der Arztpraxis, dass ein kurzfristiges Vorgespräch mit dem Betreuten Wohnen nicht möglich ist. Ich soll selbst nächste Woche dort Kontakt aufnehmen und einen Termin vereinbaren. Das Gespräch soll dann nicht beim Arzt, sondern am anderen Ende der Stadt im Büro des Betreuten Wohnens stattfinden.

    Ich bin so enttäuscht und stehe damit gefühlt wieder am Anfang. Falls mein Vater wirklich Hilfe annimmt, kann es Wochen dauern bis das Betreute Wohnen anläuft. Beim überfälligen Sozialhilfeantrag soll ich auch am besten auch gleich noch helfen.

    Noch gestern hat der Arzt mir versichert, dass professionelle Hilfe notwendig ist und ich Tochter statt Helferin sein soll. Und heute wird mir doch wieder die Rolle der Helferin aufgedrückt.

    Ich bin mal wieder ratlos. Enttäuscht, wütend und ratlos.

  • Hallo Jada,

    als ich deine Zeilen las, dachte ich nur 'alte Kacke ...' und wurde sofort in die Zeit zurückversetzt, in der ich in einer ähnlichen Situation war.

    " Kinder haften für ihre Eltern " zumindest emotional.

    Niemand will die Verantwortung übernehmen, kein Arzt, übervolle Pflegeeinrichtungen auch nicht, alles ist sehr arbeits- und kostenintensiv.

    Gut wenn es da noch Kinder gibt.

    Ich lehnte diese Verantwortung ab!

    Als man noch etwas hätte retten können (Gesundheit), wurde ich beleidigt, ignoriert, es wurde gefordert und (trotzdem) weiter gesoffen.

    Ich kann dir keine Tipps geben, wie du dich verhalten könntest.

    Wir Kinder haben ein Recht auf unser eigenes Leben.

    Mein Verhältnis zu meinem Vater war nie ein gutes, mit zunehmender Sauferei wurde es auch nicht besser.

    Ich trennte mich von meinem Vater völlig, versuchte alle Emotionen auszublenden und zwar endgültig.

    Ich wollte das weitere Elend weder sehen, noch miterleben.

    Das kann man feige nennen.

    Bei meinem Vater wurde aus Ungeflegtheit, ganz langsam Siechtum, nicht aufzuhaltendes, langsam versagte der Körper.

    Willts du dir das antun? Willst du die Pflege deines Vaters übernehmen?

  • hallo Jada,

    ich kenne dieses Vorgehen von Ärzten aus dem beruflichen Umfeld.

    Solche "Ratschläge" geben die Ärzte die schnell etwas abhaken wollen, und /oder wenig Ahnung haben.

    Du mußt das nicht machen. Wäre dein Vater stationär, würden sich da Sozialarbeiter drum kümmern.

    Das ganze an dich abzugeben ist natürlich bequemer.

    lg Morgenrot

    Wer nicht hofft, wird nie dem Unverhofften begegnen. ( Julio Cortazar )

  • Liebe Jada,

    das kann ich mir gut vorstellen, wie gefrustet Du bist.

    Wie Achelias schon andeutet, steht für Dich vielleicht eine grundsätzliche Entscheidung an, wie lange Du noch an der Lebensgestaltung Deines Vaters aktiv beteiligt sein möchtest?

    Ich stelle es mir auch sehr schwer vor, den Rahmen seiner eigenen Aktivität festzulegen, wenn man beim Betreffenden nie sicher sein kann, wie ernst man seine Äußerungen nehmen kann (heute bereit zum betreuten Wohnen etc., in einer Woche gerade dazu nicht und wieder umgekehrt)....dann müht man sich, dass ein Platz frei wird, begleitet den Vater hin, und dann kommt womöglich "Was soll ich denn hier, hier will ich gar nicht sein - ich will nach Hause".

    Beim Betreuten Wohnen geht es sicher auch um die Klärung, wer die Kosten trägt. Dann kommt man um die Antragstellung für Hilfeleistungen nicht herum. Die Frage ist, wer es macht.

    Dein Vater selbst ist dazu nicht mehr in der Lage, vermute ich nach Deinen Schilderungen.

    Diesbezüglich beraten und unterstützen gehört meiner Meinung nach zu den Aufgaben des örtlich zuständigen sozialpsychiatrischen Dienstes.

    Ich wünsche Dir innere Ruhe und Abstand für passende Entscheidungen/Taten!

  • Danke für eure Rückmeldungen, das hilft mir gerade sehr mich ein wenig zu sortieren. Meinen Vater in diesem Zustand zu sehen, hat mich direkt wieder in den Panik- und Helfermodus versetzt. Aber der Psychiater kennt meinen Vater schon jahrelang und er hat scheinbar keinen sofortigen Handlungsbedarf gesehen, sonst hätte er schon gestern auf eine Einweisung hingewirkt. So versuche ich mich zumindest gerade zu beruhigen.

    Willts du dir das antun? Willst du die Pflege deines Vaters übernehmen?

    Sicher nicht. Wenn er Hilfe annimmt, bin ich (noch) bereit mitzuwirken, aber ich möchte weder seine Pflegekraft, noch seine Sozialarbeiterin sein.

    Morgenrot

    Ich bin ebenfalls berufsbedingt ein bisschen mit dem Hilfesystem vertraut. Das macht es dem Arzt natürlich noch einfacher, mich einspannen zu wollen. Es fällt mir immer wieder auf, wie groß die Schnittmenge zwischen helfenden Berufsgruppen und EKAs/Co-Abhängigen ist...

    Ich stelle es mir auch sehr schwer vor, den Rahmen seiner eigenen Aktivität festzulegen, wenn man beim Betreffenden nie sicher sein kann, wie ernst man seine Äußerungen nehmen kann

    Genau das ist der Punkt! Er will seit einem Jahr eine Suchttherapie machen. Und dann wieder doch nicht. Und dann will er in die Psychiatrie. Und dann wieder doch nicht. In guten Phasen meint er, keine Hilfe zu brauchen. In schlechten Phasen ist er unfähig sich um irgendetwas zu kümmern. Ich habe Anfang des Jahres erst einen Hausbesuch durch den Sozialpsychiatrischen Dienst organisiert. Und er hat den Termin einfach wieder abgesagt. Warum sollte es dieses Mal anders laufen? Ich bin es leid.

    Ich werde nun erst einmal eine Nacht über alles schlafen. Aber ich tendiere gerade doch sehr dazu, dem Arzt zurück zu melden, dass ich mich nicht kümmern werde. Ich sehe den Arzt in der Pflicht, eine Entgiftung zu ermöglichen. Und von dort könnte, wie Morgenrot sagt, alles weitere der Sozialdienst organisieren.

  • Zitat

    Es fällt mir immer wieder auf, wie groß die Schnittmenge zwischen helfenden Berufsgruppen und EKAs/Co-Abhängigen ist...

    Da sprichst du ein wahres Wort...

    Das ist nämlich ganz bestimmt kein Zufall.

    You can't wait until life isn't hard anymore before you decide to be happy.

    - Nightbirde

  • Ich stelle es mir auch sehr schwer vor, den Rahmen seiner eigenen Aktivität festzulegen, wenn man beim Betreffenden nie sicher sein kann, wie ernst man seine Äußerungen nehmen kann ...

    Ich machte die Erfahrung, dass man diese Äusserungen überhaupt nicht erst nehmen konnte. Sie waren rein zweckgebunden. Ging es ihm schlecht, sagte er was man hören wollte, brauchte er etwas, eben so. Kaum war "die Gefahr" vorüber oder ihm ging es wieder gut, war alles plötzlich Schall und Rauch.

    Es gab sogar erfunde Geschichten, Vorspiegelung falscher Tatsachen ... die gesamte Palette.

    Lange fiel ich darauf hinein, jahrelang. Ich wollte es einach nicht glauben.

    Mein "Helfersyndrom" siegte immer wieder und schaltete meine Vernunft aus.

  • Hallo zusammen,

    ich melde mich mal wieder, um einige Gedanken loszuwerden und möchte gerne eure Erfahrungen und Sichtweisen hören.

    Wieder und wieder lese ich Lindes großartigen Beitrag zum Thema Kontaktabbruch und denke darüber nach, wie mein Ausweg aus dieser Situation aussehen kann. Dass Abstand heilsam ist, konnte ich in den letzten Wochen immer öfter dann erleben, wenn ich mein Handy mal für einen Tag ausgestellt habe und ich für begrenzte Zeit mal keine Angst vor dem nächsten Anruf meines Vaters haben musste. Keine Sorge, ob und wie viel er trinkt, wie wohl sein Zustand ist. Einfach Ruhe und Frieden.

    Aber eine dauerhafte Lösung ist das nicht, irgendwann muss ich das Handy ja auch mal wieder einschalten. Und spätestens wenn dann die verpassten Anrufe meines Vaters angezeigt werden, bin ich wieder in der selben Zwickmühle wie zuvor. Ich hadere mit mir, ob ich zurückrufen oder den nächsten Anruf entgegen nehmen sollte. Dabei ist mir selbst nicht ganz klar, warum. Hoffnung auf plötzliche Einsicht oder Besserung ist es nicht. Vielleicht ist es das Bedürfnis mich zu erklären oder zu rechtfertigen. Ich komme mir gemein und feige vor, wenn ich von heute auf Morgen nicht mehr auf Anrufe reagiere. Dabei ist längst alles gesagt. Schon etliche Male habe ich ihm gesagt, dass die Situation für mich unerträglich ist und ich ihm nicht beim Sterben zusehen will.

    Vielleicht ist es auch das ewige Bedürfnis nach Liebe und Bestätigung, das auch bei erwachsenen Kindern noch besteht und sie immer wieder zu ihren Eltern hinzieht. Dabei sollte ich nach all den Manipulationen, Verletzungen und Enttäuschungen eigentlich klüger sein. An meinem Geburtstag habe ich wie eine Blöde jede halbe Stunde auf das Handy geschaut und auf einen Anruf meines Vaters gewartet. Was ich bekommen habe, war eine besoffene Mailboxnachricht abends um 23 Uhr. Ich weiß, dass mein Vater mich liebt, auf seine Art und Weise. Und doch bricht es mir das Herz.

    Dabei wollte ich jetzt gar nicht so emotional werden. Was ich eigentlich fragen möchte:

    Wie sah euer Weg aus? Wie kam es dazu, dass ihr den Kontakt zu euren Eltern oder anderen nahestehenden Menschen eingestellt habt? Habt ihr es angekündigt, ein klärendes Gespräch geführt, vielleicht einen Abschiedsbrief geschrieben? Ist der Kontakt einfach mit der Zeit eingeschlafen? Oder seid ihr vielleicht einen ganz anderen Weg gegangen?

  • Liebe Jada,

    mein Vater ist vor Kurzem gestorben. Ich habe zuvor zehn Jahre - obligatorische Geburtstags- und Weihnachtsgrüße ausgenommen - keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt und mich distanziert, habe mir immer wieder vorgenommen, ihn zu besuchen und diese Pläne verworfen aus Angst vor dem, was mich erwartet.

    Mit seinem Tod kam erneut das schlechte Gewissen, ihn nicht mehr gesehen zu haben.

    Seine letzten vier Jahre war er wohl trocken. Das wusste ich nicht. Und so stellt sich mir die Frage, warum er umgekehrt nicht den Kontakt zu seiner Tochter gesucht hat, warum die Verantwortung für einen Kontakt seit Kindestagen bei mir gelegen haben soll.

    Mir ist es schleierhaft, was in ihm vorgegangen ist, was sein Wesen ausgemacht hat. Bin ich überhaupt jemals wesentlich in seinen Gedanken vorgekommen?

    Als Mutter einer Tochter frage ich mich, warum er nie das Bedürfnis hatte zu erfahren, wie es seiner Tochter geht, ich ihm womöglich egal war. Dieses Gefühl hatte ich mein Leben lang. Es ist für mich nicht zu begreifen.

    Ich habe beschlossen, mich für die vergangenen Jahre nicht mehr zu rechtfertigen und kein schlechtes Gewissen zu haben.

    Ich habe ihm zwar nie die Tür zugeschlagen, dennoch bin ich rückblickend froh, keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt zu haben, zu sehr haben mich seine Eskapaden belastet, an dieses Gefühl der Hilflosigkeit kann ich mich leider nur zu gut erinnern.

    Am Ende habe ich nie wahrgenommen, dass ich ihm irgendetwas bedeute. Seine Bedürfnisse standen immer an erster Stelle.

    Auch wenn es mir immer noch schwer fällt, sehe ich nicht ein, meine wertvolle Lebenszeit mit damit verbundenen negativen Gefühlen zu vergeuden. Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich, das versuche ich so gut wie möglich umzusetzen.

    Natürlich hat mich sein Einfluss geprägt für mein Leben. Ich versuche mich in Dankbarkeit, dass ich nicht daran zerbrochen bin und dass er mir dieses Leben - wenn auch unbewusst - ermöglicht hat. Nein, ich habe mein Leben im Griff und fühle mich stark durch meine Geschichte.

    Ich fühle sehr mit dir und wünsche dir viel Kraft. Schau auf dich. „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Das gilt für dich gleichermaßen wie für deinen Vater.

  • zu sehr haben mich seine Eskapaden belastet, an dieses Gefühl der Hilflosigkeit kann ich mich leider nur zu gut erinnern.


    Am Ende habe ich nie wahrgenommen, dass ich ihm irgendetwas bedeute. Seine Bedürfnisse standen immer an erster Stelle.

    Sehr ähnlich fühle ich mich in meiner beziehung zu meinem vater auch.

    Vor drei Monaten hatte ich eine Pause erbeten, vor einem Monat hat er diese Pause quasi mit einem kontaktabbruch kurz beendet.

    Es tut mir nach wie vor weh, aber ich weiss, dass es das richtige ist. Diese Beziehung war belastend für mich.

    Jada , so etwas darf auch weh tun. Immerhin ist es ein Elternteil. Dennoch möchte ich mich auch vor negativen Gefühlen schützen.

    In mir gibt es das Gefühl des Schmerzes aber auch ebenso das Gefühl der Erleichterung. Und der Schmerz wird immer etwas weniger.

  • In mir gibt es das Gefühl des Schmerzes aber auch ebenso das Gefühl der Erleichterung. Und der Schmerz wird immer etwas weniger.

    Ja, vielleicht wird der Schmerz weniger, vielleicht weiß man im Lauf der Zeit damit umzugehen. Bei mir ist er irgendwie immer da, aber das darf er auch.

    Was für mich noch viel beeindruckender ist, ist das Gefühl der Freiheit durch die Lossagung von meinem Vater - mein Leben, meine Entscheidungen, meine Verantwortung.

  • Juli Der Verlust deines Vaters tut mir sehr leid. Auch wenn mein Vater noch lebt, kann ich sehr gut mitfühlen, weil ich mich schon lange mit der Möglichkeit eines frühen Todes meines Vaters beschäftigen muss. So wie du es beschreibst, hast du ihn zweimal verloren. Das erste Mal durch den Alkohol, schon Jahre vor seinem Tod. So ist es zumindest, wie ich es bei mir empfinde. Die Beziehung zu meinem Vater war nie einfach, aber durch den Alkohol gibt es schon lange nur noch wenige schöne Erlebnisse.

    So wie ich es verstehe, ist der Kontakt zu deinem Vater also einfach eingeschlafen, weil er sich nicht um dich bemühte? Das Gefühl der Freiheit seitdem kann ich gut nachvollziehen. Das erlebe ich an den wenigen Tagen, an denen ich mal den Kopf frei bekomme und das Handy ausschalte. Mein Vater ruft mich jedoch regelmäßig an. Meistens weil er etwas von mir will oder weil er einfach jemanden zum Reden möchte. Immer öfter ist er aber auch alkoholisiert oder verwirrt oder beides, was mich dann unglaublich runter zieht oder mir vor Sorge schlaflose Nächte bereitet. Mir geht es besser, seit ich immer öfter nicht ans Telefon gehe. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl mich erklären zu müssen oder mit einem "offiziellen" Kontaktabbruch für klare Verhältnisse sorgen zu müssen, daher meine Eingangsfrage.

    Twizzler Von der Kontaktpause hattest du schon einmal berichtet. Wie kommt es nun, dass dein Vater von sich aus den Kontakt beendet hat? Du musst natürlich nicht antworten, wenn du nicht magst.

  • Genau ins Detail kann ich leider nicht gehen. Aber er hat eine sehr genaue Meinung, warum ich die Pause wollte. Das ist nur ein Aspekt von vielen ist, weiss er nicht. Er ist von einer Sache die ich vor einigen monaten gesagt habe sehr verletzt.

    Er hat mir einfach Dinge erzählt, die wie ich finde, nicht für die Ohren der Tochter bestimmt waren. Es ist alles wirklich sehr verstrickt. Und genau darum ist es für mich auch besser keinen Kontakt zu haben.

    Es war einfach keine gesunde Vater-Tochter Beziehung.

  • So hart es klingt, aber dann ist es vielleicht sogar ganz gut, wenn er dir die Entscheidung abgenommen hat? Zumindest interpretiere ich deine Aussagen jetzt mal so.

    Ich habe Mitleid mit meinem Vater, wenn ich daran denke wie schmerzvoll ein Kontaktabbruch für ihn sein muss. Aber dann denke ich an all das Leid, das ich durch seine Trinkerei erleiden musste. All die Momente in denen ich ihn gebraucht hätte und er nicht für mich da war. All seine Sorgen und Probleme, die er schon seit meiner Kindheit bei mir abgeladen hat. Das ist auch keine gesunde Vater-Tochter-Beziehung. Und dennoch fällt es so schwer, die eigenen Eltern loszulassen. Es ist schon verrückt.

  • Das interpretierst du richtig. Ich war noch in der Phase eine Entscheidung zu Fällen, während er sie getroffen hat. Ich denke aber, meine Entscheidung wäre genau die gleiche gewesen.

    Meine sponsorin hat zu dem Thema zu mir gesagt, dass selbst wenn ich den Kontakt jetzt beende, nichts davon in Stein gemeißelt ist. Vielleicht kann ich in einigen monaten/Jahren wieder Kontakt aufnehmen, weil ich mich dann soweit verändert habe. Vielleicht aber auch nicht.

    Wichtig für mich dabei ist nur: was tut mir gut und was eben nicht?

    Eine gesunde selbstliebe für mich zu entwickeln um nicht in einer krankhaften Beziehung zu verweilen.

Unserer Selbsthilfegruppe beitreten!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!